Interkulturelles Institut für Inklusion (III e.V.)

„Gerechtigkeit durch Barrierefreiheit“

Das Interkulturelle Institut für Inklusion (III e.V.) setzt sich für die Barrierefreiheit für Muslime ein. Im IslamiQ-Interview spricht die Pressesprecherin Yasemin Baş über die Arbeit des Vereins und das Thema Inklusion in der muslimischen Community.

30
07
2018
Inklusion Barrierefreiheit
III e.V Inklusion Barrierefreiheit © iii e.V., bearbeitet by IslamiQ.

IslamiQ: Eines eurer Ziele ist es Muslimen, die einen beschränkten Zugang zu kulturellen und religiösen Informationen in der deutschen Sprache haben, Möglichkeiten anzubieten. Welche Möglichkeiten bietet ihr für Menschen mit einer Hör- oder Sehbehinderung an?

Yasemin Baş: Es ist unser Ziel die barrierefreie Vermittlung von kulturellen und religiösen Informationen in der deutschen Sprache zu gewährleisten. Die Allgemeinheit der Muslime in Deutschland kann sich über islamspezifischen Publikationen in der deutschen, arabischen, englischen oder türkischen Sprache nicht beschweren. Wenn uns mal ein Thema auf der Seele brennt, haben wir in der nächsten Sekunde schon die Möglichkeit an Antworten zu gelangen, sei es durch ein Gespräch mit dem Imam unseres Vertrauens oder aber seriöse Fachbücher, die wir uns zur Hand nehmen können. Diese Chance bleibt nahezu allen muslimischen Geschwistern mit einer Hör- oder Sehbehinderung versperrt. Hier wollen wir eingreifen und Möglichkeiten zur barrierefreien Weiterbildung für Gehörlose und Blinde anbieten. Eine Möglichkeit ist bereits bestehende und vertrauenswürdige Bücher in Blindenschrift zu drucken und in Moscheen, Vereinen und Kulturzentren als Lehrmaterial anzubieten, auszuleihen sowie zu verschenken.

Ihr möchtet bei III e.V. mitmachen, spenden, unterstützen? Dann meldet euch über diese Mailadresse: info@iiiev.org.

Weiterhin arbeiten wir gerade an einem Projekt, in welchem die Freitagspredigten in den größten DITIB-Moscheen durch ein Gebärdensprachvideo begleitet werden soll. Auch die Barrierefreiheit der Einrichtung in Form von Aufzügen, Blindenschrift und visuellem Anschauungsmaterial sind Möglichkeiten, die einen Zugang zu barrierefreien, kulturellen und religiösen Informationen ermöglichen sollen. Zentral für die Verwirklichung dieser Ideen ist jedoch die Sensibilisierung und Aufklärung der muslimischen Community über die Belange von Menschen mit Hör- und Sehbeeinträchtigungen. So müssen wir zunächst ein grundlegendes Bewusstsein innerhalb unserer Mehrheitsgesellschaft schaffen, um unsere vielen Projekte, welche ja Möglichkeiten zur Verwirklichung von Inklusion sind, umzusetzen.

In einigen Monaten werden wir barrierefreie Seminarreihen zu Prophetengeschichten anbieten, entwickeln Methoden des Koran Lesens in Gebärdensprache für den deutschen Kontext und halten Vorträge vor Moschee-Vorständen, studentischen Vereinigungen sowie sozialen Institutionen, die der Sensibilisierung und Aufklärung dienen.

IslamiQ: Was hat euch dazu bewegt einen Verein zu gründen?

Baş: Besonders ausschlaggebend war unsere persönliche Betroffenheit, welche uns unsere religiöse Verantwortung bewusst gemacht hat. Wir selbst haben betroffene Familienangehörige, die keine Möglichkeiten der Teilhabe an der Gemeinde oder Gemeinschaft hatten. Die Folge waren Schwierigkeiten in der Identitätsbildung, Kommunikation und dem Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gemeinschaft.

Vieles, was wir als Kinder in der Moschee als “Basiswissen” vermittelt bekommen haben, blieb ihnen unzugänglich. Bedauerlicherweise wissen daher viele gehörlose Muslime nicht, wie gebetet werden muss oder welche Glaubensgrundsätze dem Islam inhärent sind. Der Verein wurde ins Leben gerufen, um diesem traurigen Umstand entgegen zu wirken und anderen Menschen diese Erfahrung zu ersparen und viel mehr an Teilhabe und Partizipation zu ermöglichen. Weiterhin wurden wir in unseren Beweggründen immer wieder von unserer religiösen und sozialen Verantwortung, uns für eine gerechte Gesellschaft einzusetzen, geleitet.

IslamiQ: Was möchtet ihr mit dieser Arbeit bewirken?

Baş:  Unser Ziel ist das Ideal von einer barrierefreien Gesellschaft, in welcher die Vielfalt und Diversität aller Menschen als Bereicherung und Normalität gesehen und in der Gestaltung unserer Umwelt berücksichtigt wird. Um dies gewährleisten zu können, wollen wir besonders im Bereich der Barrierefreiheit wirken und dort die Inklusion und Teilhabe von Menschen mit „Behinderungen“ an unserer Gesellschaft erreichen. Der erste Schritt hierfür ist die Aufklärungsarbeit in den unterschiedlichsten Bereichen des sozialen Lebens. Aufgrund unserer Betroffenheit sollen primär religiöse Gemeinden und Initiativen angegangen und für diese Thematik sensibilisiert werden. So können neue barrierefreie Gebäude errichtet und als Versammlungsstätte für all jene Mitmenschen dienen, die bisher aufgrund räumlicher Barrieren versperrt bleiben.

Weiterhin sollen barrierefreie Angebote in Form von Seminaren, Büchern, sozialen Aktivitäten und Reisen für gehörlose, blinde sowie körperlich und geistig beeinträchtigte Menschen ermöglicht und angeboten werden. So wollen wir durch unser Engagement ein grundlegendes Ideal einer funktionierenden Gesellschaft vorantreiben; die Gerechtigkeit durch Barrierefreiheit. Ein Ziel, welches damit einhergeht, ist der Austausch zwischen unterschiedlichsten Menschen: durch Gebärdensprachkurse sollen z.B. Familien, Freunde oder schlicht Interessierte auf einen Dialog mit Gehörlosen vorbereitet werden und somit die Zugehörigkeit des Gehörlosen in unsere Gesellschaft vermitteln. Eine starke und fortschrittliche Gesellschaft zeichnet sich besonders durch die Inklusion und Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger aus. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass die Gesellschaft in der wir leben – unsere Gesellschaft – ein eben solches Ideal erreicht!

IslamiQ: Warum ist es besonders für Muslime wichtig, sich mit dem Thema Inklusion auseinanderzusetzen?

Baş:  Diesem Bereich gebührt besondere Aufmerksamkeit, da gerade Inklusion zu wenig thematisiert und stattdessen marginalisiert wurde! Gemäß dem Ausspruch des Propheten Muhammad (s): „Der Beste unter Euch ist derjenige, der seinen Mitmenschen am nützlichsten ist“, ist es die Pflicht eines jeden Muslims sich für eine funktionierende Gesellschaft sowie das friedliche und gerechte Zusammenleben aller Mitglieder einzusetzen. Was viele Muslime heutzutage gar nicht wissen ist, dass gerade zu Zeiten des Propheten und seiner Gefährten ein solches Bewusstsein herrschte und Inklusion in seiner lebendigsten Form gelebt wurde! Es war selbstverständlich, dass z.B. Muslime mit einer Sehbehinderung als Gebetsrufer fungierten oder zu den engsten Beratern und Statthaltern des Propheten ernannt wurden. Unser Ziel ist es, diese Grundhaltung und dieses Gemeinschaftsgefühl innerhalb der muslimischen Community wiederzubeleben!  Nur so kann die Gestaltung unserer Gesellschaft zu einer starken Gemeinschaft, als essentielle Grundprinzipien unseres Glaubens, verwirklicht werden.

Mit Freude können wir sagen, dass die muslimische Community dieser Verantwortung in vielen Bereichen des sozialen und gesellschaftlichen Lebens gerecht wird. Doch besonders im Bereich der Inklusion und Barrierefreiheit bestehen noch erhebliche Rückstände und Probleme. Es fehlt an theologischem Wissen und religiöser Verantwortung. Daher ist es mehr als wichtig Inklusion anzugehen und sich verstärkt mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Das Fehlen eines grundlegenden Verständnisses und Bewusstseins für die Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen bringt die Verantwortung einer verstärkten Auseinandersetzung mit dieser Thematik mit sich.

IslamiQ: Habt ihr einen bestimmten Fokus bei der Ausrichtung eurer Projekte?

Baş: Unser Ziel ist die Gerechtigkeit durch Barrierefreiheit für alle Mitglieder unserer Gesellschaft. Derzeit haben wir jedoch nicht die Kapazitäten und Ressourcen zur Verwirklichung dieses Ideals, sodass wir uns zunächst auf zwei Ebenen mit jeweiligen Unterbereichen fokussiert haben. Dies sind zum einen Projekte, die Aufklärungsarbeit im sozialen und religiösen Umfeld schaffen und sensibilisieren, indem betroffene Familien, Moscheegemeinden und soziale Einrichtungen beraten und betreut werden. Zum anderen fokussieren wir uns aber auch auf Angebote in Form von barrierefreien Seminaren, Bildungscamps und Workshops und sonstigen Veranstaltungen für unmittelbar Betroffene.  Aufgrund ihrer Dringlichkeit und dem Wunsch der gehörlosen- und blinden Community selbst, liegt ein besonderer Schwerpunkt unserer Veranstaltungen auf der Vermittlung religiöser Inhalte.

IslamiQ: Arbeitet ihr mit islamischen Religionsgemeinschaften zusammen?

Baş: Mit dem Bewusstsein, dass Inklusion ein zu großes und Gemeinden umfassendes Thema ist, lehnen wir die Untergliederung in eine bestimmte Gruppe ab. Deutlich machen wir dies vor allem durch die Diversität unserer Vereinsmitglieder selbst. Wir haben Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Gemeinden, Initiativen und Bewegungen und sehen dies als Bereicherung und Schutz zur Wahrung unserer Unabhängigkeit. Es wäre verantwortungslos und verfehlte seinen Zweck diese große Aufgabe und dieses Ideal von Barrierefreiheit nur für eine Gruppe oder Gemeinschaft zugänglich zu machen. Inklusion betrifft nämlich alle Bereiche der Gesellschaft und muslimischen Gemeinschaft in Deutschland!

Das Verhältnis und die Zusammenarbeit mit anderen Initiativen ist geprägt durch Kooperation auf professioneller und sachorientierter Basis. So haben wir in der Vergangenheit bereits mit den unterschiedlichsten Vereinen und Gemeinden zusammengearbeitet. Die islamischen Religionsgemeinschaften sind für uns immer ein vertrauensvoller Partner gewesen, von deren Professionalität, Erfahrung und Community wir gerne lernen und profitieren.

IslamiQ: Inwieweit können Interessierte bei euch mitwirken. Sei es finanziell oder ideell?

Baş: Jede helfende Hand ist für uns eine Bereicherung. Wichtig ist uns lediglich, dass Motivation, Durchhaltevermögen und Zeitmanagement mitgebracht werden. Gerade als junger Verein, der sich noch in der Aufbauphase befindet und Pionierarbeit leistet, muss man sich der großen und zeitaufwendigen Arbeit im Verein bewusst sein. Neben dieser Art von Unterstützung, freuen wir uns auch immer wieder über finanzielle Hilfen! Viele, die unsere Arbeit wichtig finden, uns jedoch aufgrund von Zeitmangel nicht unterstützen können, tun dies mittels finanzieller Spenden. Besonders, weil sich nicht leugnen lässt, dass gerade im Bereich der sozialen Arbeit für Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderung an unserer Gesellschaft, die Investition und der finanzielle Aufwand sehr hoch sind.

Leider sind Materialien und Maschinen, wie Braille Drucker, Rampen und Aufzüge für Moscheegemeinden oder ein professioneller Gebärdensprachdolmetscher mit sehr hohen Kosten verbunden. Ein guter Braille Drucker kostet zum Beispiel 10.000€, eine Rampe für Rollstuhlfahrer ebenfalls. Ein professioneller Gebärdensprachdolmetscher ist rechtlich abgesichert und muss pro Dolmetschereinsatz (zzgl. Fahrtzeit) mit 75€ entlohnt werden, ab der 2. Stunde müssen wir 2 Dolmetscher einsetzen. Rechnet man diesen Stundensatz auf die Dauer eines Wochenend-Seminars hoch, so ergeben sich Kosten im vierstelligen Bereich. Doch diese Kosten sind unumgänglich, um Barrierefreiheit zu gewährleisten.

Das Interview führte Muhammed Suiçmez.

 

 

Leserkommentare

Kritika sagt:
L.S. Wer soll das bezahlen? hoffentlich nicht der Deutsche Steuerzahler. Die behinderten Islamistische Menschen sind vermutlich nicht in oder nur schwer für Arbeit vermittelbar, sie leben daher wohl ohnehin auf Kosten der Deutschen Sozialkassen. Das Vermitteln der hanebüchelden IslamNonsense zu dieser Gruppe ist seinerseits ebenfalls Nonsense; völlig überflüssig und hindert denen daran, sich hier zu integrieren. Keinen SteuerPfennig für diesen Unsinn, meint Kritika. Gruss, Kritika
01.08.18
22:48
Johannes Disch sagt:
Tolle Arbeit, die dieser Verein macht!
03.08.18
22:36
Frederic Voss sagt:
Engagement für Inklusion gibt es in Deutschland schon seit mehreren Jahrzehnten. Schon lange bevor solches in islamisch dominierten Ländern überhaupt angedacht wurde. Dieses Thema sollte unabhängig von einseitig religiös agierenden Gruppierungen gefördert und angegangen werden. Viele Communities nehmen sich dieses Themas schon lange an, u..a. auch queere und genderfreundliche Communities oder auch Amnesty International.
08.08.18
1:25
Elif sagt:
Da ich selbst gehörlos bin, finde ich diese Projekte wirklich gut. Ich würde gerne befürworten, dass die Projekte umgesetzt werden, auch wenn sie nun mal mit höheren Kosten verbunden sind.
08.08.18
19:08
Johannes Disch sagt:
@Frederic Voss Selbstverständlich gibt es in Deutschland schon lange Inklusionsprojekte von verschiedenen Seiten. Es spricht aber doch gar nichts dagegen, dass sich auch Muslime daran beteiligen. Im Gegenteil: Das ist doch sehr erfreulich.
09.08.18
14:46