Protest

„Bürger zweiter Klasse“ – Zehntausende protestieren in Tel Aviv

Das „Nationalitätsgesetz“ bekräftigt Israels Status als jüdischen Nationalstaat. Doch was ist mit Bürgern anderer Glaubensrichtungen? Die Drusen rufen zum Protest – und Zehntausende kommen.

05
08
2018
Tel-Aviv © shutterstock
Tel-Aviv © shutterstock

Zehntausende Israelis haben am Samstag gegen das „Nationalitätsgesetz“ in Tel Aviv protestiert. Das im Juli verabschiedete Gesetz verankert Israels Status als jüdischen Nationalstaat – und wird von Minderheiten, aber auch vielen jüdischen Israelis, als diskriminierend kritisiert. Das Forum der drusischen Armeeoffiziere hatte zu dem Protest aufgerufen.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu verteidigte das Gesetz am Sonntag während der wöchentlichen Kabinettssitzung. „Israel ist ein jüdischer und demokratischer Staat“, sagte er. Niemand habe die Absicht, die Rechte der Minderheiten zu beschneiden. „Ohne das Nationalitätsgesetz wäre es unmöglich, die Zukunft Israels als jüdischer Nationalstaat zu gewährleisten“, sagte Netanjahu. Man wolle etwa eine „unkontrollierte Einwanderung von Palästinensern“ oder Migranten nach Israel verhindern.

Netanjahu bekräftigte das „tiefe Bündnis“ mit der drusischen Gemeinde und verkündete die Einrichtung eines Ministerausschusses zur Stärkung dieser Bindung.

Tamir Pardo, früherer Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, bezeichnete die Verabschiedung des Gesetzes als „Ungerechtigkeit gegenüber 20 Prozent der israelischen Bevölkerung. (…) Es geht nicht darum, welche Partei man wählt. Das ist eine Frage der Werte“, zitierte ihn die „Times of Israel“.

Arabische Sprache wird herabgestuft

Das Gesetz legt unter anderem fest, dass der Bau jüdischer Gemeinden in Israel besonders gefördert werden soll. Hebräisch wird zur offiziellen Landessprache erklärt, während Arabisch – bisher zweite Amtssprache – nur noch einen „Sonderstatus“ erhält. Tausende Israelis protestierten in Tel Aviv bereits bei der „größten Arabischstunde der Welt“ gegen die Herabstufung des Status‘ der arabischen Sprache.

Teilnehmer schwenkten am Samstag auf dem zentralen Rabinplatz israelische Fahnen und die fünffarbige Flagge der Drusen. Sie hielten Schilder hoch, auf denen in Hebräisch, Englisch und Arabisch Sprüche standen wie „Wir alle sind Brüder. Wir alle sind gleich“ oder „Gerechtigkeit für alle“.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu setzte wegen der Kritik der Drusen ein besonderes Gremium ein. Doch ein gemeinsames Treffen beendete der Regierungschef nach massiver Kritik an der Regierungsarbeit frühzeitig, wie israelische Medien berichteten. Aus Protest gegen das Gesetz kündigten in den vergangenen Tagen drei drusische Offiziere ihr Ausscheiden aus der Armee an.

Im Juli feierten Netanjahu und seine rechts-religiöse Regierung die Verabschiedung des Gesetzes noch ausgelassen. „Dies ist ein Schlüsselmoment in der Geschichte des Zionismus und des Staates Israel“, sagte Netanjahu damals vor Abgeordneten.

Die Drusen stehen mit ihrer Kritik allerdings nicht alleine da. Arabische Abgeordnete und der palästinensische Ministerpräsident Rami Hamdallah hatten das Gesetz als „rassistisch“ bezeichnet. Aber auch Präsident Reuven Rivlin kritisierte es. Hunderte Künstler und Schriftsteller forderten Netanjahu in einem Brief auf, das Gesetz zu widerrufen.

„Bürger zweiter Klasse“

Rachel Galili ist für den Protest in Tel Aviv extra aus der Nähe von Haifa gekommen. Auch die gebürtige Wienerin bezeichnet das Gesetz als diskriminierend. „Dieses Gesetz bekräftigt das Gefühl vieler Drusen und Araber, Bürger zweiter Klasse zu sein“, sagte die 63-jährige Jüdin auf Deutsch.

Das Israelische Demokratie-Institut (IDI) hat kritisiert, das Gesetz enthalte anders als die israelische Unabhängigkeitserklärung keine Verpflichtung zur Gleichberechtigung aller Bürger. Deshalb störe es das Gleichgewicht zwischen den Werten jüdisch und demokratisch.

Nach einer Umfrage des IDI sind 60 Prozent der Israelis der Ansicht, das Gesetz hätte das Prinzip der Gleichberechtigung enthalten sollen. (dpa, iQ)

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Unkontrollierte Einwanderung von Palästinensern? Geht's noch? Die Palästinenser sind im Gebiet des heutigen Israel schon seit 2 Jahrtausenden zu Hause! Israel hat wieder einmal die Chance verpasst, ein binationaler Staat mit Hebräisch und Arabisch als Amtssprache ohne zionistische Staatsideologie zu sein. Stattdessen ist Israel einen weiteren Schritt in Richtung rassistischen Apartheidsstaat gegangen, was entschieden zu verurteilen ist. So lange die internationale Gemeinschaft es nur bei Verurteilungen belässt, ohne dass es zu ernsthaften Sanktionen gegen Israel kommt, wird dieser Umstand Israel lediglich dazu ermutigen, die einheimischen Araber immer mehr zu diskriminieren.
05.08.18
17:47
Kritika sagt:
L.S. In den Niederlanden ist Niederländisch die einzige Amtssprache; alle Gesetze sind nur in dieser Sprache verfasst, VerkehrsSchilder ebenfalls. Korrespondenz mit Behörden findet nur auf Niederländisch statt. Und das, obwohl dort auch viele Englischsprachige, wohnen, sowie Deutsche und Belgier, (die ausser Niederländisch oft Französisch können), Chinesen und auch noch Arabisch Sprechende Marokkanische Araber. Findet jemand das diskriminierend? Sicher nicht. In Israël vermehren sich die Palästinenser - - verglichen mit den Israëlies - - wesentlich schneller (Karnickel Metode) so, dass im Staate Israël bald die Ieraëlisch sprechende in der Minderheit wären. Ähnliche Metoden wenden bekanntlich die Muslims im Budistische Myramar an. Gruss, Kritika
05.08.18
23:36
Johannes Disch sagt:
Dieses Gesetz ist nicht grade förderlich für den Friedensprozess.
06.08.18
12:18
Ute Fabel sagt:
„Israel ist ein jüdischer Staat"(??) Für einen der interessanten Isrealis überhaupt halte ich den bekennend atheistischen und schwulen Historiker Yuval Noah Harriri, der die jüdische Religion ebenso wie alle anderen religiösen Glaubenslehren für unwahre Hirngespinste hält. So gibt sein Buch "Eine kurze Geschichte der Menschheit einen Überblick über die Geschichte der Menschheit von ihren prähistorischen Anfängen bis zur Jetztzeit.Die hebräischsprachige Originalausgabe ist in Israel zu einem Bestseller geworden und hat Harari dort so bekannt gemacht, dass seine Vorlesungen zur Weltgeschichte zehntausendfach bei YouTube abgerufen worden. Seitdem wurde das Buch zuerst in englisch- und deutschsprachigen Ausgaben erfolgreich und inzwischen in fast 30 Sprachen übersetzt. Menschen, die denken und nicht nur glauben, sind viel inspirierender!
06.08.18
12:23
Johannes Disch sagt:
Israel ist schon eine Besonderheit. Zwar eine Demokratie, aber eine, die sich ethnisch definiert. Dem klassischen Staatsbürger im Sinne des französischen "Citoyen", der sich an Werten orientiert, unabhängig von Herkunft und Religion, entspricht das nicht.
08.08.18
11:27