Migration hat immer wieder zu Konflikten gehört. Heute werden Muslime angefeindet, vor ein paar Jahrhunderten waren es Katholiken. Religion glich dabei aber immer auch als Heilmittel für das Leid der Menschen, so der Historiker Michael Hochgeschwender.
Religion kann aus Sicht des Historikers Michael Hochgeschwender gegen Heimweh und Trauer helfen – und dadurch zur Integration beitragen. In den USA hätten kirchliche Gemeinden im 19. und frühen 20. Jahrhundert die Aufgaben des Sozialamtes übernommen und Menschen in Notsituationen unterstützt, sagte er dem „Spiegel“ (Samstag). Aus diesen Erfahrungen lasse sich lernen.
Migration sei ein schwieriger Prozess, „und zwar für beide Seiten“, sagte der deutsche US-Historiker weiter. So seien in den USA viele Einwanderer gescheitert, auch habe es Lynchmorde an Migranten gegeben.
Insbesondere Katholiken hätten „als Feinde von Demokratie und Freiheit“ gegolten, so Hochgeschwender: „Sie müssen in antikatholischen Texten des 19. Jahrhunderts nur das Wort ‚katholisch‘ durch ‚muslimisch‘ ersetzen, und Sie haben die heutige antimuslimische Propaganda: Die Einwanderer seien illoyal und einer fremden Macht verpflichtet – gemeint war damals der Papst, heute ist es der türkische Präsident Erdoğan.“ Auch hätten viele Amerikaner befürchtet, papsttreue Katholiken wollten „die Verfassungsordnung unterhöhlen“ und mit ihren Nachkommen das Land „überfluten“.
Fremdheit und pauschale Urteile erschwerten die Integration, erklärte der Wissenschaftler. Das gelte auch heute noch: „Moderne Gesellschaften sind nicht so offen, wie sie sich gern sehen, das betrifft auch unsere eigene.“ Bestimmte Dinge seien nicht verhandelbar. Er sehe jedoch viele „Scheindebatten, die führen integratorisch zu nichts“. Als Beispiele nannte Hochgeschwender die Diskussionen um das Kopftuch oder um muslimische Gottesdienste in türkischer oder arabischer Sprache. (KNA, iQ)