Niedersachsen

Altes Präventionskonzept gegen „Islamisten“ im neuen Gewand?

Ein neues Handlungskonzept zur Deradikalisierungs- und Präventionsarbeit soll in Niedersachsen auf die Zusammenarbeit mit den Muslimen setzen. Die umstrittene „Islamisten“-Checkliste ist jedoch anscheinend in einem neuen Gewand zurück. Scharfe Kritik kommt von der IGMG.

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In Niedersachsen soll ein neues Deradikalisierungs-Konzept für die Präventionsarbeit erstellt werden. Zentraler Punkt des Konzepts der Landesregierung ist die Einrichtung einer zivilgesellschaftlichen Arbeitsstelle. Das hat das Kabinett in seiner Sitzung am Dienstag (10.12.2013) beschlossen. Das Handlungskonzept soll dazu beitragen, dass Jugendliche, insbesondere aus dem Bereich der muslimischen Jugendlichen, vor einer Radikalisierung durch „islamistische“ Einflüsse bewahrt werden.

Die Federführung hat das Sozialministerium übernommen. Dieses wurde vom Kabinett beauftragt, gemeinsam mit den muslimischen Religionsgemeinschaften ein Projekt zur Konzeption und Einrichtung einer solchen Arbeitsstelle zu entwickeln.

Schura Niedersachsen überrascht

Der Vorsitzende der Schura Niedersachsen, Avni Altıner, erklärte im Gespräch mit IslamiQ, dass sie von der Entscheidung des Kabinetts überrascht worden seien. Einen Bericht der dpa, wonach die Schura Niedersachsen das Konzept begrüßt habe, widersprach Altıner. „Wir werden uns diesbezüglich noch austauschen“, kündigte er an. Erst danach werde es auch eine offizielle Bewertung von Seiten der Schura geben.

In der Vergangenheit hätten die muslimischen Religionsgemeinschaften Schura Niedersachsen und Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) zudem eine Aufhebung der Wortwahl „Islamismus“ gefordert. Die Antiradikalisierungsarbeit sei wichtig und solle, aus der Sicht der Religionsgemeinschaften, wenn überhaupt, dann nur mit den Muslimen stattfinden.

Pistorius kündigt Einstellung von „Islamisten“-Checkliste an

Mit dem neuen Handlungskonzept wurde auch das bisherige Konzept der Vorgängerregierung laut Staatskanzlei endgültig eingestellt. Bereits bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2012 hatte Innenminister Boris Pistorius (SPD) gesagt, dass er das frühere Handlungskonzept in seiner damaligen Form ablehne.

Salafistische und islamistische Bestrebungen werde der Verfassungsschutz auch weiterhin aufmerksam beobachten, sagte Pistorius. Die Behörde werde auch in Zukunft Öffentlichkeitsarbeit in diesem Bereich leisten und ihr fachliches Know-how zum „islamistischen“ Extremismus einschließlich islamwissenschaftlicher Expertisen zur Verfügung stellen. In diesen Bereich der Verfassungsschutzarbeit sollen die Ergebnisse und konkreten Handlungsempfehlungen der seit September 2013 eingerichteten Arbeitsgruppe zur Reform des Verfassungsschutzes einfließen.

Polizei soll Kontakte intensivieren

Die Polizei soll ihre bereits bestehenden engen und vertrauensvollen Kontakte zu muslimischen Einrichtungen aufrechterhalten und intensivieren. Dazu gehören etwa regelmäßige Gespräche mit den muslimischen Moscheegemeinden. Zudem wird die Polizei zur Verwirklichung des ganzheitlichen Ansatzes zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus die Zusammenarbeit mit der Justiz, Ausländerbehörden, Einbürgerungs-, Sozial- und Verwaltungsbehörden weiterführen.

Scharfe Kritik von der IGMG

Der stellvertretende Vorsitzende der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş, Mustafa Yeneroğlu, kritisierte die Ankündigung scharf: „Es ist erstaunlich und überaus enttäuschend, dass die neue Landesregierung entgegen ihrer ursprünglichen Ansage die Präventionspolitik vom ehemaligen Innenminister Schünemann unter einer neuen Verpackung aber mit gleichem Inhalt fortführen möchte.“ Es sei nicht nachvollziehbar, was Innenminister Pistorius am Konzept seines Vorgängers abgelehnt habe, wenn er das gleiche nunmehr mit der Polizei anstelle des Verfassungsschutzes umsetzen wolle.

„Im Ergebnis ist es sogar noch problematischer, zumal die Polizei in erster Linie repressive Aufgaben hat und der direkte Präventionsaustausch mit den Moscheegemeinden diese als Problemorte fokussiert und nach außen als Gefahrherde darstellt“, erklärte Yeneroğlu. Diese Politik sei nur eine Fortführung des damals auch von der SPD und den Grünen kritisierten Sicherheitsdialogs des BKA mit manchen muslimischen Organisationen.

„Ohne das bisherige Präventionskonzept selbst auf den Prüfstand zu stellen und den Inhalt, das Ziel und die Begrifflichkeiten mit den islamischen Religionsgemeinschaften zu erörtern, sollen diese nur für die Umsetzung einer neuen Arbeitsstelle herangezogen werden. Es stellt sich die Frage, was die rot-grüne Regierung den nun anderes macht, als die bisherige Politik von Schünemann fortzuführen?“, fragte Yeneroğlu. Das Konzept sei gleich, die Begrifflichkeiten, vor allem die Vermengung von Islam und Terrorismus, seien die Gleichen.

„Moscheen werden genauso wie früher mit Terrorgefahr assoziiert und die Muslime sollen nun, wie auch von Schünemann verlangt, ihre Ungefährlichkeit dadurch unter Beweis stellen, dass sie sich solchen verfassungsrechtlich problematischen Konzepten unkritisch unterstellen. Nicht mit uns als IGMG!“, sagte Yeneroğlu abschließend. Die neue Landesregierung werde aus seiner Sicht mit solchen Maßnahmen auch den Vertrauensvorschuss bei einem Großteil der Muslime schnell verspielen.

Hintergrund: „Islamisten“-Checkliste

Als Niedersachsens früherer Innenminister Uwe Schünemann (CDU) 2012 mit einem Leitfaden für die Präventionsarbeit hervorpreschte, zog er sich den Unmut der Muslime zu. In der sogenannten „Islamisten“-Checkliste stand unter anderem, das Gewichtsverlust und Reichtum ein Indiz für Radikalisierung sein könnten. Auch wurde erklärt, dass eine „intensive Beschäftigung mit dem Leben nach dem Tode“ oder auch die „zunehmend strengere Religionsauslegung“ ein Radikalisierungsmerkmal sein sollen.

Der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş, Oğuz Üçüncü, hatte schon damals erklärt, dass das niedersächsische Innenministerium die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen überschreitet und Muslime unter Generalverdacht stellt. Die muslimischen Religionsgemeinschaften Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion Niedersachsen (DITIB) und die Schura Niedersachsen kündigten nach der Veröffentlichung die Zusammenarbeit mit dem Innenministerium und dem Verfassungsschutz auf. Nach dem Regierungswechsel hatte sich der Ton zwischen den Muslimen im Land und der Landesregierung wieder verändert. Es bleibt abzuwarten, ob das nach dem jüngsten Vorstoß auch so bleibt.