Studie

Fortschritte bei Integration von Migranten

Menschen mit ausländischen Wurzeln sind heute besser integriert als vor zehn Jahren, so eine Studie. Sie zeigt aber auch: Lebenswelten driften auseinander. Und auch Migranten können besorgte Bürger sein.

21
11
2018
Cover Studie Migranten-Milieus

Die meisten Menschen mit ausländischen Wurzeln sind nach einer Studie heute in Deutschland besser integriert als vor zehn Jahren. Ein wachsender Anteil wolle sich anpassen und am Leben der eingesessenen Bevölkerung teilhaben, zugleich aber die eigenen kulturellen Wurzeln behalten. „Die große Mehrheit betrachtet sich als völlig selbstverständlichen Teil der Gesellschaft“, heißt es in der Untersuchung des Bundesverbands für Wohnen und Stadtentwicklung. Für diese wurden gut 2000 Migranten befragt – vom „Gastarbeiter“-Kind bis zum Flüchtling. Der Blick in die Details zeigt aber: Bestimmte Gruppen haben resigniert und koppeln sich ab.

MILIEUS

Auch bei Migranten fallen die Lebenswelten immer stärker auseinander. Die Autoren der Studie sehen insgesamt zehn Milieus, die sehr unterschiedlich integriert sind, darunter Nachkommen der einstigen „Gastarbeiter“ und Religiös-Verwurzelte, aber auch eine bürgerliche Mitte und die Szene der kosmopolitischen Intellektuellen. Von den rund 19 Millionen Menschen mit ausländischen Wurzeln in Deutschland gibt es die, sich für „deutscher als Deutsche“ halten. Und andere, die sich in eine Nische unter Ihresgleichen zurückziehen.

DIE EIGENEN WURZELN

Acht von zehn Befragten meinen, dass Migranten sich der übrigen Bevölkerung anpassen sollten. Die Deutschen sollten sie aber auch an ihrem Leben vollständig teilhaben lassen. Die Bräuche des Herkunftslandes – von Musik über Speisen und Getränke bis zur Kultur – bleiben für mehr als 70 Prozent aber weiterhin wichtig. Ähnlich viele sind „stolz auf ihr Herkunftsland“. Die eigenen kulturellen Wurzeln bewahren, das ist neun von zehn Migranten wichtig. Smartphone und Kopftuch – die Autoren sprechen von „hybriden Identitäten“.

IN DER NISCHE

Während es den einen gelinge, Karriere zu machen und sich engagieren, zögen sich andere in eine Nische zurück. „Die traditionellen und prekären Milieus fühlen sich ihrer Herkunftskultur insgesamt deutlich stärker zugehörig als noch vor zehn Jahren.“ Die deutsche Kultur sei ihnen fremd. Westliche Werte würden abgelehnt.

Das sei auch eine Folge sozialer Ungleichheit, Benachteiligung und Ausgrenzung. Diese Migranten resignierten. Dies gelte vor allem für das relativ kleine religiös-verwurzelte Milieu, dem rund 900 000 Migranten zugerechnet werden. „Ihre Probleme werden leider zu oft auf das Ganze projiziert“, sagte Verbandspräsident Jürgen Aring der Deutschen Presse-Agentur. Die Integrierten gerieten aus dem Blick.

STADT UND LAND

Zwei von drei Migranten halten das Zusammenleben hierzulande für gut oder sehr gut. Jeder dritte glaubt, es habe sich in den vergangenen Jahren verschlechtert. Die Wahrnehmungen entwickelten sich auseinander, schreiben die Autoren. Das hänge auch vom Wohnort ab. „In kleineren Orten scheint das Zusammenleben für viele besser zu klappen.“ Dort hätten Menschen mit ausländischen Wurzeln mehr Kontakt zur übrigen Bevölkerung.

SPRACHE

Die deutsche Sprache bleibe der Schlüssel für die Integration, hob Studienautor Bernd Hallenberg hervor. Unter den beruflich Erfolgreichen und im Milieu der Angepasst-Pragmatischen versuchen 80 Prozent, nur deutsch zu sprechen. Bei denen in prekären Verhältnissen sind es nur 44 Prozent, bei den Religiös-Verwurzelten nur 12 Prozent. Sie hätten kaum Kontakt zum Rest der Bevölkerung – was nicht nur selbst gewählt sei. Nordafrikaner, Araber und Türken berichteten am häufigsten von Diskriminierung.

BESORGTE BÜRGER

„Auch Migranten sind besorgte Bürger“, schreiben die Autoren und verwenden ein Etikett, das eigentlich Deutschen angeheftet wird, die gegen Zuwanderung protestieren. Migranten sähen zum Beispiel Politik und Medien ebenso kritisch wie die Gesamtbevölkerung, sorgten sich ebenso um die Sicherheit auf Straßen und Plätzen. Nur drei Prozent engagierten sich in Parteien und Bürgerinitiativen. Aber knapp jeder zweite sei in einem Verein, meist einem Sportverein.

WOHNEN

Benachteiligung bleibe für viele Migranten Alltagsrealität, schreiben die Autoren, die neben der Umfrage auch 160 Einzelinterviews geführt haben. Bei der Job- und Wohnungssuche hätten es Migranten schwerer, sagte Hallenberg. Wer ausländische Wurzeln hat, wohnt demnach auf weniger Wohnfläche, aber bei höherer Quadratmeter-Miete. Doch deutlich mehr als vor zehn Jahren wollten sich in den nächsten Jahren eine Wohnung kaufen – laut Studie ein Zeichen, dass die moderne und statusbewusste migrantische Mittelschicht wachse. (dpa/iQ)

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Anpassen muss sich nur, wer ein schwaches Selbstbewusstsein sowie ein geringes Selbstwertgefühl hat und deshalb das Bedürfnis spürt, von anderen angenommen zu werden und bloß nicht anzuecken. Menschen mit starkem Selbstbewusstsein und hohem Selbstwertgefühl haben es nicht nötig, sich anzupassen und gehen ihren eigenen Weg. Nur selbstbewusste Menschen, die ihren eigenen Weg gehen, schaffen Veränderungen, und nicht die Masse von Angepassten. Wer von anderen verlangt, sich anzupassen, der verrät damit vielmehr seine eigene Selbstunsicherheit und damit dass er vielmehr ein Problem mit sich selbst hat als mit der Andersartigkeit von anderen. Wer keine Straftaten sowie keine Ordnungswidrigkeit begeht, der kann ohnehin nicht belangt werden. Es ist bedauerlich, dass im Zeitalter der Globalisierung manche Zeitgenossen immer noch nicht gelernt haben, über den eigenen Tellerrand zu schauen und deshalb sich selbst zum Maß aller Dinge machen und dies auf andere übertragen. Vor allem die ältere Generation, welche in einem Deutschland ihre Kindheit verbracht haben, wo es noch nur Ihresgleichen gab. Doch das ist ein für allemal vorbei. Ein Trost, dass die künftigen Generationen mit den veränderten Umständen aufwachsen und diese ihnen selbstverständlich sein werden, so lange ihnen niemand etwas anderes erzählt.
22.11.18
12:01