Die Debatte um den Umgang mit religiösen Symbole geht weiter. Immer mehr Bundesländer wollen religiöse Symbole aus den Gerichtssälen verbannen. Im KNA-Interview spricht sich der Staatsrechtler Prof. Dr. Hinnerk Wißmann gegen einen generellen Verbot aus.
Auch die Bundesjustizministerin fordert mittlerweile, dass religiöse Symbole in Gerichtssälen nichts verloren haben. Wie bewerten Sie diese Forderung?
Prof. Hinnerk Wißmann: In immer mehr Bundesländern gibt es Bestrebungen, diese Fragen zu regeln. Grundsätzlich ist es zunächst gut, wenn eine sehr unterschiedliche und weithin ungeregelte Praxis vereinheitlicht und gesetzlich festgelegt wird. Inhaltlich finde ich die Entwicklung bedenklich. In den Bemühungen, religiöse Symbole aus dem Gerichtssaal herauszuhalten, spiegelt sich ein wachsendes öffentliches Misstrauen gegenüber Religion an sich.
Aber ist der Staat nicht gerade im Bereich der Justiz zu strikter Neutralität verpflichtet?
Wißmann: Das stimmt schon. Der Bürger muss sich darauf verlassen können, dass Richter, Staatsanwälte und andere Justizangestellte unparteiisch und allein auf der Grundlage von Recht und Gesetz handeln. Aber wer sagt denn, dass Menschen, die ein Kopftuch oder ein kleines Kreuz als Schmuck tragen, weniger unparteiisch entscheiden als andere? Warum können Menschen mit Kopftuch oder Kippa schlechter über Baugenehmigungen oder Korruption urteilen? Recht sprechen kann man auch mit Kreuz, Kipa oder Kopftuch.
Absolute Neutralität gibt es ja gar nicht…
Wißmann: Genau richtig. Entscheidend ist, dass Gerechtigkeit gegen Jedermann die innere Haltung bestimmt. Dafür ist die Robe ein starkes Symbol, das in der Tat nicht konterkariert werden darf. Aber: Staatsdienst bedeutet nicht Dienst an einem abstrakten Staat, sondern Dienst von Bürgern für Bürger. Auch Richter und Beamte sind Gläubige oder Atheisten, Konservative oder Progressive. Man kann sogar argumentieren, dass die Gesellschaft ein Recht darauf hat, zu wissen, dass da Menschen mit bestimmten Weltanschauungen in ihrem Namen handeln. Jedenfalls ist die bloße religiöse Erkennbarkeit als solche aus meiner Sicht noch keine Zumutung. Und wie weit soll die Neutralität reichen? Will man Richtern auch verbieten, sich öffentlich sichtbar für eine Kirche zu engagieren? Was ist daran aus Sicht des Publikums genau anders?
Muss man unterscheiden zwischen dem Kreuz an der Wand im Gerichtssaal und persönlichen, religiös aufgeladenen Kleidungs- und Schmuckstücken des Personals?
Wißmann: Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) argumentiert ja, das Recht werde durch Menschen gesprochen, nicht durch Säle. Deshalb habe ein Verbot der persönlichen Kleidungsstücke Priorität. Ich sehe das anders: Auch Richter und andere Justizmitarbeiter können sich auf das Grundrecht der Religionsfreiheit berufen, auch während der Dienstausübung. Auch im Staatsdienst haben Menschen Grundrechte. Es ist dann eine Sache der Klugheit, wie der Staat dies konkret regelt – etwa in einem Konfliktfall. Für das Kreuz an der Wand des Gerichtssaals gibt es solch einen rechtlichen Schutz nicht; es hat eine viel schwächere Position.
Gerade in Bayern gab es ja mehrfach den Versuch, zwischen christlichen und anderen religiösen Symbolen zu unterscheiden. Kreuze zulassen, Kopftücher verbieten – Halten Sie das für gerechtfertigt?
Wißmann: Nein, man kommt nicht umhin, alle Religionen gleich zu behandeln. Eine Privilegierung durch die Hintertür für christliche Symbole – wegen der vermeintlichen abendländischen Kultur – kann es nicht geben. Angefangen hat die Debatte im Bereich der Justiz ja mit Referendarinnen und Laienrichterinnen, die im Gerichtssaal ein Kopftuch tragen wollten. Eigentlich eine Erfolgsgeschichte: Nach Jahrzehnten der Migration in Deutschland schaffen es fromme Musliminnen endlich, in diesen Berufen Fuß zu fassen. Weil zeitgleich aber in der Öffentlichkeit ein hohes Misstrauen gegen den Islam entstanden ist, reagiert die Politik im vorauseilenden Gehorsam und will Kopftücher verbieten.
Für den Bereich der Schulen hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass ein generelles Verbot religiöser Symbole bei Lehrern nicht statthaft ist und es auf den Einzelfall ankommt. Sehen Sie da Wertungswidersprüche?
Wißmann: Für Schulen hat das Verfassungsgericht entschieden, dass es einen Ausgleich zwischen der Glaubensfreiheit der Lehrkräfte und der negativen Glaubensfreiheit der Schüler und Eltern geben muss. Danach muss es eine hinreichend konkrete Gefahr geben, dass Schüler und Eltern durch religiöse Symbole von Lehrern in ihren Rechten beeinträchtigt werden. Ich glaube, dass wir letztlich in der Frage der religiösen Symbole im Bereich der Justiz wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen werden. Es gibt meiner Ansicht nach keine plausible Begründung dafür, die beiden Bereiche unterschiedlich zu behandeln.
Welche Lösung würden Sie vorschlagen?
Wißmann: Ich würde mir mehr britische Coolness wünschen. Wenn Sie nach London kommen, werden Sie sehr schnell auch Polizisten mit Turban treffen. Bei den Briten weckt das keine Zweifel an der staatlichen Autorität.
(KNA, iQ)