Das Leid der Uiguren nimmt kein Ende. In Assimilationslagern werden die Angehörigen der muslimischen Minderheit zu treuen Staatsbürgern umerzogen. Ein Hintergrundbericht von Ilhan Bilgü.
China ist ein Land der Widersprüche. Das zeigt sich u. a. an der chinesischen Politik in Tibet und Ostturkestan. Zwischen den offiziellen Verlautbarungen aus Peking und der Realität vor Ort liegen Welten.
Ethnische Minderheiten in anderen Teilen Chinas genießen in kulturellen und religiösen Belangen heute eine relative Autonomie. Für die beiden Provinzen Ostturkestan (chinesisch Xinjiang) und Tibet gilt das nicht. Menschenrechtsgruppen schätzen, dass derzeit etwa 10% der uigurischen Bevölkerung in staatlichen Umerziehungslagern interniert sind. Für die Menschen in der Region Ostturkestan ist das keine Neuerscheinung. Im Gegenteil: Seit Jahren spitzen sich die Menschenrechtsverletzungen immer weiter zu. Die internationale Medienlandschaft nimmt davon jedoch erst seit kurzem Notiz.
Die Politik Chinas gegenüber Tibet und Ostturkestan hat historische Wurzeln. Das kommunistische Regime brachte die beiden vormals unabhängigen Provinzen mit militärischen Mitteln unter seine Kontrolle. Aus Angst vor dem Erstarken separatistischer Bewegungen setzt Peking seitdem auf Härte. Die buddhistische bzw. muslimische Identität werden unterdrückt, religiöse Freiheiten eingeschränkt. Was sich gegenwärtig in Ostturkestan und Tibet abspielt, gleicht jedoch mehr und mehr einer Politik der Vernichtung.
In Ostturkestan ist ein Anti-Islam-Gesetz in Kraft getreten, das uigurischen Kindern und Beamten den Moscheebesuch untersagt. In der Nähe von Schulen dürfen keine Moscheen mehr errichtet werden, auch das Gebet zu Hause und das Ramadan-Fasten sind verboten. Zu dem kulturellen Umerziehungsprogramm, das die Uiguren ihren Werten und Traditionen entfremden soll, gehört auch ein sogenanntes „Patenprojekt“. Jeder Familie wird ein „Erzieher“ zugeordnet. Dieser hat die Aufgabe, „oppositionelles Verhalten“ den lokalen Parteikadern und der Polizei zu melden. Wer seinen Kopf bedeckt, vor dem Essen die Basmala spricht oder ein gewisses Unbehagen angesichts der Anwesenheit eines fremden Mannes im eigenen Haus zu erkennen gibt, dem droht eine Gefängnisstrafe wegen „Verstoßes gegen die Werte Chinas“.
Laut offiziellen Angaben leben etwa 30 Millionen Muslime in China. Davon sind etwa 11 Millionen ethnische Han-Chinesen, weitere 10 Millionen Uiguren. Der Rest gehört weiteren ethnischen Minderheiten wie Kirgisen, Tadschiken, Kasachen, Bonan usw. an. Andere Schätzungen gehen von mehr als doppelt so vielen Muslimen aus. Diese Schwankungen hängen u. a. mit der strikten Ein-Kind-Politik zusammen, aber auch damit, dass die Religion in chinesischen Melderegistern nicht erhoben wird. Die staatliche Repression des Islams konzentriert sich auf die Region Ostturkestan. In anderen Teilen Chinas genießen Muslime dagegen weitgehende Religionsfreiheit.
Historischen Quellen kam der Islam bereits im 7. Jahrhundert n. Chr. nach China. Der dritte Kalif Usmân soll demzufolge Sad b. Abî Wakkas als Botschafter zum chinesischen Kaiser Yung Wei entsandt haben. Dieser ließ um 650 n. Chr. zu Ehren des Propheten in der Hafenstadt Guangzhou die Huaisheng-Moschee (Prophetenmoschee) errichten, die heute als eine der ältesten Moscheen weltweit gilt. Andere Quellen bestreiten zwar diese Reise des Prophetengefährten, stimmen jedoch darin überein, dass der Islam unmittelbar nach dem Tod des Propheten in China eintraf.
Die meisten Muslime in China sind Sufis. Die Mehrheit folgt der hanafitischen oder schafiitischen Rechtsschule des sunnitischen Islams. Unter den ethnischen Tadschiken ist der schiitische Islam weit verbreitet. In den letzten Jahren ist jedoch auch die Zahl der Anhänger der wahhabitischen Bewegung gestiegen, wenn auch nur in geringem Umfang.
Im 18. Jahrhundert entstand die Xidaotang-Bewegung, der noch heute viele chinesische Muslime angehören. Sie verbindet islamische mit konfuzianischen und schamanistischen Elementen. Frauen haben innerhalb der Xidaotang-Bewegung eine starke Stellung. Selbst nach der Machtübernahme der Kommunistischen Partei wurden Frauen mit einer theologischen Ausbildung als Lehrerinnen für den Koran- und Religionsunterricht beschäftigt. Auch als traditionelle Heilerinnen sind sie tätig. Unter den Uiguren oder anderen turkstämmigen Muslimen ist Xidaotang dagegen nicht sehr verbreitet.