Europäisches Dilemma

Angst oder Integration?

Die Forscherin Jocelyne Cesari durchleuchtet die Integration von Muslimen in Europa anhand vorliegender Daten und fällt ein vernichtendes Urteil über die Betrachtung des Islams durch die Sicherheitsbrille.

06
01
2014
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Die Integration von Muslimen in Europa gilt gefühlt als gescheitert. Vor allem die Idee des Multikulturalismus wird für dieses Scheitern verantwortlich gemacht. „Ein Blick auf vorliegende Daten zur Integration von Muslimen enthüllt jedoch eine mehrschichtige Realität“, schreibt Jocelyne Cesari. Die Senior Research Fellow am Berkley Center der Georgetown University und Direktorin des „Islam in the West“-Programms an der Harvard University beleuchtet in einem Essay für World Review den Status der Muslime in Europa und wie Europa auf die Muslime blickt.

Von Anfang an unterscheidet Cesari dabei zwischen sozio-ökonomischer, kultureller und politischer Integration von Muslimen.

Aus der ökonomischen Sicht sind die Ergebnisse ernüchternd. Trotz der Entstehung einer muslimischen Mittelschicht bereiteten vor allem die große Gruppe von Muslimen in unteren sozio-ökonomischen Gruppen Sorge. Man spreche bereits von einer muslimischen Unterklasse in den europäischen Staaten. Dies bedeute auch, dass Muslime eine geringere soziale Mobilität vorweisen und dauerhafter Diskriminierung ausgesetzt seien. Dies ändere sich auch nicht, wenn der Bildungsgrad oder die Ressourcen dieser Muslime mit denen anderer Migranten vergleichbar sei.

Muslime politisch stärker aktiv

Bei der politischen Integration zeigten die erhobenen Daten, dass sich Muslime politisch engagieren, in manchen Fällen sogar mehr als ihre „nichtmuslimischen“ Pendants. Muslime zeigten dabei eine andere Form des Engagements, bestätigt Cesari. Beispielsweise tendierten wenige Muslime dazu, wählen zu gehen oder Mitglied einer Partei zu sein. „Dafür sind sie dann in der informellen politischen Arbeit durch zivilgesellschaftliches Engagement und ehrenamtliche Arbeit anzutreffen“, schreibt Cesari.

„Das interessanteste Ergebnis ist jedoch, dass die Muslime sich nicht nur stark mit dem Islam, sondern auch mit ihrer europäischen Bürgerschaft identifizieren. Das Gegenteil ist für Nichtmuslime wahr. Diese haben eher ein distanziertes Verhältnis zu ihrer Religion“, schreibt Cesari und kritisiert gleichzeitig die Panikmache im politischen Diskurs.

Jocelyn Cesari forscht zu den Themen Islam und Globalisierung, Islam und Säkularismus, Migration und religiöse Pluralität. Ihr erfolgreiches Buch „The Islamic Awekening: Religion, Democracy and Modernity“ erschien im Cambridge University Press Verlag und basiert auf einer Forschungsarbeit über die Beziehungen zwischen Staat und Islam in Ägypten, der Türkei, dem Irak, Pakistan und Tunesien. Ihr Buch „When Islam and Democracy Meet: Muslims in Europe and in the United States“ (2006) ist eine Referenz in den Studien zum Europäischen Islam und der Integration von muslimischen Minderheiten in säkulären Staaten. Zuletzt veröffentlichte sie: „Why the West Fears Islam: An Exploration of Muslims in Liberal Democracies“, Palgrave, 2013.

Cesari koordiniert zudem die Arbeit an zwei Webprojekten zum Thema Islam und Politik: Islamopedia Online und Euro-Islam.info.

Darstellung des Islams

Den Islam als eine Gefahr darzustellen, sei ein Grund für die Kluft zwischen sozialer Realität der Muslime und dem politischen Diskurs über den Islam in Europa. Anti-Terrorismus und Sicherheitsaspekte trieben das Bedürfnis voran, Freiheiten und den Islam im öffentlichen Raum einzuschränken.

Das Ergebnis sei jedoch eine Islambetrachtung aus der Sicherheitsperspektive, was bedeute, dass übliche gesetzliche Regelungen aufgehoben würden, um außergewöhnliche Maßnahmen zu rechtfertigen. Diese „Versicherheitisierung“ habe das Ziel, dem Islam zu antworten, als ob es sich um eine existenzielle Gefahr für die Gesellschaft handele.

Die Betrachtung des Islams aus der Sicherheitsperspektive sei in der Sprache und Rhetorik sowie bei der Rechtfertigung für den „Krieg gegen den Terror“ erkennbar. Es richte sich mit politischer Gewalt dauerhaft gegen den Islam.

Einschränkung der Glaubensausübung

Die Daten der Studie zeigten, dass der Sicherheitsaspekt nicht nur in der Sprache sondern auch in der Leitung und bei politischen Maßnahmen Ausdruck finde, die nicht mit Terrorismus zu tun hätten. Es gehe dabei z. B. um Einschränkungen der islamischen Glaubensausübung (Minarette, Kopftuch, Burka, männliche Beschneidung), ebenso wie es um die Einschränkung von Zuwanderung oder der Bürgerschaft gehe. Unter diesem Aspekt würden der Islam und die Muslime zu „Anderen mitten im Westen“ gemacht, erklärt Cesari.

Muslime stünden unter schärferer politischer Beobachtung und Kontrolle, vor allem solche, die ihre religiöse Überzeugung durch ihre Kleidung und ihr Engagement in der Öffentlichkeit zur Schau stellten. Hier komme hinzu, dass die Zeichen für diese Aktivitäten, wie Moscheen und Minarette, höchst verdächtig geworden seien. „Durch diese Voraussetzungen werden nicht nur radikale Gruppen als eine Gefahr angesehen, sondern alle sichtbaren Aspekte der Religion des Islams“, konstatiert Cesari.

„Den Islam“ gibt es nicht

Den Islam aus einem Sicherheitsaspekt heraus zu betrachten bedeute auch, den Islam als einen monolithischen Block zu sehen, der von Europa nach Irak und Afghanistan reicht und überall gleich sei. Muslime würden entsprechend dieser Ansicht, über ihre Geschichte definiert und in eine Form gegossen, aus der sie nicht mehr flüchten könnten. Dies trage auch zu einer Polarisierung des Islams gegen den Westen bei und stärke vor allem extreme Gruppen innerhalb der Europäischen Union.

Einen Ausweg aus dem Dilemma sieht Cesari in der Bildung. Beispielsweise fordert sie, dass auch die religiösen Traditionen und die kulturelle Vielfalt Einzug in die Schulbücher finden und im geschichtlichen Kontext vorkommen sollten. Auch eine stärkere politische Repräsentation der Muslime, z. B. in Parteien oder Ministerien, könnten zu einem besseren Image beitragen, erklärt sie abschließend.