Buber-Rosenzweig-Medaille für Berliner Antisemitismus-Verein

„Kopftuchtragende Muslima und kippaloser Jude“

Lehrern beistehen, Schüler aufklären: Für ihr Engagement gegen Judenhass in der Migrationsgesellschaft wird eine Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus jetzt ausgezeichnet.

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03
2019
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Screenshot Antisemitismusreport - ARD © ARD-Mediathek, bearbeitet by iQ.
Screenshot Antisemitismus - ARD © bearbeitet by iQ.

Dervis Hizarci – kurzer schwarzer Bart, T-Shirt zum dunklen Anzug – ist ein offener Typ. Jemand, der Denkverbote kennt und Rückgrat hat. Diese „Haltung“ habe er von seinem Vater gelernt keine, sagt der 35-Jährige. Der gläubige Muslim, Sohn von türkischen Gastarbeitern, in den 80er Jahren in Berlin-Neukölln geboren, wandert gerne mit christlichen Freunden, seiner „katholischen Connection“. Und er ist Stürmer beim jüdischen Fußballclub der Hauptstadt, bei Makkabi Berlin.

„Die haben mich gefragt, weil sie auch mal gewinnen wollten. Aber mehr als Wunder bewirken kann ich nicht“, sagt Hizarci und grinst ironisch. Er sei dort aber nicht nur Mitglied aus Freude am Fußball, kommt dann mit Nachdruck hinterher. „Das ist auch ein Statement“, sagt er. Hizarci ist Vorstandsvorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA), die 2003 gegründet wurde und Konzepte gegen Judenhass entwickelt – als eine der ersten auch für die Einwanderungsgesellschaft. Am Sonntag wird die Organisation in Nürnberg dafür mit der Buber-Rosenzweig-Medaille geehrt.

Die Auszeichnung wird einmal jährlich vom „Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“ vergeben. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kommt, die Laudatio hält in diesem Jahr Sawsan Chebli (SPD), Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement.

Der KIgA-Verein liegt mitten im Kreuzberger Kiez, nebenan eine Änderungsschneiderei, gegenüber ein mexikanisches Restaurant und ein Spätmarkt. So bunt wie das Viertel ist auch die Initiative: „Bei uns arbeiten eine kopftuchtragende Muslima genauso wie ein kippaloser Jude und natürlich auch Christen“, so Hizarci.

Er betont, dass es sich trotz des Namens nicht nur um eine lokale Vereinigung handele – mittlerweile nimmt die Organisation auch an internationalen Fachkonferenzen teil. Sie versteht sich als politische Bildungsinstitution für die Migrationsgesellschaft, berät Schulen, organisiert Fortbildungen sowie Ausstellungen. Es gehe darum, Engagement gegen Antisemitismus als „moderne bürgerschaftliche Tugend zu etablieren“, formuliert Hizarci das Ziel.

Seine Motivation, sich für die interreligiöse Verständigung einzusetzen, liegt 18 Jahre zurück, datiert auf den 11. September 2001. Er war damals noch Schüler. Vor den terroristischen Anschlägen in den USA sei sein muslimischer Glaube in seiner Umgebung kein Thema gewesen, sagt er. „Aber dann wurde ich von vielen nur noch durch diese Brille gesehen.“ Es sei seine erste Begegnung mit Islamfeindlichkeit gewesen – und mit antisemitischen Verschwörungstheorien: Seine muslimischen Freunde machten teilweise Juden für die Anschläge verantwortlich.

Hizarci fing an, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, studierte Politik und Geschichte auf Lehramt und engagierte sich in einem Projekt, das Hass gegen Muslime und Juden gleichermaßen thematisierte. Danach war er lange Jahre Bildungsreferent im Jüdischen Museum.

In seiner Arbeit bei der KigA habe er die Erfahrung gemacht, dass man Antisemitismus in islamischen Kreisen vor allem dann effektiv bekämpfen kann, wenn den eigenen Diskriminierungserfahrungen der Jugendlichen genügend Raum gegeben und diese anerkannt würden, betont Hizarci. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass das Problem des Judenhasses gesamtgesellschaftlich besteht – auch bei „Herkunftsdeutschen“. Die polizeiliche Statistik machte noch im Februar eine deutliche Zunahme von antisemitischen Straftaten in Deutschland aus – zum Großteil begangen von Rechtsextremen.

Grundsätzlich sei es wichtig, dem Thema Antisemitismus unaufgeregt zu begegnen und sich Zeit zu nehmen – gerade bei Schülern: „Wenn ein Schüler ‚Du Jude‘ zu jemand anderem sagt, sollte nicht die erste Reaktion des Lehrers sein, eine KZ-Gedenkstätte zu besuchen“, empfiehlt Hizarci. Stattdessen solle man hinterfragen, ob derjenige überhaupt weiß, was er da gesagt hat, also den Bezug zur Vergangenheit herstellen und in der Klasse grundsätzlich über Beschimpfungen sprechen. „Ich säge so jemanden nicht ab“, sagt Hizarci. „Es ist genau der Moment, in dem ich versuche, ihn zu gewinnen.“ (KNA/iQ)