Der Tod und damit auch die Sterbebegleitung ist ein unumgänglicher Bestandteil des Lebens. Auf welche Aspekte muss bei sterbenden Muslimen besonders geachtet werden? Ein Beitrag von Bilal Şekerci.
Die meisten Muslime betrachten Deutschland inzwischen als ihre Heimat. Immer mehr von ihnen möchten nach dem Tod auch in Deutschland beigesetzt werden. Sterbebegleitung für Muslime ist aus der menschlichen und sozialen Perspektive eine besondere Herausforderung. In diesem Beitrag wird die Tätigkeit eines muslimischen Sterbebegleiters beschrieben.
Die Sterbebegleitung umfasst sowohl kulturelle als auch religiöse Aspekte, die in einer engen Beziehung mit dem Wohlgefallen Allahs stehen. In einer Überlieferung des Propheten Muhammad (s) heißt es: „Allah der Mächtige und Erhabene, wird am Tage der Auferstehung dem Menschen vorhalten: „O mein Diener! Ich erkrankte doch du besuchtest mich nicht!“. Der Mensch wird antworten: „O mein Herr! Wie hätte ich dich besuchen können, wo du doch der Herr der Welten bist?“ Allah wird erklären: „Hast du denn nicht erfahren, dass mein Diener Soundso krank war? Und du hast ihn nicht besucht? Hast du denn nicht gewusst, wenn du ihn besucht hättest, hättest du mich bei ihm gefunden!“.
Ein weiterer Hadith nennt den Krankenbesuch und die Teilnahme am Totengebet als wichtige Pflicht für jeden Muslim: „Fünf Pflichten hat der Muslim gegenüber seinen Geschwistern. Er ist verpflichtet, den Friedensgruß zu erwidern, dem Niesenden Allahs Erbarmen zu wünschen, der Einladung nachzukommen, den Kranken zu besuchen und dem Begräbniszug zu folgen.“
Ebenfalls wird die Teilnahme an der Beisetzung eines Gläubigen mit einem Lohn in Verbindung gebracht. Darüber heißt es in einer Überlieferung des Propheten: „Wer an einem Trauerzug teilnimmt, bis das Totengebet verrichtet worden ist, der wird mit einem ‚Kirat‘ belohnt. Und wer daran teilnimmt, bis die Beerdigung vollzogen ist, der wird mit zwei Kirat belohnt“. Jemand fragte den Propheten: „Wie viel sind zwei Kirat?“. Der Prophet erwiderte: Sie entsprechen zwei riesigen Bergen (an Belohnung)“.
Der Tod ist ein fester und unausweichlicher Bestandteil des diesseitigen Lebens. Aus muslimischer Sicht ist jedoch nicht das Ende, sondern der Übergang in eine neue, ewige Station, die in den Quellen als „Dâr al-Âhira“ bezeichnet wird:
„Und dieses diesseitige Leben ist nichts anderes außer Vergnügung und sinnlosem Treiben. Und gewiss, die jenseitige Wohnstätte ist doch das wahre Leben, würden sie es nur wissen!“
Mit dem Tod tritt der Mensch also in das ewige Leben im Jenseits ein. Im Koran heißt es dazu:
„Ihre Belohnung bei ihrem Herrn ist das Paradies, die von Flüssen durchflossen sind, darin sind sie ewig, für immer. (…).“
Wenn man sich vor Augen hält, dass der Tod eigentlich ein Anfang und kein Ende ist, und dass ein verstorbener Muslim eine Wiedergutmachung für das erlebte Leid bekommt, erscheinen all diese „Benachteiligungen“ in einem neuen Licht.
Seelsorgerische Tätigkeiten, die früher von Verwandten und Angehörigen übernommen wurden, gehören heute zu den Aufgaben der Imame oder muslimischen Seelsorger. Das liegt unter anderem daran, dass die Tätigkeit des muslimischen Sterbebegleiters neben Sensibilität und Empathie auch über ein religiöses Wissen erfordert. Dazu gehören Kenntnisse der Koranrezitation, motivierender Prophetengeschichten, aber auch über den Ablauf der Totenwaschung und des Totengebets.
Ziel ist es, die letzten Monate, Wochen und Tage des Sterbenden zu verschönern und zu vereinfachen, indem man diese Zeit mit ihm gemeinsam verbringt, ihm seine Ängste nimmt und ihm Mut zuspricht. Muslimische Sterbebegleiter werden durch verschiedene Rituale aktiv in die Betreuung und Unterstützung des Sterbenden eingebunden.
Erste Aufgabe des Sterbebegleiters ist es, den Sterbenden zu beruhigen und ihm Zuversicht zu geben. Hat der Sterbende Schmerzen, sollten diese durch medizinischen Beistand gelindert werden. Freunden und Angehörigen sollte es jederzeit möglich sein, dem Sterbenden durch ihre Anwesenheit ihre Wertschätzung zu zeigen und Geborgenheit zu geben. Dies symbolisiert nicht nur Zusammenhalt Freundschaft, es hilft ihm auch, die Situation einfacher zu verarbeiten. Vielleicht ist es auch die letzte Möglichkeit, sich von Familie und Freunden zu verabschieden.
Durch die Zugehörigkeit zum islamischen Glauben entstehen am Lebensende eines Muslims jedoch auch zusätzliche Bedürfnisse, auf die der Sterbebegleiter eingehen muss.
Aus islamischer Perspektive ist es am Wichtigsten, den Glauben des Sterbenden zu erhalten. Familie, Freunde und Besucher beten für ihn um Vergebung und rezitieren verschiedene Suren bzw. Verse aus dem Koran, wie zum Beispiel die Sure 36 (Yâsîn). Sowohl der Sterbende als auch seine Angehörigen können durch die Rezitation und Gebete Trost finden und sich beruhigen.
Es kann durchaus vorkommen, dass der Sterbende in seinen letzten Tagen Gewissensbisse bekommt und sich die Frage stellt, ob ihm Allah verzeihen wird. Auf solche Situationen sollte der Sterbebegleiter vorbereitet sein. Man kann beispielsweise Geschichten aus dem Leben der Propheten erzählen, um ihm Mut zu machen und Hoffnung zu geben, indem man den Sterbenden daran erinnert, dass niemand allein durch seine Taten, sondern nur durch die Barmherzigkeit Allahs ins Paradies gelangt. Wenn man merkt, dass sich der Tod nähert, sollte man dem Sterbenden das Glaubensbekenntnis ins Ohr flüstern. In einer Überlieferung der Propheten Muhammad heißt: „Derjenige, dessen letzte Worte ‚Lâ ilâha illallâh – es gibt keinen Gott außer Allah‘- sind, wird ins Paradies kommen.“ Der Sterbende sollte diese Worte nachsprechen, darf aber keinesfalls dazu gedrängt werden.
Der Sterbeprozess wird zusätzlich durch religiöse Rituale begleitet, die den Übergang vom Diesseits ins Jenseits erleichtern sollen. Da der Sterbende meist sehr großen Durst verspürt, sollten Mundbereich und Lippen des Sterbenden oft angefeuchtet werden. Wenn der Tod naht, sollte man versuchen, den Körper des Sterbenden behutsam auf die rechte Seite mit Blick Richtung Mekka zu legen, sofern das möglich ist, ohne ihm Schmerzen zuzufügen. Das Letzte, was der Sterbende einnimmt, sollte, wenn vorhanden, Wasser aus der Zamzam-Quelle sein.
Nach dem Eintritt des Todes werden die Augenlider des Verstorbenen geschlossen, die Arme werden entweder aufeinander oder seitlich neben den Körper gelegt. Damit sich der Mund nicht öffnet, wird dem Verstorbenen ein Tuch ums Kinn gelegt und mit dem Kopf verbunden. Auch die Füße werden an den beiden großen Zehen zusammengebunden. Dann erfolgt die Totenwaschung, und die Einkleidung des Toten mit dem Leichentuch. Im Anschluss wird das Totengebet verrichtet, bei dem die Gemeinschaft für den Verstorbenen betet. Außerdem bittet der Imam die Gemeinde, dem Verstorbenen zu verzeihen, wenn es Streitigkeiten gegeben haben sollte.
Nach dem Totengebet wird der Verstorbene in einem Holzsarg zum Grabe getragen, wo er ohne Sarg, nur in den Leichentüchern bestattet wird. Dabei versucht man, ihn mit Gesicht Richtung Mekka auf die rechte Seite zu betten. Der Imam bleibt nach der Beerdigung am Grab, rezitiert den Koran und spricht Bittgebete.
Sowohl die Waschung als auch das Begräbnis sollten zügig vonstatten gehen, idealerweise innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Tod.