Fast 3000 Menschen in Sachsen-Anhalt rechnet der Verfassungsschutz einer extremistischen Szene zu. Die größte Szene gibt es bei Rechtsextremisten – hier macht eine Entwicklung besondere Sorge.
Gemeinsame Demonstrationen, Sympathiebekundungen im Netz: Sachsen-Anhalts Sicherheitsbehörden sind besorgt über eine zunehmende Vernetzung und Vermischung von Rechtsextremisten mit der bürgerlichen Mitte. Als Beispiel nannte Verfassungsschutzchef Jochen Hollmann am Dienstag die Demonstrationen in Köthen im vorigen Herbst.
Hunderte Rechtsextremisten hätten bestehende Ängste der Bürger instrumentalisiert und Menschen ohne extremistischen Hintergrund hätten sich unter die Szene-Anhänger gemischt. Die extreme Rechte nutze gezielt bestimmte Themen, um Anknüpfungspunkte zu den Menschen zu finden. Als Beispiel nannte Hollmann Stimmungsmache gegen Asylsuchende oder den Islam.
Das lasse sich nicht nur bei Demonstrationen auf der Straße, sondern auch in den sozialen Netzwerken beobachten. „Die Hemmschwelle ist viel kleiner, auch extremeren Positionen zuzustimmen“, sagte Hollmann. Die Aufgabe des Verfassungsschutzes sei es, zu prüfen, inwiefern sich solche Kommentatoren im Netz tatsächlich radikalisierten oder eher Frust und Aggression abließen.
Durch verschiedene Situationen sei extrem rechtes Gedankengut salonfähig geworden, ergänzte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Das werde unter anderem durch die Wortwahl der AfD, etwa im sachsen-anhaltischen Landtag, begünstigt. In geringerem Ausmaß seien auch Versuche des linksextremen Spektrums zu erkennen, sich an die bürgerliche Mitte anzunähern, so Stahlknecht.
Als Beispiel nannten er und Verfassungsschutzchef Hollmann die Demonstrationen gegen die Innenministerkonferenz in Magdeburg im vergangenen Herbst. Das Bündnis „Unheimlich sicher“ sei von Linksextremisten getragen worden, ohne dass das allen Sympathisanten klar gewesen sei. Der Verfassungsschutz könne nur mahnen, genau hinzuschauen, mit welcher Gruppe man sich bei Demos gemein mache.
Der Verfassungsschutz rechnet in Sachsen-Anhalt rund 2880 Menschen einer extremistischen Szene zu. Bei den Rechtsextremisten sind es demnach wie im Vorjahr 1300 Anhänger. Die meisten seien nicht mehr an klassische Parteien wie die NPD gebunden, so Hollmann.
Auch rechte Kameradschaften hätten an Bedeutung verloren. Stattdessen zersplittere die Szene sich und vernetze sich eher anlassbezogen sowie im Netz. Dabei gebe es auch Überschneidungen mit Kampfsportgruppen und gewaltbereiten Fußball-Hooligans.
Den sogenannten Reichsbürgern werden 500 Menschen zugeordnet, etwas mehr als vor einem Jahr. Sie erkennen die Bundesrepublik und ihre Gesetze nicht an. Jeder zehnte „Reichsbürger“ sei auch rechtsextrem.
Dem linksextremen Lager ordnete der Verfassungsschutz 530 Menschen zu und damit 40 mehr als im Vorjahr. Den größten Anstieg verzeichnete der Verfassungsschutz bei den religiös begründeten Extremisten: Mit 300 rechneten sie 100 Menschen mehr dieser Szene zu als noch 2017. Hier bestehe die Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes darin, die Vorgeschichte von Asylsuchenden zu recherchieren, sagte Hollmann. Nicht alle, die vor Krieg und Terror flohen, seien unschuldig.
Mitarbeiter des Geheimdienstes durchsuchen soziale Netzwerke und scannen YouTube-Videos, um Extremisten oder frühere Untergrundkämpfer zu identifizieren. So sei es gelungen, zwei Gruppierungen zu identifizieren und die Informationen an die Bundesbehörden weiterzuleiten. Daraus resultierten bundesweite Strafverfolgungen gegen einen „zweistelligen Personenkreis“, so Hollmann.
Zudem beobachtet der Geheimdienst das Geschehen in den Moscheen. Es gebe einzelne Predigten, auch von Gästen aus anderen Bundesländern, die radikale Tendenzen aufwiesen, sagte der Verfassungsschutzchef. Aber das sei nirgends so dominant, dass man öffentlich Alarm schlagen müsste. (dpa/iQ)