Der Ramadan ist für viele Gläubige eine Reise. Eine Reise zurück zum bewussteren Leben. Unsere Autorin wird uns im Ramadan-Journal auf ihre Reise nehmen mitnehmen. Heute schreibt sie über ihre Sehnsucht und das erste Gebet.
Jetzt ist er da: der Ramadan. Ich habe mich so auf ihn gefreut, aber er hätte auch später kommen können. Es ist irgendwie komisch. Der Ramadan ist das einzige, auf das man sich freut und dennoch hätte man auch nichts dagegen, ihn etwas aufzuschieben. Auf der einen Seite die Vorfreude darauf, wieder zu Gott und somit auch wieder zu sich selber zu finden. Gleichzeitig hat man aber gar keine Lust, auf das Mittagessen mit den Kolleginnen und Kollegen zu verzichten, würde sich gerne noch einmal mit seinen Freundinnen im Café treffen. Sich gehen lassen ist so viel einfacher, als sich zu kontrollieren.
Doch wir wissen, es tut uns nicht immer gut. Diese innere Zerrissenheit spiegelt wohl den Konflikt wieder, der das Leben eines Muslims prägt. Nur dass im Ramadan das Herz eine bessere Chance hat, gegen die niederen Neigungen anzukommen.
Jedoch, trotz der Entbehrungen oder gerade wegen ihnen, habe ich auf diesen Monat gewartet, er kam mir sehr gelegen. Dieses Jahr besonders. Vielleicht, weil ich ihn im Moment besonders dringend brauche. Unzufrieden, gereizt und ausgelaugt wie ich mich gerade fühle. Aber, dass ich ihn so herbeigesehnt habe, dass ich mich so auf ihn freue, hey, das ist doch ein gutes Zeichen! Das heißt doch: Da ist noch was, da brennt noch eine kleine Flamme in mir. Es ist auch die Erinnerung an das erste Gebet im letzten Jahr, welche mir die Vorfreude gebracht hat. Die Erinnerung an einen emotionalen Moment. Ich fühlte mich Gott so nah. Überwältigt von diesem Gefühl überkamen mich damals die Tränen. Freudentränen darüber, dass ich Ihn an jenem Abend gefunden hatte, aber auch die Tränen der Sehnsucht, der Trauer und der Reue darüber, dass ich diesen Zustand nicht täglich erreichen konnte. Denn ich nahm mir sonst so gut wie nie die Zeit im Gebet, mich gewissenhaft darauf zu konzentrieren und die Welt da draußen zu vergessen.
Entsprechend erwartete ich das Magrib-Gebet am ersten Ramadan in diesem Jahr. Ich fasste die Absicht, das Gebet so zu verrichten, wie es die Gelehrten empfehlen: Zunächst führte ich die Gebetswaschung bewusst durch. Wusch meine Sünden von den Händen, spülte die schlechten Worte aus meinem Mund, rieb mein schmutziges Gesicht rein. Strich Wasser über meinen Kopf, um mich von den schlechten Gedanken zu befreien, wusch die Ohren, um die schlimmen Dinge abzuwaschen, die ich hörte und letztendlich wusch ich mir die Füße, mit denen ich nicht nur gute Wege ging. Gereinigt machte ich mich zum Gebet, setzte mich auf dem Teppich nieder, um meinen Körper und meine Seele zu sammeln. Stand auf, stellte mir vor, ich stünde vor Gott und die Kaaba läge vor mir. Unter mir das Paradies und das Höllenfeuer. Bewusst und langsam begann ich das Gebet mit dem Takbir. Ich rezitierte kurze Teile des Korans. Die Geste des Rukû verstand ich als Symbol der Verbeugung vor meinem Herrn, die Sadschda symbolisiert Demut und Hingabe. Ich hatte das Gefühl, alles richtig zu machen, voll konzentriert zu sein – doch ich fühlte nichts. Gar nichts.
So erkannte ich, wie weit ich von Gott entfernt sein muss, wenn ich ihn nicht mal in diesem besonderen Moment mehr spüre. Mich überkam ein Augenblick der Angst, den Glauben zu verlieren und ich erkannte, wie wertvoll der Islam für mich ist. Wie undankbar war ich doch Gott gegenüber gewesen! Und so verbrachte ich meine Sudschâd eine lange Weile in Dankbarkeit. Dankbar, für diesen Glauben, dankbar für all die scheinbar selbstverständlichen Geschenke, die er mir jeden Tag macht. Ich empfand tiefe Scham für meine Undankbarkeit gegenüber meinem Herrn, der mir doch so viel gibt, über das es sich freuen lässt.
Letztlich erkannte ich in meinem Sunnagebet die Bedeutung des letzten Abschnitts der Sure Fâtiha besser. In ihr bitten wir Gott darum, uns auf dem richtigen Weg, und nicht Irre gehen zu lassen. Denn ich glaubte, dieses Gefühl des Verlustes des Glaubens für einen Moment zu spüren. Und so vergoss ich dann in der letzten Sadschda, in meiner Bitte um Vergebung, doch noch ein paar Tränen. Und erkannte zu Beginn dieses neuen Ramadans etwas ganz Wesentliches, was mich in diesem Monat hoffentlich prägen wird: Das Gebet, der Ramadan, der Islam sind ein Geschenk. Und ich freue mich drauf.