Interview mit Imran Sagir

„Die Motivation an sich hat natürlich gelitten“

Berliner Muslime wollen sich gesellschaftlich engagieren. Sie gründen eine Zweckgemeinschaft und lassen Helfer professionell ausbilden. Doch dann wird das Projekt wegen Bedenken des Verfassungsschutzes auf Eis gelegt. Ein Gespräch mit Imran Sagir über den aktuellen Fall aus der Hauptstadt, der gute Absichten der Muslime kaputtmacht.

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01
2014
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Die Arbeitsgemeinschaft für muslimische Gefängnisseelsorge e.V. hat 28 muslimische Gefängnisseelsorger ausgebildet. Als der Verfassungsschutz einige Teilnehmer als bedenklich eingestuft hat, wurde das Projekt vom Berliner Justizsenat gestoppt. Wir haben mit Imran Sagir, dem Sprecher der Arbeitsgemeinschaft, über ihre Arbeit und die aktuelle Lage gesprochen.

IslamiQ: Wann wurde die Arbeitsgemeinschaft für muslimische Gefängnisseelsorge e.V. gegründet und mit welchem Ziel?

Imran Sagir: Das Ziel der Arbeitsgemeinschaft ist langfristig die Betreuung der muslimischen Inhaftierten von muslimischen Seelsorgern. Kurzfristig haben wir mit dem Senat die Gespräche dort angesetzt, dass wir in Einzelgesprächen Seelsorge anbieten und Freitagsgebete in den Berliner Gefängnissen verrichten. Sicherlich sollen auch nicht-muslimische Inhaftierte unsere Angebote in Anspruch nehmen dürfen.

Die Arbeitsgemeinschaft hat sich vor drei Jahren gegründet, aber damals noch als Arbeitskreis ohne Vereinseintragung. Damals ist die Senatsverwaltung an uns herangetreten, weil sie den Bedarf nach muslimischer Betreuung und Seelsorge in Gefängnissen erkannten. Die Senatsverwaltung hat dann mit verschieden muslimischen Vereinen gesprochen. Es wurden Vereine aus dem Islamforum, wo islamrelevante Themen zusammen mit den Berliner Integrationsbeauftragen, den Senatsverwaltungen,Religionsgemeinschaften und Muslimischen Vereinen und Verbänden besprochen werden, und Vereine, die seelsorgerisch tätig sind oder bereits Angebote in Gefängnissen gestartet hatten, angesprochen. Daraufhin hat sich ein Arbeitskreis gegründet. Es gibt in Berliner Gefängnissen einige „Islam AG“s, wo in Gruppenarbeit islamische Themen besprochen werden. Das allerdings ist alles auf ehrenamtlicher Basis.

 

IslamiQ: Können Sie uns ein wenig über den strukturellen Aufbau der Gemeinschaft erzählen, welche Vereine gehören zur Arbeitsgemeinschaft?

Imran Sagir: Der DITIB Landesverband Berlin, die Islamische Föderation Berlin, die Initiative Berliner Muslime, das Haus der Weisheit, die Lichtjugend, das Muslimisches Seelsorgetelefon mit dem Träger Islamic Relief und die Gemeinschaft Muslimischer Juristen.

 

IslamiQ: Wie haben Sie ihre Arbeit gestartet, wie die Ehrenamtlichen ausgebildet, konnte sich jeder dafür bewerben?

Imran Sagir: Erst mal wurde die Arbeitsgemeinschaft gegründet, damit wir mit einer Stimme sprechen können. So wurden dann auch die Gespräche mit dem Senat geführt. Diese Gespräche sollten eigentlich Ende 2012 beendet sein und auch mit einem Vertrag geregelt werden. Leider ist es wegen verschiedenen Bedenken nicht dazu gekommen. Wir sind aber weiterhin im Gespräch mit dem Senat und haben uns auch vor kurzem mit dem Justizsenator getroffen. In dieser Zeit haben wir in Absprache mit dem Senat einen Kurs entworfen, wo wir verschiedene aktive Muslime hauptsächlich aus unseren Vereinen angesprochen haben. Die haben dann Ende 2012 einen Crash-Kurs in Gefängnisseelsorge bekommen,  der einen Umfang von vier Wochenenden und sechs Abenden hatte und wo wir grundlegendes Wissen mitgegeben haben. Leider kam das Projekt nicht in die praktische Phase, weil es Bedenken seitens des Senats gab. Jetzt müssen wir diese Gespräche wieder aufnehmen und weitermachen.

 

IslamiQ: In den letzten Monaten wurde ihre Arbeit stillgelegt, weil gegen einzelne Personen ihrer Arbeitsgemeinschaft Sicherheitsbedenken auftraten. Werden auch andere Gruppen vorher vom Verfassungsschutz geprüft, oder gilt die Überprüfung nur für Muslime?

Imran Sagir: Es gibt verschiedene Arten von Sicherheitsüberprüfungen, jedenfalls ist bei uns dieser Eindruck entstanden. Richtig ist aber natürlich, dass jeder, der in einer Anstalt angestellt ist oder dort ehrenamtlich arbeiten möchte, vorher überprüft wird. Welche genauen Überprüfungen und Sicherheitsstufen es da gibt, das können wir aber nicht genau sagen, da sich dies unserer Kenntnis entzieht.

 

IslamiQ: War die Haltung des Senats für sie demotivierend? Vor allem im Hinblick darauf, dass Sie keine genauen Informationen bekamen.

Imran Sagir: Die Motivation an sich hat natürlich gelitten. Vor allem, weil es ja auch irritierend ist, zu wissen, dass die Menschen, die sich dort engagieren keine unbekannten Gesichter sind und wenn irgendwelche Bedenken kommen, die dann auch nicht benannt werden, dann ist es noch irritierender. Bis heute wissen wir nicht, wer davon betroffen ist und was in den Akten steht. Aber wir sind wieder im engen Kontakt mit der Senatsverwaltung und arbeiten auch konstruktiv zusammen, die Motivation ist also wieder da.

 

IslamiQ: Wie viele muslimische Inhaftierte gibt es in den Berliner Gefängnissen. Gibt es muslimische Gefängnisseelsorger, wenn ja wie viele?

Imran Sagir: Nein, es gibt keine angestellten muslimischen Seelsorger. Es gibt aber einzelne Personen, die entweder ehrenamtlich oder auf Honorarbasis einzelne Angebote machen, zum Beispiel Gruppentreffen. Dort werden aber nur für die Gruppe aktuelle islamische Themen angesprochen, keine Seelsorge, wo man über Ängste und Nöte spricht. Dabei sind diese Leute natürlich nicht direkt dafür ausgebildet, um Seelsorge zu betreieben. Wir sind mit diesen Menschen aber auch in gutem Kontakt, manche sind sogar aus unserem Kreis.

Wie viele Muslime es in Gefängnissen gibt, wissen wir nicht. Weil die Religionszugehörigkeit nicht erhoben wird. Man kennt natürlich die Staatsangehörigkeiten, dabei ist nicht jeder Türke oder Araber Muslim. Oder es gibt Muslime, die später konvertiert sind. Es gibt eine sogenannte „Moslemkost“, wo zumindest Schweinefleisch vermieden wird, aber das ist auch keine zuverlässige Basis. Weil es nicht-muslimische Insassen gibt, die die „Moslemkost“ in Anspruch nehmen und solche Muslime, die es mit der islamischen Nahrungsvorschrift genau nehmen und auf Vegetarisch ausweichen. Auch das ist also nicht aufschlussreich, aber ich schätze, dass z.B. etwa 30-40% der jugendlichen Inhaftierten einen muslimischen Hintergrund haben, wobei das wirklich nur ein Schätzwert ist, denn genaue Daten aus Erhebungen gibt es leider nicht.

 

IslamiQ: Welche rechtlichen Vorgaben müssen sich ändern, damit in Deutschland auch muslimische Seelsorger vom Staat gefördert werden; wie es zum Beispiel bei den evangelischen und katholischen Pfarrern der Fall ist?

Imran Sagir: An sich wäre es so gewesen, dass wir mit dieser Arbeit  genau dort einen Grundstein legen. Das Angebot sollte ja auch weiterentwickelt werden. Der Senat wollte direkt dazu einen Vertrag mit uns unterschreiben. Die nächste Überlegung wäre, ob man das nicht in einem Gesetz verankert, aber das muss man abwarten. Ich denke aber es wird zunächst nur zum Vertrag kommen, der unterschriftreif schon vorliegt, wir müssen nun noch mal Gespräche führen und Bedenken aus dem Weg räumen.

 

IslamiQ: Wie sehen die Pläne für Ihre Arbeit aus, was ist der letzte Stand bzgl. der Zusammenarbeit mit dem Justizsenat?

Imran Sagir: Wir sind nun im direkten Gespräch mit dem Justizsenator Thomas Heilmann, früher haben wir mit dem Abteilungsreferenten gesprochen. Und wir sind guter Dinge, dass wir dieses Jahr ein vernünftiges Ergebnis haben, womit wir dann unsere eigentliche Arbeit anfangen können.  Sicherlich gibt es auch von unserer Seite einige Mindestbedingungen, dass bestimmte Anforderungen wie Personal erfüllt sein müssen. Ich denke aber wir sind auf einem guten Weg, mit einer konstruktiven und kooperativen Gesprächsweise und werden auf eine gute Lösung kommen, inschaallah.