Vor zehn Jahren sagten die Schweizer Ja zum Minarett-Verbot. Muslimische Gemeinden haben seither ihre Öffentlichkeitsarbeit deutlich verstärkt. Doch das Ergebnis von 2009 schmerzt sie noch immer.
Die muslimischen Verbände der Alpenrepublik entschlossen sich nach dem 29. November 2009, die Bevölkerung aktiver zu informieren. Die Öffentlichkeitsarbeit wurde verstärkt; regelmäßig werden auch Nicht-Muslime zu Besuchen und Veranstaltungen in Moscheen eingeladen. So gesehen, meint Gemperli, habe die Minarett-Abstimmung auch ihr Gutes gehabt: Die Muslime hätten sich seither besser organisiert.
Dennoch stürzen sich die Medien nach Auffassung des 41-Jährigen bei jedem Konflikt in oder mit islamischen Gemeinden auf deren Vertreter. Dann, so der Konvertit und Kommunikationsprofi, würden furchtbare Szenarien geschildert. Er wolle die Konflikte nicht kleinreden, versichert Gemperli. Er wehre sich aber dagegen, dass „der Islam“ dann immer als Ganzes negativ dargestellt werde. So sei es auch vor der Minarett-Verbotsinitiative geschehen. „Wenn es Probleme in einer Gemeinde gibt, dann nehmen wir uns dessen an, um Lösungen zu finden“, so der FIDS-Sprecher.
Für ihn steht fest, dass sich das Ja zum Minarett-Verbot negativ auf das Gemeindeleben der Muslime im Land ausgewirkt hat: „Wir wurden durchgeschüttelt.“ Zwar engagierten sich junge Muslime heute vermehrt; sie seien aber zugleich zurückhaltender und wollten nicht als Gläubige erkannt werden. So fielen im Alltag nicht selten islamische Grußformeln weg, oder Eltern entschieden sich für neutraler klingende Vornamen für ihre Kinder. „Es findet leider auch ein Rückzug statt“, so Gemperli.
Mit Blick auf die kontroverse Debatte über eine aktuelle Burka-Verbotsinitiative kommt er dennoch zu dem Schluss, dass die ganze Schweizer Gesellschaft inzwischen dazugelernt habe. Heute werde über solche Fragen viel differenzierter diskutiert.
Religionswissenschaftler Andreas Tunger-Zanetti erinnert sich noch gut an die Reaktionen aus wissenschaftlichen Kreisen im Ausland: „Die Schweiz wurde als das Land mit dem Minarett-Verbot bekannt. Viele hatten dafür nur Kopfschütteln übrig.“ Aber das sei nun mal das Resultat der im Land praktizierten direkten Form der Demokratie. Und, ergänzt Tunger-Zanetti: Wäre damals in vergleichbaren Ländern abgestimmt worden, wäre es wohl zu ähnlichen Resultaten gekommen.
Pascal Gemperli blickt indes nicht ohne Sorgen in die Zukunft: „Die mehrheitlich negativ geprägten Medienberichte machen es fast unmöglich, sich ein objektives Bild vom Islam zu machen.“ Dazu passe auch die Burka-Verbotsinitiative.
„Die Schweiz will ernsthaft über eine Kleidervorschrift in der Verfassung abstimmen. Doch wir wissen noch nicht einmal, wie viele solcher Kleidungsstücke es in der Schweiz überhaupt gibt“, kritisiert der FIDS-Mann. Den Initiatoren gehe es wahrscheinlich darum, Muslime generell als „gesellschaftliches Problem“ darzustellen. Gemperli hingegen will nach eigenen Worten weiter daran arbeiten, „das friedliche Zusammenleben zu stärken“. (KNA/iQ)