Die Corona-Pandemie verunsichert auch Muslime. In der Telefonseelsorge können sie sich ausgebildeten Seelsorgern anvertrauen. IslamiQ hat mit zwei Anbietern muslimischer Telefonseelsorge gesprochen.
Es ist wohl eine Zeit, die für viele einzigartig und ungewohnt ist. Die Corona-Pandemie zwingt uns, unser Leben für eine unbestimmte Zeit drastisch zu entschleunigen, sie stellt den gewohnten Alltag auf den Kopf. Die Anweisungen in Deutschland sind deutlich: soziale Kontakte bis auf weiteres verringern.
Bis auf wenige Ausnahmen befindet sich jeder in den eigenen vier Wänden. Viele mit der Kernfamilie, andere allein. Das Büro ist geschlossen. Die Moscheen sind geschlossen, Freitagsgebete wurden abgesagt und auch die Vorbereitung auf den diesjährigen Ramadan verläuft mit einer großen Unsicherheit: Es wird vermutlich ein einsamer Ramadan werden. Daher ist das Corona-Virus für viele Menschen auch eine große psychische Herausforderung. Manche fühlen sich sehr einsam, andere haben große Angst um ihre Mitmenschen oder ärgern sich über das Verhalten ihrer Mitbürger. Vielen Muslimen fehlen zudem die religiösen Angebote, das Gemeinschaftsgefühl in der Gemeinde, die Gebete in den Moscheen.
Immer mehr Probleme tauchen auf, die Muslime in Deutschland zuvor nicht in diesem Maße bemerkt hatten. In der Hoffnung, ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Belange zu finden greifen sie zum Telefon und kontaktieren die muslimische Telefonseelsorge. Um die Ängste, psychische Belastungen und Fragen der Muslime während der Corona-Zeit zu betreuen, haben die Zentralstelle für islamische Wohlfahrt und Soziale Arbeit „Fudul“ und das Muslimische SeelsorgeTelefon „MuTes“ ihre Angebote erweitert.
Um die Situation während des Covid-19 zu erleichtern und Menschen, die Unterstützung brauchen, zu beruhigen und zu begleiten, bietet Fudul unterschiedliche Dienstleistungen an, die für jeden online zugänglich sind. Neben der anonymen Hilfs- und Sozialberatungshotline, die täglich von 16-20 Uhr erreichbar ist, besteht nun auch die Möglichkeit, systemische Familienberatungen mit ausgebildeten Beratern online durchzuführen.
Zudem wurde in Kooperation mit dem Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland und dem UKBA Bestattungshilfeverein eine Informationshotline für Pflege- und Gesundheitseinrichtungen eingerichtet, um ihre Fragen zum religions- und kultursensiblen Umgang mit muslimischen Patienten zu beantworten. Angefangen von islamischen Verpflichtungen über Rituale im Allgemeinen bis hin zu Ausnahmesituationen von Krankheiten wie des Corona-Virus. Diese Informationshotline ist Montag bis Freitag von 10-13 Uhr aktiv.
„Der Bedarf an der Telefonseelsorge ist gestiegen. Wir haben unsere Hilfs- und Sozialberatungshotline von drei Tagen die Woche auf sieben Tage die Woche ausgeweitet“, erklärt die Geschäftsführerin Meryem Özmen-Yaylak gegenüber IslamiQ. Bei den meisten Anrufen geht es nach wie vor um familiäre Probleme. Depression, Sucht und Kindererziehung. Sorgen und Ängste aufgrund der Corona-Krise bereiten sich laut Fudul meistens unter Schwangeren und älteren Menschen aus. Auch Themen wie die Bestattung und Überführung von am Corona-Virus verstorbenen Verwandten und Bekannten beschäftigen die Anrufer.
Immer wieder komme es zu Anrufen von Menschen, die Einsamkeit verspüren und jemanden zum Reden brauchen, weil sie sich Niemandem anvertrauen können, erklärt Fudul weiter. Bei Bedarf werden sie an professionelle Anlaufstellen, Psychologen und Therapeuten weitergeleitet. „Unsere ehrenamtlichen Berater und Beraterinnen sind glücklich darüber, dass sie die Möglichkeit finden, in dieser schwierigen Zeit sich solidarisch gegenüber ihren Mitmenschen zu zeigen und die Gemeinschaft zu stärken“, so Özmen-Yaylak abschließend.
Auch das Muslimisches SeelsorgeTelefon „MuTes“ betreut vermehrt Muslime, die wegen dem Corona-Virus und den damit verbundenen Einschränkungen belastet sind. Gespräche auf Deutsch bietet „MuTes“ rund um die Uhr an. Dienstags auch auf Türkisch. „Viele Anruferinnen und Anrufer vermissen angesichts der geschlossenen Moscheen ihr Gemeindeleben“, so der Geschäftsführer Mohammad Imran Sagir.
Die Muslimische Telefonseelsorge wird von 60 Ehrenamtlichen betrieben. Alle haben zuvor eine sechsmonatige Fortbildung absolviert, bestehend aus einem theoretischen Teil und einer Hospitanz bei erfahrenen Telefonseelsorgern. Zwei Drittel der Ehrenamtlichen sind Frauen, was dem Geschlechterverhältnis der Anrufenden entspreche.
Viele der Anrufer würden sich Sorgen über die Verwandten im Ausland machen. Auch dass Deutschland über weitere Einschränkungen im Alltag diskutiere, sehen demnach viele Muslime skeptisch. „In der Krise kommen auch ältere Menschen auf uns zu und haben Angst vor Isolation“, so Mohammad Imran Sagir. Die Angst alleine zu sein habe sich während der Corona-Pandemie verstärkt. Doch auch vor der aktuellen Situation sei dies ein großes Problem gewesen, erzählt Imran Sagir weiter.