DEUTSCHLAND, DEINE UMMA!

„Ich nutze Allahs Gaben, um Gutes zu bewirken“

In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? IslamiQ stellt querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma Deutschlands. Heute Fatma Erol-Kılıç.

15
04
2020
0
Fatma Erol-Kılıç
Fatma Erol-Kılıç © Privat, bearbeitet by iQ.

Fatma Erol-Kılıç (40) ist in Kopenhagen geboren, lebt in Berlin und ist Mutter von drei Kindern. Sie ist Diplom Wirtschaftsingenieurin, User Experience Expertin und Kommunikationstrainerin. Aktuell ist sie als Trainerin und Beraterin selbstständig tätig. Ihre Expertise bringt sie auch in muslimische Organisationen und Projekte ein.

IslamiQ: Sie geben Seminare zur Wissensvermittlung in Organisationen. Können Sie einen kleinen Einblick in den Arbeitsalltag geben?

Fatma Erol-Kılıç: Ich bin eine One-Woman-Show. Das bedeutet, ich mache alles Organisatorische selbst. Ich erhalte Anfragen von Kunden, für die ich dann ein Konzept schreibe. Entscheiden sie sich für mein Angebot, kommt es zum Gespräch, damit ich ihren Bedarf ermitteln kann. Danach führe ich Seminare oder Beratungen durch. Durch meine Seminare und Workshops vermittle ich Wissen zu Soft Skills wie Kommunikationstechniken, Konfliktmanagement und Gesprächsführung. Der Bedarf in diesem Bereich ist enorm.

IslamiQ: Sie sind ehrenamtlich in muslimischen Organisationen, Vereinen und Projekten engagiert. Was ist Ihr Motiv?

Erol-Kılıç: Allah hat uns viel geschenkt und viele Möglichkeiten gegeben, diese zu nutzen. Ich nutze sie, um der Gesellschaft, der Umma etwas zu geben und Gutes zu bewirken. Das ist mein Grund. Das habe ich von meinen Eltern vorgelebt bekommen.

IslamiQ: Wie ist die Resonanz auf Ihre Arbeit?

Erol-Kılıç: Sehr gut. Ich habe mehr als genug Aufträge. Ich arbeite mit muslimischen und nichtmuslimischen Organisationen und Institutionen zusammen. Einige reagieren gemäßigt auf meine Arbeit, einige haben Schwierigkeiten zu erfassen, dass es mein Hauptberuf ist. Aber diejenigen, die meine Arbeit kennen, schätzen sie – das ist ausreichend.

IslamiQ: Wie gestalten Sie ihre Freizeit am liebsten?

Erol-Kılıç: Ich treibe regelmäßig Sport, weil es gut für meine Gesundheit ist. Ich habe eine große Familie, einen großen Freundeskreis und auch ein deutschlandweit großes Netzwerk. Ich liebe es, mich mit Menschen zu treffen und mit ihnen gute Zeit zu verbringen.

IslamiQ: Lieblingsbuch? Lieblingsfilm?

Erol-Kılıç: Beim Thema Lieblingsbuch kann ich mich nicht festlegen. Mein Lieblingsfilm ist ungeschlagen seit 20 Jahren „Gladiator“.

IslamiQ: Was bedeutet Familie für Sie?

Erol-Kılıç: Familie ist das, was dir Geborgenheit und Wärme schenkt. In deiner Familie erlernt man die Weisheiten fürs Leben, ohne es zu bemerken. Familie ist ein Geschenk, Liebe und Zusammenkommen. All das müssen wir uns jedoch erarbeiten. Für eine gute Familie muss man sich anstrengen.

IslamiQ: Der schönste Moment in Ihrem Berufsleben?

Erol-Kılıç: Wenn ich in einem Workshop gemeinsam mit meinen Teilnehmenden Tränen vergieße. Der Raum ist mit dem gefüllt, was Worte nicht ausdrücken können.

IslamiQ: Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?

Erol-Kılıç: Meine Freundinnen sagen, dass ich gesellig, lustig und immer einen Schritt vorausdenkend bin. Ich glaube, das trifft es gut.

IslamiQ: Ihr Lebensmotto?

Erol-Kılıç: Mache stets das Beste aus deinen Möglichkeiten.

IslamiQ: Können Sie sich an eine Situation erinnern, in der Sie erstmals mit der Identitätsfrage (Islam und Deutschland) konfrontiert waren?

Erol-Kılıç: An die erste Situation erinnere ich mich nicht. Eine der typischsten Situationen war es allerdings, dass mich Kinder im Dorf meiner Eltern fragten, wie wir doch in Deutschland lebten, ob Deutschland schöner sei oder die Türkei. Diese Frage habe ich anfangs als Kind ganz einfach beantwortet. Dann wurde die Identitätsfrage immer komplizierter. Ich erinnere mich, wie ich zu meiner Abiturzeit mit unserem Türkischlehrer philosophiert habe, dass wir eine neue Bezeichnung für uns brauchten.

IslamiQ: Was ist Ihr größtes Ziel in diesem Leben und was tun Sie um dieses Ziel zu erreichen? 

Erol-Kılıç: Schwierige Frage. Mein Ziel ist es, stets etwas zu machen, womit ich Gutes und Erforderliches bewirke. Natürlich möchte ich mein Wissen und meine Expertise insbesondere der muslimischen Community, der Umma zugute kommen lassen. Ich möchte, dass wir als Muslime eine Lobby aufbauen, mit der wir unsere Interessen durchsetzen und unsere Ziele erreichen können. Das ist notwendig, um selbstbestimmt, gleichberechtigt, auf Augenhöhe für diese Gesellschaft agieren zu können, und dabei Gutes bewirken zu können, ohne unsere ohnehin geringen Ressourcen an vorhandenen und bekannten Problemen abzureiben. Dafür setze ich meine Expertise für mehr Professionalität innerhalb der muslimischen Gemeinschaft ein. Mein Ziel ist es, dass die nächsten Generationen sich nicht großartig an Themen wie institutioneller Diskriminierung abarbeiten müssen.

IslamiQ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Für sich selbst, für Ihre Familie, für alle Muslime in Deutschland.

Erol-Kılıç: Dass wir lernen, professioneller zu arbeiten, strategischer zu denken und Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus sollte es auf organisatorischer Ebene gleichberechtigter unter den Geschlechtern zugehen, also islamischer.

IslamiQ: Was muss passieren, damit Muslime hier als selbstverständlicher Teil Deutschlands angesehen werden?

Erol-Kılıç: Wir Muslime müssen mehr aus unseren Stärken machen, mehr zusammenarbeiten, strategische Synergien schaffen, über unsere Differenzen hinausgehen und das große Ganze vor Augen haben. Wir brauchen innermuslimische, interkulturelle, interreligiöse Allianzen. Wir können mehr aus den Entwicklungen und strategischen Schritten anderer Minderheiten in der Menschheit lernen. Wir können immer wieder zurück in die islamische Historie blicken und aus großen und großartigen Geschehnissen lernen, angefangen bei unserem Propheten Muhammad (s) bis hin zu großen Persönlichkeiten wie Malcolm X.  Neudeutsch nennen wir das Learnings. Wir müssen mehr lernen. Für mehr Selbstachtung und Selbstbestimmung. Dann erlangen wir mehr Standing – in unserer Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung.