Corona-Imame

Von der Kanzel zu YouTube – Imame in der Corona-Krise

Die Corona-Krise ist auch für Imame eine neue Herausforderung. Mit kreativen Alternativangeboten versuchen sie, ihre Gemeinde zu Hause zu erreichen. IslamiQ hat mit vier Imamen gesprochen.

25
04
2020
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Imame

Geschlossene Moscheen, keine Freitags- und Gemeinschaftsgebete mit dem Imam, keine spielenden und kichernden Kinder in den hinteren Reihen beim Gebet, fehlende Predigten des Imams und vielleicht der erste Ramadan ohne die Moschee. Das Corona-Virus hat das religiöse Leben der Muslime in Deutschland und Europa stark beeinflusst. Vor allem Imame blicken in leere Moscheen – und müssen nun alternative Angebote entwickeln.

Vor mehr als einem Monat haben islamische Religionsgemeinschaften erste Maßnahmen ergriffen. Sie haben die Gemeinschaftsgebete ausgesetzt und die Moscheen geschlossen. IslamiQ hat mit vier jungen Imamen über die Auswirkungen des Corona-Virus auf ihre Tätigkeit und den Wandel des Moscheealltags auf die sozialen Medien gesprochen.

Alternativangebote nehmen mehr Zeit in Anspruch

Imam Mücahid Eker ist in der IGMG-Moschee in Goslar tätig. Seiner Nebentätigkeit als Seelsorger in einer Justizvollzugsanstalt geht er auch in Corona-Zeiten nach. Aufgrund der anhaltenden Maßnahmen verzichte Imam Eker auf jeglichen persönlichen Kontakt mit seiner Gemeinde. „Für Mitglieder, die den Kontakt suchen, bin ich telefonisch jederzeit erreichbar.“

Das Thema rund um das Corona-Virus und die Schließungen der Moscheen beschäftige seine Gemeinde. „Wie lange bleibt die Moschee nun geschlossen? Wie lange werden die gemeinschaftlichen Veranstaltungen ausfallen? Wie wird der Ramadan verlaufen? Wie übt ein religiöser Mensch in einer solch schwierigen Situation seinen Glauben richtig aus?“ Das sind nur einige Fragen, mit denen er konfrontiert werde.

Laut Imam Eker haben die sozialen Medien in solchen Zeiten an Bedeutung gewonnen. Er arbeitet an diversen Videoreihen für seine Gemeinde. Außerdem finden regelmäßig auch Live-Predigten statt, die auf verschiedenen Social-Media-Kanälen ausgestrahlt werden. Seinen Unterricht hält er im digitalen Bereich aufrecht. Trotz der Moscheeschließungen findet er aktuell keine freie Zeit. „Der Alltag der Imame hat sich aufgrund der Corona-Krise zwar geändert, doch nehmen die Alternativangebote viel mehr Zeit in Anspruch als der ‚normale‘ Tagesablauf.“ Zudem versuche er die Nachbarschaftshilfe in Goslar voranzubringen, um den Bedürftigen und den Risikogruppen in der Gesellschaft möglichst schnell unter die Arme zu greifen.

Mit Blick zum bevorstehenden Ramadan erklärte Imam Eker, dass Muslime „eine der traurigsten Fastenzeiten der letzten Jahre erwartet“. Es sei natürlich besonders betrübt, dass es gerade im Ramadan keine gemeinsamen Gebete und keine gemeinsamen Iftar-Abende geben wird. Dennoch werde man mit alternativen Angeboten versuchen, die Spiritualität des Ramadan zu erhalten, auch wenn die Moscheen vorerst weiterhin geschlossen bleiben.

„Corona-Krise erschwert uns die Arbeit“

Ein weiterer Imam ist Kürşat Kaan Baki. Er ist in der Mimar-Sinan-Moschee (DITIB) in Leverkusen tätig. Für ihn stehen Imame vor einer großen Herausforderung. „Dass das Virus es auf soziale Zentren wie die Moscheen abgesehen hat, macht unsere Arbeit unmöglich“, erklärt Imam Baki. In seiner Moschee in Leverkusen wird täglich fünfmal zum Gebet gerufen, doch kommt niemand. „Das Gemeindeleben und die vielen sozialen Kontakte, die jetzt wegfallen, waren von großer Bedeutung“.

Die Kommunikation mit seinen Gemeindemitgliedern hält er mit seinem Smartphone aufrecht. „Wir telefonieren, schreiben uns Nachrichten oder unterhalten uns mit Videochats über verschiedene Nachrichtendienste.“ Auch die Jugendarbeit und die religiöse Bildung von Kindern führe er über soziale Medien fort.

In seiner freien Zeit hat Imam Baki mit weiteren Theologen angefangen, ein Buch ins Deutsche zu übersetzen. „Während unserer täglichen Arbeit kommen wir kaum dazu, akademische Arbeit zu leisten. Die durch den Virus entstanden freie Zeit nutze ich hauptsächlich in diesem Feld.“ Außerdem widmet sich der junge Imam in seiner Freizeit der klassischen Musik und übt sich in den Motiven der türkischen Dekorativkunst. „Das befreit einen und lenkt von den schlechten Nachrichten ab.“

Die Maßnahmen der Corona-Krise seien für ihn eine große Herausforderung und Belastung zugleich, da das Virus das Gewebe des sozialen Miteinanders auflöse. „Ich darf meine Familie, Freunde und Gemeinde nicht mehr sehen.“ Nichtsdestotrotz sollte man sich auf das positive konzentrieren, findet er. Aufgrund dieser Ängste hoffe er, dass die Gesellschaft nach dieser Corona-Krise mehr Freundschaft, Nähe und Nächstenliebe erntet.

Imame im Homeoffice

Für Imam Fatih Dur aus der DITIB-Moschee in Duisburg-Rheinhausen hat sich nicht viel verändert. „Mein Alltag als Imam ist im Grunde derselbe, nur mein Arbeitsplatz hat sich verändert. Nun bin ich zuhause als Imam tätig. Zusammen mit meiner Familie verrichten wir gemeinsam die Gebete.“ Seine freie Zeit nutzt er für die Planung und Forschung seiner Promotion.

„Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich erlebt, dass religiöse Nächte wie die Mirâdsch- und Berât-Nacht nicht in den Moscheen begangen wurde.“ Diese Entbehrung habe alle traurig gemacht. So ging er diverse Angebote und Seminare per Live-Übertragungen an. Für seine Gemeindemitglieder sei er zudem jederzeit telefonisch erreichbar.

Imame dürfen den Kontakt zur Gemeinde nicht verlieren

„Die größte Herausforderung ist, dass wir nicht wissen, wie lange dieser Zustand uns noch eingrenzen wird“, erklärt Imam Ebubekir Inan. Inan ist Imam der IGMG-Moschee in Garbsen. Auch er müsse sich an die neue Situation gewöhnen. „Ich richte meinen Fokus auf die individuellen Gottesdienste und investiere mehr Zeit in Bücher und das Vorbereiten meiner Vorträge.“ Etwas Positives habe diese Situation aber mit sich gebracht. Seine Moschee dürfe nun zum Abendgebet öffentlich zum Gebet rufen, um den Muslimen in der Umgebung Trost zu spenden. „Wir bedauern zutiefst, uns nicht mehr täglich treffen zu können, und wollen den Kontakt zueinander nicht schwächen“. Aus diesem Grund rufe er tagtäglich seine Gemeindemitglieder an, vor allem die ältere Generation, frage nach ihren Bedürfnissen und gebe ihnen geistigen Beistand. Seine Gemeinde nehme an einem Projekt zur Nachbarschaftshilfe teil. Außerdem bietet Imam Inan über soziale Netzwerke Onlinevorträge an. Auch der Koranunterricht findet per Videoanruf statt.

Kurz vor Ramadan beginnt Imam Inan Gemeindemitglieder sowohl geistig, als auch informativ mit Online-Vorträgen auf den gesegneten Monat Ramadan vorzubereiten. Damit seine Gemeindemitglieder im Ramadan unkompliziert ihrer Zakat-Pflicht verrichten können, hat er jedem Einzelnen Informationsmaterialien und Briefumschläge verteilt. „Es soll so unkompliziert wie möglich sein.“ Seine Gemeinde habe nur einen Wunsch: Endlich wieder gemeinsam in der Moschee beten.