RAMADAN IN CORONA-ZEITEN

Imame und ihre Gemeinden: Räumlich getrennt, aber geistig vereint

Aufgrund der Corona-Krise sind im Ramadan die Moscheen weitestgehend geschlossen. Die traditionellen Iftar-Abende und Gemeinschaftsgebete bleiben dieses Jahr aus. IslamiQ sprach mit zwei Imamen über einen Ramadan ohne Gemeinde.

07
05
2020
Moschee, Gemeinde
Neumünsteraner Gemeinde © Facebook, bearbeitet by iQ

Mit ihren zwei weißen Minaretten und den grünen Außenfassaden liegt die Neumünsteraner Gemeinde (Fatih Moschee) auf einer lebhaften Straße im Norden Deutschlands. Seit 1998 ist hier der Gebetsruf auch außerhalb der Moschee zu hören. Doch ist die Moschee aufgrund des Corona-Virus seit Mitte März geschlossen.

Imam Muammer Muslu ist schon seit über 24 Jahren in der Fatih Moschee tätig. Damit gehört er zu den Dienstältesten in Deutschland. Viele Kinder und Jugendliche hat er unterrichtet und als Imam begleitet. „Kinder, die ich bei Antritt meiner Tätigkeit unterrichtete, sind jetzt erwachsen und haben Familien gegründet“, erklärt Muslu gegenüber IslamiQ.

Die Sicherheitsmaßnahmen aufgrund der Corona-Krise sind für ihn befremdlich. Er berichtet von einem Erlebnis mit einem älteren langjährigen Mitglied der Gemeinde: „Nach der Schließung der Moschee traf ich einen älteren Mann aus unserer Gemeinde, der anfing zu weinen als er mich sah. Als ich ihn nach dem Grund fragte, sagte er: ‚Mein Sohn, wir haben uns von dieser Moschee noch nie getrennt. Wir waren dem Gebetsruf, dem Minarett noch nie so entfernt gewesen. Und jetzt so etwas.‘“

„Räumlich getrennt, aber geistig vereint“

Als Imam Muslu über die Schließung der Moscheen spricht, wird er emotional: „Es gibt einen älteren Mann, der seit Jahren zum Freitagsgebet kommt. Er kommt immer zur selben Zeit. Immer der gleiche Blick – wenn er beim Reingehen links und rechts bekannte Gesichter ausmacht. Der gleiche Platz. Egal ob Krankheit oder Gewitter, er ist jeden Freitag da. Naja, „war“ da. Wenn ich an diese Szene denke, merke ich, wie sehr mit das alles fehlt.“

Auch wenn die Moscheen geschlossen sind, ist Imam Muslu weiterhin für seine Gemeinde da. An Wochentagen telefoniert er mit ihnen. Vor allem bei den älteren und bedürftigen vergewissert er sich, dass es ihnen gut geht. „Wir sind zwar räumlich getrennt, aber geistig führen wir unsere Gemeinschaft fort“, sagt Muslu.

Während dem Ramadan wird in der Fatih Moschee die Mukâbala live auf Facebook übertragen. Zudem werden Vorträge und Gesprächszirkel komplett online abgehalten. Laut Muslu ersetzen diese Alternativen jedoch nicht ganz die traditionellen Gespräche: „Als Imame übermitteln wir Inhalte über dem Glauben und erinnern an Allah. Hierbei ist es wichtig, die Reaktionen des Gegenübers wahrzunehmen, um entsprechend zu handeln. Es macht mich traurig, der Gemeinde so nah, aber gleichzeitig auch so fern zu sein. Aber inschallah werden wir auch diese schwierige Zeit überstehen.“

„Es ist schwer, der Gemeinde fernzubleiben“

Auch Imam Salih Özbay aus der Dar’ül Erkam Moschee in Bergkamen hat beobachten können, wie schwer es für seine Gemeindemitglieder ist, der Moschee fernzubleiben. Imam Özbay ist bereits seit über 35 Jahren im Dienst und hat so manche Erfahrungen sammeln können. Aufgrund der Kontaktbeschränkungen kümmert er sich nun noch intensiver um seine Gemeindemitglieder. Denn in solchen Zeiten müsse man einander helfen, sagt er.

Imam Özbay berichtet über unterschiedliche Reaktionen der Gemeindemitglieder. „Ich habe beobachtet, wie manche Mitglieder vor die Moschee kamen, nur um sie zu betrachten. Wir haben Mitglieder, die nach der Arbeit zur Moschee fuhren und im parkenden Wagen weinten. Sowas hat mich sehr gerührt“, erklärt der Bergkamener Imam gegenüber IslamiQ.

Auch als die Gemeinschaftsgebete ausgesetzt und die Moscheen für jegliche Veranstaltungen geschlossen wurden, kam Imam Özbay seit Mitte März jeden Tag in die Moschee. Immer wieder sind Gemeindemitglieder vor die Moschee gekommen, sind aber ohne etwas zu sagen wieder gegangen. „Ich konnte den Leuten nicht die Tür öffnen. Das wurde aber mit Verständnis aufgenommen“, so Özbay weiter.

Auch Imam Özbay führt seinen Unterricht und seine Vorträge auf Online-Plattformen durch. Seine Gemeinde nimmt an einem Projekt zur Nachbarschaftshilfe teil. Außerdem haben sie sich mit einem Präsentkorb bei den Ärzten und Pflegern in Krankenhäusern führ ihren beherzten Einsatz gedankt.

Corona-Krise: Eine neue Herausforderung für Imame

Der Ramadan in Zeiten der Corona-Krise ist für Imam Özbay eine Herausforderung. „Seit 35 Jahren bin ich nun als Imam tätig. Ich habe noch niemals so eine trübselige Fastenzeit erlebt“. Dass er mal so eine Zeit erleben würde, sei ihm nie in den Sinn gekommen. „Die Pandemie stresst uns sehr, da sie nicht wie eine Naturkatastrophe auf lokaler Ebene stattfindet. Von hier bis zur Kaaba ist alles dicht. Das hat uns zutiefst mitgenommen.“

Die Corona-Krise beeinflusst die Arbeit der Imame am meisten, findet Imam Özbay. „Wir verbringen ein ganzes Leben in der Moschee. Wir als Imame sind sehr intensiv mit der Gemeinde in Kontakt.“ Angefangen von der Kinder- und Jugendarbeit und religiösen Angelegenheiten und Anfragen bis hin zu Hochzeiten, Wohltätigkeitsbasare und nicht zu vergessen die Freitags- und Tarâwîh-Gebete. Dennoch sei ihnen bewusst, dass dies eine Prüfung sei. „Wir müssen das beste aus der Situation machen und unsere Lehren aus dieser Krisenzeit ziehen.“

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Die Moschee ist mindestens genauso ein fester Bestandteil des Alltags wie die Schule, das Studium oder der Arbeitsplatz. Und es gibt nichts schlimmeres als von der Moschee fernbleiben zu müssen. Gerade im Ramadan. Es ist wie, als sei einem das Herz amputiert worden. Moscheen sind Orte, wo man sich zumindest für einige Minuten aus dem stressigen Alltag zurückziehen und zur Ruhe kommen kann. Und das fehlt einem. Nicht umsonst heißt es im Gebetsruf: Kommt her zum Frieden. Ein Trost, dass der Gebetsruf jetzt und auch in Zukunft zumindest einmal am Tag öffentlich erfolgt. Das spendet Trost und Dankbarkeit. Und ein Gefühl von Demut gegenüber dem Schöpfer dieses Universums.
08.05.20
6:03