Fünf Minuten lang wusste am Samstag niemand, wo der Attentäter von Halle, Stephan B., sich aufhält. Erst Tage später erfährt die Landesregierung davon. Die Ministerin kündigt Konsequenzen an.
Der Attentäter von Halle hat versucht, aus dem Gefängnis auszubrechen und ist dabei seinen Aufsehern für mehrere Minuten entkommen. Stephan B. sei während eines Hofgangs an der frischen Luft am Samstag über einen 3,40 Meter hohen Zaun geklettert und habe sich rund fünf Minuten unbeaufsichtigt im Gefängnis Roter Ochse in Halle bewegt, teilte das Justizministerium am Mittwoch mit. Während dieser Zeit sei er in ein Gebäude auf dem Gefängnisgelände gelaufen, habe da aber nur verschlossene Türen vorgefunden, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Daraufhin kehrte er demnach in den Innenhof zurück und sei dort von Vollzugsbeamten wieder in Gewahrsam genommen worden, ohne Widerstand zu leisten. Man könne von Fluchtabsicht sprechen, sagte der Sprecher.
Hinweise auf Komplizen oder vorsätzliches Verhalten der zuständigen Aufseher gebe es zunächst nicht. Nach dpa-Informationen wurde Stephan B. bereits am Mittwochnachmittag in das Hochsicherheitsgefängnis Burg gebracht und dabei von Spezialkräften der Polizei begleitet. Mit knapp 700 Haftplätzen ist es das größte Gefängnis in Sachsen-Anhalt und die einzige Hochsicherheitsanstalt des Landes.
Wie es zu dem Vorfall kam, war am Mittwoch zunächst unklar. Nach Angaben des Justizministeriums muss B., sobald er seine kameraüberwachte Zelle verlässt, ständig von mindestens zwei Aufsehern bewacht werden. Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) zeigte sich entsetzt und kündigte Konsequenzen an. Das Gefängnispersonal habe ganz offensichtlich Vorschriften verletzt, sagte die CDU-Politikerin am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. „Das muss Folgen haben“. Den Vorfall bezeichnete die Ministerin als „furchtbar“.
Keding bestellte für Donnerstag die Gefängnisleitung ins Ministerium nach Magdeburg. Dabei wolle sie von den Verantwortlichen auch wissen, warum sie erst am Dienstag von dem Vorfall am Samstag erfahren habe. Kritik an der Ministerin kam vom Koalitionspartner SPD. «Ich bin schockiert über den Vorfall im Roten Ochsen», teilte die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Silke Schindler, mit. «Ich bin aber ebenso befremdet über das Informationsverhalten der Justizministerin.» Die Abgeordneten hätten aus der Presse von dem Vorfall erfahren.
Stephan B. hatte am 9. Oktober 2019 – am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur – schwer bewaffnet versucht, in die Synagoge in Halle einzudringen. Er schoss auf eine Holztür und warf Sprengsätze. Als es ihm nicht gelang, in die Synagoge einzudringen erschoss er auf der Straße eine 40 Jahre alte Frau.
Im Anschluss tötete er in einem nahen Döner-Imbiss einen 20 Jahre alten Mann. Der Attentäter filmte die Taten mit einer Helmkamera, seine Aufnahmen waren via Internet live zu sehen. Auf seiner Flucht verletzte er mindestens zwei Menschen. Die Polizei nahm ihn fest, als er mit einem Auto gegen einen Laster fuhr. Spätere Ermittlungen haben gezeigt, dass der rechtsextreme Attentäter von Halle sich den Anschlag in Christchurch zum Vorbild genommen hatte und ursprünglich Moscheen angreifen wollte. (dpa, iQ)