Antimuslimischer Rassismus

Gedenkkultur an Marwa El-Sherbini kritisch hinterfragen

Der 1. Juli wird seit Jahren als Tag des antimuslimischen Rassismus begangen. Auch Politiker beteiligen sich an dieser Aktion. Warum das im Kampf gegen den Hass nicht ausreicht, erklärt die Vorsitzende der IGMG-Frauenorganisation Aynur Handan Yazıcı.

30
06
2020
Handan Yazici fordert die Gedenkkultur an Marwa El-Sherbini kritisch zu hinterfragen
Handan Yazici fordert die Gedenkkultur an Marwa El-Sherbini kritisch zu hinterfragen Foto: @igmg

1. Juli 2009. Der Tag, an dem Marwa al-Sherbini mit 16 Messerstichen im Dresdner Gerichtssaal ermordet wurde. Am 1. Juli stirbt auch ihr ungeborenes Baby, denn Marwa war im dritten Monat schwanger. Am selben Tag wurde auch ihr Ehemann von der Polizei angeschossen, als er ihr zu Hilfe eilte. Das alles vor den Augen ihres 3-jährigen Sohn Mustafa. Ein großes Trauma.

Rassismus, insbesondere antimuslimischer Rassismus, ist kein neues Phänomen. Islamfeindliche Ressentiments reichen Jahrhunderte zurück. Manche Politiker, Medien und anderen Akteure greifen gerne darauf zurück. Und genau aus diesem Grund sollte der 1. Juli, nicht nur ein Gedenktag sein, sondern der Tag, an dem aufs Neue antimuslimischer Rassismus hinterfragt wird. Denn auch elf Jahre nach dem Mord an Marwa El-Sherbini hat Deutschland weiterhin ein Problem mit antimuslimischem Rassismus.

Rassismus ist spürbar, die Sensibilität nicht

Seit Jahren wird der 1. Juli als Tag gegen antimuslimischen Rassismus begangen. In diesem Jahr wurde aus dem Tag die Woche gegen antimuslimischen Rassismus. Durch Aktionen, Podiumsdiskussionen und unterschiedliche Veranstaltung wurde auf den steigenden antimuslimischen Rassismus aufmerksam gemacht. Ziel ist es, die Mehrheitsgesellschaft zu sensibilisieren. Denn während die Aktionen zum 1. Juli nicht in der Mehrheitsgesellschaft angekommen sind, ist der antimuslimischer Rassismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Zahlen sprechen für sich.

Kampf gegen Rassismus – eine PR-Strategie?

So wichtig die Sensibilisierung und das Sichtbarmachen von antimuslimischem Rassismus auch ist: Der Tag bzw. die Woche gegen antimuslimischen Rassismus darf zu keiner Social-Media-Show ausarten. Wir leben in einer Zeit, in der Politiker ihre Wähler mit islamfeindlicher Stimmungsmache beeindrucken, sich aber am 1. Juli mit ihren muslimischen Mitbürgern solidarisieren und glauben, somit antimuslimischen Rassismus bekämpft zu haben.

Wir leben in einer Zeit, in der Menschen, die rassistisch angegriffen werden, nicht gehört werden. Viele rassistische Angriffe werden der Polizei nicht gemeldet, und die gemeldeten Fälle werden nicht effektiv verfolgt. Die niedrige Aufklärungsrate motiviert die Täter geradezu.

Warum wird Marwa El-Sherbini instrumentalisiert?

Es ist erforderlich, seine Stimme gegen den zunehmenden Hass zu erheben, sowohl als Opfer, als auch als Außenstehender – und zwar das ganze Jahr über. Wer die steigende Islamfeindlichkeit bekämpfen möchte, muss das Problem konsequent hinterfragen: Wie viele und welche Politiker verbreiten rassistische Ressentiments? Warum wird diesen Politikern eine Plattform angeboten? Warum wird dieser Tag instrumentalisiert? Politiker, die sich das Jahr über für ein Kopftuchverbot aussprechen oder Muslime als Problem darstellen, erhalten ein geeignetes Podium, um sich am 1. Juli reinzuwaschen.

 

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Prima auf den Punkt gebracht. Es ist die Natur der Politik des postmodernen Zeitalters, heuchlerisch zu sein. Deswegen bleibe ich unpolitisch und der Politik gegenüber kritisch eingestellt. Was uns allerdings nicht davon abhalten sollte, Politiker bei Fehltritten zu ermahnen und alle vier Jahre innerhalb des demokratischen Spektrums wählen zu gehen. Die im Artikel erwähnten Forderungen nach Kopftuchverboten sind ein Fehltritt, der nicht hingenommen werden darf. Im Zweifel ist die bewusste Nichteinhaltung von Kopftuchverboten verfassungsgemäßes Recht auf Widerstand gegen Unrecht und Einstehen für seine Grundrechte als Bürger dieses Landes. Eine Einhaltung ist nichts anderes als Einknicken vor Unrecht. Und das ist - auch religiös betrachtet - unzulässig. Wer antimuslimischen Rassismus bekämpfen will, der muss auch bereit sein, ihm zu widersprechen, selbst wenn er dafür Gegenwind bekommt.
30.06.20
17:54
Irmela Mensah-Schramm sagt:
Nun, hätte die Dresdner Justiz damals nicht so gnadenlos versagt, wäre Marwa noch am Leben, auch Ihr zweites Kind, welches noch ungeboren ebenfalls zu Tode gekommen ist. Ihr Mann - als muslimischer Angehöríger als Gewalttäter gesehen gleich noch von Justizbeamten angeschossen! Der kleine Sohn mußte dies miterleben. Ich kann die ständige Symbolik nicht ausstehen, dennoch darf dies niemals vergessen werden. Ich kann aber auch deshalb die ständigen symbolischen Aktionen nicht ertragen, wenn ich als Aktivistin, die ständig gegen den Hass - gegen Juden, Moslems, Christen, Menschen anderer Herkunft und Hautfarbe, eben alle Menschen, die nicht in das Weltbild der Hasser passen und deren Existenzrecht in Frage gestellt wird, kämpft und dafür kriminalisiert wird. Dies von eben jener Politik, die ja immer wieder - halbherzig - das Engagement der Zivilgesellschaft fordert! Dennoch gedenke ich Marwa und ihrer Familie mit dem Versprechen, weiterhin gegen diese öffentliche Verlogenheit und Ausgrenzung weiter zu kämpfen!
01.07.20
10:12