Einsatz für die Menschen

Die Bürde der MenschenrechtlerInnen

Die Menschenrechts- und Friedensaktivistin Saloua Mohammed schreibt über den Einsatz für ein freies, selbstbestimmtes und würdevolles Leben. Daran hindert sie auch ihr Kopftuch nicht.

10
04
2014
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Saloua Mohammed ist Friedens- und Menschenrechtsaktivistin. Sie zählt zudem zu den Mitbegründern der Lifemakers Deutschland. Sie tritt oft als Rednerin auf und gitl in zahlreichen Gemeinschaften als Vorbild für bürgerliches Engagement und Partizipation in Deutschland.

Die Bürde der MenschenrechtlerInnen

Jeder Mensch hat ein Recht auf ein würdevolles Leben, welches fernab von Gewalt, Diskriminierung, Angst und Hunger stattfindet. Eigentlich. Dass die Realität uns Menschen leider oft eines Besseren belehren kann, stellt ohnehin eine traurige Wahrheit dar. Wohin das Auge auch reicht: Hunger, Kriege, Gewalt und skrupellose Profitorientierung füllen den Alltag vieler Menschen auf dieser Welt. Weit weg von uns, irgendwo auf dieser Welt?

Eben nicht. All dieses Leid beginnt bereits vor der eigenen Haustür. Nur wie Menschen mit der Wahrnehmung solcher Situationen umgehen, ist hier die springende Frage. Unsere Haltung gegenüber all diesem Leid pendelt zwischen Hilflosigkeit und Schuldzuweisung. „Jeder ist seines Glückes Schmied“, tönt es meist als Antwort auf das Aufzählen von Missständen. Ist denn wirklich jeder Mensch seines Glückes Schmied?

Oder spielen auch verschiedene Faktoren wie das soziale Umfeld und seine gebotenen Chancen auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, die Familienstruktur, ihr Zusammenhalt aber auch vor allem dramatische Gegebenheiten wie (Ressourcen-)Kriege oder das Leben in Armut aufgrund von Ausbeutung, eine relevante Rolle?

Dass die beklagte soziale Ungleichheit ihre Wurzel unter anderem auch in den Eigenschaften wie die Ignoranz, Gier, Skrupellosigkeit, Entmachtung und Enteignung der Menschen bis auf die Grundmauern ihrer Menschenwürde hat, ist kein Geheimnis. Gerade diesen betroffenen Menschen, die um ihre Menschenwürde und Grundrechte gebracht werden, zur Seite zu stehen und ihnen ein Sprachrohr zu sein, während die meisten Mitmenschen wegschauen, ist nicht selten eine undankbare Aufgabe.

Denn sich vor allem gegen die mitreißenden gesellschaftlichen Ströme zu positionieren, ist alles andere als einfach. Hierbei läuft man Gefahr, sich unbeliebt zu machen. Aber was bedeutet Beliebtheit im Kontext der menschenrechtlichen Aktivität? Beliebtheit bedeutet nicht selten das Aufgeben von Idealen und Prinzipien.

Aber auch das Mitschwimmen im Strom der Masse, und somit die Unterstützung von sozialer Ungleichheit und Fehlentscheidungen können der Preis dieser angestrebten Beliebtheit eben sein. Menschenrechtler. Menschen, welche sich der Wahrung der Menschenrechte, das Eintreten für die schwächer gestellten in der Gesellschaft, und all den damit verbundenen Gefahren, die sich aufgrund dieses Einsatzes ergeben könnten, gewidmet haben. Sie verteidigen Ideale und Prinzipien im Sinne und zum Schutz anderer mit allem, was ihnen zur Verfügung steht, und dies trotz laufender Gefahr, selbst ins gesellschaftliche Abseits zu geraten. Doch Menschenrechte zu wahren bedeutet vor allem konsequent zu sein.

Will heißen, dass die Aussage: “Gleiches Recht für alle!“, nicht einfach so daher gesagt werden kann, da solch eine Aussage gravierende Einschränkungen für den Habitus eines Menschenrechtlers bedeuten würde. Zum Beispiel wäre eine unausweichliche Konsequenz, dass sich ein Menschenrechtler auch dann für die Menschen einsetzt, deren Lebensweise dieser wenig oder rein gar nicht vertritt, da eine absolut andere Werte- und Normenvorstellung vorhanden ist, sich jedoch  positioniert und sich für die betroffene Person einsetzt, wenn diese diskriminiert, ausgeschlossen oder gar Opfer von Gewalt wird. Die Situation, Menschen in Not zu schützen und vor allem im Kampf um ihre (Menschen-)Rechte zu unterstützen, bedarf somit nicht nur einer großen Überzeugung, sondern auch eine absolute Ehrlichkeit dem eigenen Gewissen gegenüber. Soweit, so nobel.

Doch wer also kann oder darf sich für diese Aufgaben berufen fühlen? Reflexartig könnte der Ausruf:“ Jede/r!“ in den Sinn kommen. Doch glauben Sie mir. Sie werden noch einmal überlegen, wenn ich Sie dabei anschaue und erneut frage, ob wirkliche jede/r in ihren Augen dazu gesellschaftlich gesehen befugt ist. Nicht selten irritiert gerade mein selbstbewusstes Auftreten meine Mitmenschen.

Mich im verbalen Kampf gegen soziale Ungleichheit und Gewalt zu sehen, verstört nicht selten meine Mitmenschen. Was dazu führt? Das von mir getragene, und jeden Tag liebevoll nach Farben ausgesuchte Stückchen Stoff, welches weder mein Gehirn abschnürt, noch das Denken versperrt. Ganz Recht: Dass all umstrittene und zu einem riesen Debakel angeführte Kopftuch.

Wenn Sie mich jetzt fragen, warum das so ist, muss ich ihnen leider sagen, dass ich immer noch nicht recht weiß, warum. Denn ich sehe in meiner spirituell getroffenen Entscheidung nichts, was mich daran hindern kann und wird, mich für alle Menschen, ganz gleich welcher Herkunft und ob sie einer Religion angehören oder nicht, einzusetzen, wenn ihr Leib oder Leben in Gefahr ist. Wenn Sie mich fragen, ob das denn sein muss, werde ich mit ja antworten.

Ja es muss sein, dass eine Frau frei und nach ihrem Belieben entscheiden darf, wie sie sich kleiden möchte, denn meine Kleidung sagt absolut nichts über meinen Einsatz und meiner Qualität als Menschenseele aus. Wenn Sie mich fragen, wie das dann zusammenpassen kann, werde ich Sie fragen: Was genau? Meinen Sie etwa die Menschenrechtswahrung auf der einen und die Freiheit, frei zu entscheiden und zu leben, auf der anderen Seite? Ja.

Denn jeder Mensch hat das Recht auf ein freies, würdevolles und vor allem selbstbestimmtes Leben. Lassen Sie uns gemeinsam Menschen in Not zeigen, dass wir ihre Lebenswelt respektieren, sie auf uns zählen können und wir in ihnen den Menschen erkennen. Und nur diesen.