Die Bundesregierung hat einen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit einberufen. Im Interview sprechen wir mit dem aktuellen KRM-Sprecher Burhan Kesici über die steigende Islamfeindlichkeit und die Erwartungen an den Expertenkreis.
IslamiQ: Herr Kesici, das Bundesinnenministerium hat einen Expertenrat Muslimfeindlichkeit berufen. Welche Erwartungen haben Sie an das Gremium?
Burhan Kesici: Die Gründung der Expertenkommission Muslimfeindlichkeit ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Damit verdeutlicht die Bundesregierung, dass sie sich über die steigende Islamfeindlichkeit und die alltägliche Diskriminierung der Muslime im Alltag im Klaren ist. Ich erwarte eine differenzierte Darstellung der aktuellen Situation. Die Hauptaufgabe des Gremiums sollte es sein, den Alltagsrassismus sowie die institutionelle Diskriminierung von Muslimen sichtbar zu machen.
IslamiQ: Sind Sie mit der Besetzung des Expertenrates zufrieden?
Kesici: Im Großen und Ganzen ja. Natürlich sind auch Experten dabei, wo wir eine andere Auswahl bevorzugt hätten. Außerdem hätten wir uns gewünscht, dass Vertreter der Religionsgemeinschaften mit im Rat sitzen, weil wir in erster Linie die Betroffenen sind und den Alltagsrassismus durch unsere Mitglieder mitbekommen. Letztendlich können wir aber in Kooperation mit dem Expertenrat unseren Beitrag leisten.
IslamiQ: Der Expertenrat wurde nach dem rassistischen Terroranschlag in Hanau gegründet. Hätte die Bundesregierung früher reagieren müssen?
Kesici: Wir haben in Deutschland leider die Erfahrung gemacht, dass sehr vieles hinausgezögert wird, und man nicht rechtzeitig reagiert. Selbstverständlich hätte die Bundesregierung nach den NSU-Morden oder nach der Ermordung von Marwa el-Sherbini das Problem beim Namen nennen und es bekämpfen müssen.
Islamfeindliche Straftaten werden erst seit 2017 gesondert erfasst. Dies war ein Ergebnis unserer langen Gespräche mit dem Innenministerium – im Rahmen der Deutschen Islamkonferenz. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die Bundesregierung schneller reagiert und bürokratische Hürden abnehmen.
IslamiQ: Für viele sind die offiziell erfassten Straftaten nur die Spitze des Eisbergs. Wie groß ist das Problem der Islamfeindlichkeit in Deutschland wirklich?
Kesici: Die Erkenntnisse seit 2017 zeigen, dass die islamfeindlichen Angriffe auf Muslime und ihre Institutionen weitaus häufiger vorkommen als gedacht. Das ist tatsächlich nur die Spitze des Eisbergs. Noch schlimmer ist, dass wir nichts über die Täter nur wenig über rechte Strukturen wissen und gleichzeitig fast täglich Hiobsbotschaften über Bundeswehrangehörige und Polizeiangehörige in rechten Milieus erhalten, die rassistische und antisemitische Äußerungen tätigen. Das zeigt uns, dass wir in Deutschland ein generelles Problem mit Islamfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Antisemitismus haben. Aus diesem Grund müssen wir gesamtgesellschaftlich dagegen vorgehen.
IslamiQ: Statistisch gesehen wurde im Jahr 2019 fast jede Woche eine Moschee angegriffen. Für viele Länder kein Grund, die Schutzmaßnahmen von Moscheen zu erhöhen. Wie beurteilen Sie dieses Verhalten?
Kesici: Wir erleben leider, dass Angriffe auf Moscheegemeinden, muslimische Institutionen oder auf Muslime sehr selten Reformen bzw. Schutzmaßnahmen mit sich bringen. In den Gesprächen mit dem Bundesinnenministerium und den jeweiligen Behörden wurden wir darauf hingewiesen, dass wir uns als Muslime selber um den Schutz unserer Einrichtungen kümmern müssen. Es war eine ganz große Herausforderung nach der Serie von Moscheeangriffen, die Polizei dazu zu bewegen, den Schutz vor Moscheen zumindest im Ramadan und bei den Freitagsgebeten zu erhöhen. Lange Zeit wurde dieser Zustand auf die leichte Schulter genommen.
Erst nach dem Angriff auf die Synagoge in Halle hat man die Sicherheitsmaßnahmen vor Moscheen erhöht. Und das zeigt uns immer wieder, dass wir hier Nachholbedarf haben. Im Gespräch mit dem Bundespräsidialamt habe ich gefordert, dass man sich auch öffentlich für die Sicherheit der Muslime einsetzen soll. Auf die Frage, was man konkret machen kann, antwortete ich, Muslimen das Gefühl zu vermitteln, dass man auf ihrer Seite ist und sie versteht. Denn dieses Gefühl fehlt manchmal. Muslime fühlen sich des Öfteren alleine gelassen.
Das Interview führte Muhammed Suiçmez.