Islamdebatte

Zehn Jahre „Der Islam gehört zu Deutschland“

Am Tag der Deutschen Einheit 2010 erklärte Bundespräsident Wulff, dass der Islam zu Deutschland gehört. Bis heute prägt dieser Satz die Islamdebatte.

02
10
2020
Christian Wulff - Der Islam gehört zu Deutschland
Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff © Photo: Martina Nolte, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de, bearbeitet IslamiQ

Bundespräsident Christian Wulff war gerade drei Monate im Amt, schon deshalb wurde seine Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2010 in Bremen mit Spannung erwartet. Überraschend deutlich widmete er sie dem Thema Integration. „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland“, stellte Wulff fest. Und dann: „Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Der Satz des Bundespräsidenten schlug ein und befeuerte die Islamdebatte. Auch zehn Jahre später gehen noch Ansichten und Meinungen auseinander.

Bereits 2006 hatte der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) bei Eröffnung der Deutschen Islamkonferenz verkündet: „Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas.“ Nun machte sich ein deutsches Staatsoberhaupt die Aussage in aufgeheizter Atmosphäre zueigen.

Er habe ein Signal für Vielfalt und gegen die Spaltung der Gesellschaft setzen wollen, erklärte Wulff später. Allerdings kam die Kontroverse dank seiner Rede erst recht in Fahrt. Hans-Peter Friedrich (CSU), Schäubles Nachfolger als Bundesinnenminister, hielt dagegen, es lasse sich „aus der Historie nirgendwo belegen“, dass der Islam zu Deutschland gehört. Andere Unionspolitiker schlossen sich an. Noch wich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einer klaren Positionierung aus. Laut einer „Yougov“-Umfrage war die Meinung der Deutschen dagegen eindeutig: Zwei Drittel lehnten Wulffs Aussage ab, nur 24 Prozent unterstützten sie.

Gaucks Unterscheidung zwischen Islam und Muslimen: ein fauler Kompromiss?

In den Folgejahren haderte die deutsche Politik denn auch weiter mit Wulffs Formel. Sein Nachfolger Joachim Gauck nahm sie 2012 quasi wieder zurück: „Der Islam ist nicht Teil unserer Tradition und Identität in Deutschland und gehört somit nicht zu Deutschland“, so das Staatsoberhaupt damals. „Die Muslime gehören aber sehr wohl zu Deutschland.“ Damit würdigte Gauck die Tatsache, dass die große Mehrheit der hiesigen Muslime sich in Deutschland zuhause fühlt und Demokratie und religiöse Toleranz genauso wertschätzt wie alle anderen. Trotzdem wirkte die Unterscheidung zwischen Islam und Muslimen auf manche wie ein fauler Kompromiss, der der Debatte eher ein Bärendienst erwies.

Anfang 2015 drehte Merkel das Rad schon wieder in die andere Richtung, als sie Wulffs Ansicht, wonach der Islam zu Deutschland gehört, wörtlich wiederholte – „das ist so, dieser Meinung bin ich auch“, so Merkel. Der Aufstieg der AfD gab dem Thema dann zusätzliche Brisanz. Das zeigte sich auch im März 2018, als der neue Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wiederum verkündete: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ – und damit heftige Reaktionen auslöste.

Rhetorische Karussellfahrten um Islam in Deutschland überflüssig

„Bedauerlicherweise gibt es immer noch sehr viele Realitätsverweitgerer in der Politik, die mit dieser Haltung dem Land und der Gesellschaft schaden“, sagt Ali Kızılkaya, ehemaliger Vorsitzender des Islamrats für die BRD, gegenüber IslamiQ. „Bundespräsident Wulf hatte damals einen wichtigen und großen Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft beigetragen und die Identifikation der Muslime mit ihrer (neuen) Heimat gestärkt“, erklärt Kızılkaya weiter. Und das Wulff dies am Tag der Deutschen Einheit gesagt hatte, sei besonders für Ali Kızılkaya, denn für in Deutschland geborene „Muslime wäre es nicht nachvollziehbar, dass ihre Religion in ihrer Heimat Deutschland nicht dazugehört“, so Kızılkaya abschließend.

Allen rhetorischen Karussellfahrten zum Trotz sind Ansätze für einen Islam in Deutschland längst erkennbar. Der islamische Religionsunterricht an Schulen macht bundesweit Fortschritte; islamische Lehrer, Theologen und auch Imame werden vermehrt an deutschen Universitäten und Instituten ausgebildet. Der Staat kooperiert mehr oder weniger eng mit islamischen Verbänden, auch wenn es nicht auf dem selben Niveau der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaft sind. Am Ende dürfte die endlose Debatte sich von selbst erledigen: Laut einer Studie des Pew Research Center werden bis 2050 bis zu 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland islamischen Glaubens sein. (KNA, iQ)

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
Das Affentheater, das um diesen Satz noch immer gemacht wird, ist nicht gerechtfertigt. Wulff hat eine Floskel geliefert. Er hätte konkreter werden müssen, welcher Islam denn nun zu Deutschland gehört und welcher nicht.
03.10.20
11:28
Vera Praunheim sagt:
Der Islam in all seinen Variationen und auch Schrecklichkeiten gehört zu Deutschland genauso wie der Scientology-Hubbardismus, der Hinduismus, der Buddhismus, der Spiritismus oder der koreanische Vereinigungs-Moonismus und vieles andere mehr. Nur daß der Islam von allen am meisten Aufhebens macht, sich ständig in den Vordergrund drängt und leider am meisten Probleme schafft. Natürlich kann er auch Menschen Halt, Hoffnung und Sinnstiftung auf unterschiedliche Weise geben. Aber das kann auch jedes andere religiöse oder spirituelle Angebot auf dem bunten, mitunter auch gefährlichen Glaubens-Jahrmarkt, der für jeden Menschen (m/w/d) das entsprechende Angebot bereithält. Grundsätzlich kann jede Religion positiv bereichernd oder auch belastend und destruktiv erlebt werden. Der plattitüdenhafte Satz von Christian Wulff über den Islam - ausgerechnet am Tag der Deutschen Einheit - war ein Missgriff und rechtfertigt keinesfalls seinen 'Ehrensold' von aktuell ca. 20.000,- € pro Monat auf Lebenszeit. Da hätte er schon klüger handeln können.
05.10.20
2:22