EU-Staaten dürfen nach Urteil des EuGH das rituelle Schlachten ohne Betäubung verbieten. Religionsvertreter äußern deutliche Kritik.
EU-Staaten dürfen nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Freitag bei rituellen Schlachtungen eine Betäubung der Tiere vorschreiben. Zwar schränke eine solche Vorschrift die Ausübung der Religionsfreiheit ein. Konkret sieht das Gericht aber im flämischen Schächtverbot ein „angemessenes Gleichgewicht“ zwischen Tierschutz und Religionsfreiheit. Das Urteil kommt dennoch überraschend, da ein EuGH-Gutachter kürzlich noch zu dem Schluss gekommen war, derartige Vorschriften widersprächen dem Recht auf Religionsfreiheit. Religionsvertreter kritisierten das Urteil.
Beim rituellen Schlachten von Tieren im Judentum und im Islam, werden Tieren ohne Betäubung Halsschlagadern sowie Luft- und Speiseröhre mit einem Schnitt durchtrennt. Die Tiere können so ausbluten. Der Verzehr von Blut ist in beiden Religionen verboten.
Mehmet Üstün, Präsident des „Exécutif des Musulmans de Belgique“ (EMB), einer der Kläger in diesem Verfahren, sagte in einer Pressemitteilung, dass sie den rechtlichen Kampf gegen die Halal-Schlachtung bis zum Ende fortsetzen werden. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Konformität des Gesetzes des flämischen Schächteverbots sei eine große Enttäuschung für europäische Muslime.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sprach von einem Angriff auf die Religionsfreiheit. Man hoffe, dass es keine Nachahmer in Europa finde und andere EU-Staaten die religiöse Schlachtung weiterhin ermöglichten. Bini Guttmann, Präsident der Europäischen Union jüdischer Studenten, warnte gar, die Ermöglichung eines Schächt-Verbots „könnte jüdisches Leben, so wie wir es kennen, langfristig unmöglich machen“.
Bekir Altaş, Generalsekretär der der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) beklagte die immer schwieriger werdende Leben für religiöse Minderheiten in Europa. „Gesetzgeber und Justiz überbieten sich beim Thema Tierschutz gegenseitig mit Heuchelei und Verlogenheit“, erklärte Altaş, „Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum betäubungslosen Schächten ist bestenfalls ein weiterer kläglicher Versuch, das eigene Gewissen in Sachen Tierschutz auf dem Rücken religiöser Minderheiten zu entlasten“, so Altaş weiter.
Tierschutz sei beim religiös motivierten Schächten ein hohes religiöses Gebot. Nicht nur der finale Schächtungsvorgang, sondern auch die Tierhaltung und die Zucht seien an strenge religiöse Vorgaben gebunden und werden dem Tierschutz vollumfänglich gerecht. Das krampfhafte Festhalten an der Betäubung reduziere den gesamten Tierschutz auf den finalen Tötungsakt. „Das wird der Sache weder gerecht, noch ist er glaubwürdig, wenn Gesetzgeber und Justiz gleichzeitig der Fleischindustrie im Wettbewerb um das billigste Fleisch fernab jeder Moralvorstellung praktisch unkontrollierte Narrenfreiheit geben“, bekräftig Altaş weiter. Derweil zahlten Muslime und Juden aufgrund der Einhaltung zahlreicher religiöser Tierschutzvorgaben freiwillig ein Vielfaches für ihr Fleisch an der Ladentheke.
Der Vorsitzende des Islamrats der Bundesrepublik Deutschland, Burhan Kesici, hält das Urteil des EuGH bzw. die Legalität des Schächtverbots in Europa für problematisch. Das Verbot greife tief in die Religionsfreiheit ein. „Das rituelle Schächten ist ein religiöses Gebot sowohl für Juden auch als für Muslime und ist durch die Religionsfreiheit abgedeckt sein“, sagt Kesici. „Wir führen diese Diskussion seit jeher in Europa. Man sollte hier nun endlich zu Gunsten der Religionsfreiheit entscheiden.“
Die Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER) befürchtet nach dem Urteil einen „Dominoeffekt“. Weitere Staaten würden weiterführende Verbote oder Einschränkungen erlassen, und so die Religionsausübung und insgesamt die Religionsfreiheit weiter erschwerten.
Für den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) Aiman Mazyek bewerte das Urteil, was als Teil eines religiösen Ritus möglich ist oder nicht, und das sei „der falsche Weg“. Veränderungen sollten durch die Religionsgemeinschaften selbst und nicht von außen erfolgen. „Der Ritus ist jahrtausendalter Teil jüdischen und muslimischen Lebens.“