Griechenland

Flüchtlingslager auf Lesbos: Matsch, Krätze, Hoffnungslosigkeit

Nach jedem Regen versinken Zelte im Schlamm, Strom gibt es nur mit Glück, Toiletten sind Mangelware: Gut 100 Tage nach dem Großbrand im Flüchtlingslager Moria kämpfen Helfer gegen den Winteranfang. Und gegen die Gleichgültigkeit vieler EU-Staaten.

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2020
Lesbos Flüchtlingslager (c)facebook, bearbeitet by iQ
Lesbos Flüchtlingslager (c)facebook, bearbeitet by iQ

Moria ist abgebrannt – doch die Hoffnung so mancher auf ein Ende des Elends der Migranten und Flüchtlinge auf Lesbos hat sich damit nicht erfüllt. Im neuen, provisorischen Flüchtlingslager auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Kara Tepe (Griechisch: Mavrovouni) hausen rund 7500 Menschen, darunter viele Kinder, Schwangere und Kranke. Sie teilen sich 400 Dixie-Klos, die bei Stürmen auch mal umfallen, sowie 200 Duschen, nur ein paar wenige mit warmem Wasser.

„Nach Kenntnis der Bundesregierung ist das Zeltlager Mavrovouni aktuell mit winterfesten Zelten ausgestattet“, heißt es jüngst in einer Auskunft des Bundesinnenministeriums an die Grünen-Fraktion. Wie winterfest, beschreibt eine deutsche Ärztin der dpa: Regnete es, entstehe eine Schlammwüste samt Flüssen und Seen. Das Flüchtlingslager liegt direkt am Meer und sei damit Sturmböen ausgesetzt, die Planen mit sich rissen und Zelte zerstörten. Helfer kämpften darum, die Zelte wenigstens mit Holzpaletten zu unterbauen, damit sie beim nächsten Regen nicht von Matsch überschwemmt würden.

„Die Lebensbedingungen im Flüchtlingslager machen krank“

Ihren Namen möchte die Ärztin lieber nicht nennen. Ein neues Gesetz der griechischen Regierung verbietet es Helfern in Flüchtlingslagern, mit Medien über Missstände zu sprechen, wie die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisiert. Fotografen haben keinen Zutritt mit der Begründung, sie könnten Corona in das Lager einschleppen. „Aber Corona ist hier noch die geringste Sorge. Bei all dem, was die Menschen im Camp überleben, ist es nicht Corona, das dem Gesundheitszustand zu schaffen macht“, sagt die Ärztin.

Es sind vielmehr die unzureichende Versorgung und die Aussichtslosigkeit. Mangels Waschmöglichkeiten seien Krätze und Läuse allgegenwärtig, behandelt würden häufig offene Wunden, Abszesse, Durchfall- und Atemwegserkrankungen sowie Gelenkschmerzen, die sich wegen der Feuchtigkeit und schlechter Schlafstätten einstellen. „Die Lebensbedingungen hier machen krank“, sagt die Medizinerin.

Rattenbisse und Vergewaltigung

Die griechische Regierung wehrt sich gegen Vorwürfe: So seien etwa Berichte über Rattenbisse bei Babys erfunden, die Medien verzerrten die Realität, gerade erst habe Migrationsminister Notis Mitarakis das Camp mit Lokaljournalisten besucht, teilte das Migrationsministerium am Montag mit. Es gebe Probleme, doch die würden angegangen, die gesundheitliche Versorgung werde vom Roten Kreuz und anderen Organisationen abgedeckt.

Vorfälle mit Babys und Ratten kann auch die deutsche Ärztin nicht bestätigen, doch die medizinische Versorgung befinde sich auf allerniedrigstem Niveau, sagt sie. Jeden Tag müssten Patienten weggeschickt werden, schon morgens um sechs stünden die Menschen an. „Hinzu kommen psychische Probleme, da haben wir die ganze Bandbreite, darunter regelmäßig Suizidversuche.“

Auch zu Gewaltausbrüchen kommt es immer wieder – vergangene Woche soll im Lager ein dreijähriges Mädchen vergewaltigt worden sein, wie SOS-Kinderdörfer mitteilten. Es herrscht Angst. „Nachts ist es hier stockdunkel, die Frauen trauen sich nicht aus den Zelten, um auf Toilette zu gehen“, sagt die Ärztin. Denn Strom, erklärt sie, gebe es nur per Generator und dann nur ein, zwei Stunden am Tag.

Dauerhaftes Flüchtlingslager auf Lesbos

Und all das, obwohl Griechenland in den vergangenen fünf Jahren laut der EU-Kommission mehr als 2,8 Milliarden Euro aus EU-Töpfen für das Migrations-Management bekommen hat. Fragt man die Brüsseler Behörde, ob sie mit den Zuständen in Kara Tepe zufrieden sei, heißt es, die Bedingungen blieben „sehr schwierig“. Man arbeite aber intensiv an einer dauerhaften Lösung. So hat die Behörde Anfang Dezember eine Absichtserklärung mit Griechenland unterschrieben, dass bis September 2021 ein neues, dauerhaftes Flüchtlingslager auf Lesbos entstehen soll. So lange müssen die Menschen wohl weiter im Übergangslager wohnen.

Die EU-Kommission betont, nach dem Moria-Brand sei Kara Tepe in „Rekordzeit“ aus dem Boden gestampft worden und habe alle obdachlos gewordenen Menschen aufnehmen können. Dies sei damals absolute Priorität gewesen. Derzeit arbeite man mit den griechischen Behörden und anderen Organisationen daran, die Bedingungen zu verbessern.

So seien mittlerweile alle Zelte winterfest und Heizungen für jedes Zelt sollten bald verteilt werden. Auch Warmwasserduschen seien installiert und die Anzahl an Duschen und Toiletten sei seit Oktober deutlich erhöht worden. Ebenso werde der Schutz vor Überschwemmungen gerade fertiggestellt. Derzeit werde am Elektro-, Wasser- und Abwassernetz gearbeitet. Auch die Bundesregierung schickte seit September acht LKW-Konvois. Die Bewertung der Lage ist in Brüssel und Berlin deutlich anders als vor Ort.

Wo bleibt die europäische Solidarität?

Nun soll bis September eine Art Vorzeige-Lager auf Lesbos entstehen – unter Mitwirkung der EU-Kommission und mehrerer EU-Behörden. Derzeit werde ein Standort gesucht, heißt es. Entstehen soll ein Lager mit Bereichen zum Wohnen, für Neuankömmlinge, für die medizinische Versorgung und zur Erholung – etwa für Sport oder zum Spielen. In Fertighäusern sind Bildungsangebote geplant – aber auch ein Haftbereich. Anstelle der abschreckenden Wirkung von Camps wie Moria oder Kara Tepe sollen hier – zumindest wenn es nach der EU-Kommission geht – Asylverfahren und Rückführungen zügig durchgeführt werden.

Die oft beschworene europäische Solidarität zeigte sich nach dem Moria-Brand zunächst nur verhalten. Nach einigen Tagen erklärten sich dann zehn europäische Länder bereit, 400 Minderjährige aus Griechenland aufzunehmen. Weitere folgten im Laufe der Wochen. Mit Stand 23. November habe es Angebote für knapp 2700 Umsiedlungen von der Insel Lesbos gegeben, heißt es aus der EU-Kommission. Knapp 1000 davon seien bislang durchgeführt worden. Zudem seien nach dem Moria– Brand knapp 2900 Personen aufs griechische Festland gebracht worden.

In Deutschland wären etliche Länder und Kommunen bereit, deutlich mehr Menschen als bislang aufzunehmen. Bei den letzten Kontingenten mit 1703 Plätzen wären die Länder zur Aufnahme von insgesamt 4253 Menschen bereit gewesen, heißt es beim Bundesinnenministerium. Das allerdings verhindert Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Er besteht darauf, dass andere europäische Länder sich an der Aufnahme von Migranten aus Griechenland beteiligen. Je weiter sich Deutschland vorwagt, desto geringer sei die Bereitschaft zur Aufnahme anderswo, so die Befürchtung.

Für junge Europäer ist Situation frustrierend

Insgesamt hat Deutschland seit März 1518 Migranten aus Griechenland aufgenommen. Die Forderungen nach einer deutlich großzügigeren Aufnahme reißen jedoch nicht ab. Vor wenigen Tagen erst forderten mehr als 240 Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen außer der AfD in einem „Weihnachtsappell“ neben einer „europäischen Lösung“ auch eine verstärkte Aufnahme von Migranten aus Griechenland in Deutschland.

„Ich kenne solche Zustände aus Afrika, aus Südamerika – aber das hier ist Europa“, bilanziert die deutsche Medizinerin. Für junge Europäer sei die Situation extrem frustrierend, dass in ihrer zivilisierten Staatengemeinschaft solch ein Lager möglich sei. „Eigentlich sollte die ganze europäische Chefetage mal eine Woche hier im Camp leben und in Zelten schlafen, damit die wissen, wie das ist.“ (dpa/iQ)

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
Was nachen die Griechen eigentlich mit den ca. 3 Milliarden Euro, die sie von der EU bekommen haben, um Flüchtlinge unterzubringen?? Sieht ganz danach aus, als sollten Moria und Lesbos zur Abschreckung dienen. EU-Standards entspricht das jedenfalls nicht.
22.12.20
14:47
Ute Fabel sagt:
Die Menschen, die sich auf Lesbos aufhalten, sind Migranten und keine Flüchtlinge. Sie sind illegal von nach Griechenland aus der Türkei eingereist, ohne dort einer Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein. Sie haben Schlepper bezahlt und damit deren Geschäftsmodell unterstützt. Auch wenn deren Lebenssituation gewiss trist ist, sehe ich keinen Grund, gerade diese Leute bei der Weiterreise nach Mittel- und Nordeuropa zu bevorzugen. Das erzeugt nur einen Pull-Effekt. Die Lebensumstände viele syrischer Flüchtlinge im Libanon oder der Türkei sind auch bemitleidenswert. Deutschland und Österreich sollten Flüchtlinge besser unmittelbar in den Nachbarländern von Kriegsgebieten auswählen und aufnehmen. Nachweislich politische Verfolgte sollten dabei Vorrang bekommen, so wie man das auch nach dem Militärputsch 1973 in Chile getan hat.
22.12.20
14:47
Lutz Grubmüller sagt:
Traurig solche rechtspopulistischen, menschenfeindlichen Äußerungen, wie die von Frau Ute Fabel angesichts der entsetzlichen Not dieser Menschen, lesen zu müssen! Sie haben ein Menschenrecht, in Europa Asyl beantragen und in humanen Verhältnissen bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag leben zu können!
22.12.20
19:13
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (22.12.2020, 14:47) Sie haben völlig recht: Es handelt sich um illegale Migranten. Natürlich kann man sich nicht erpressen lassen, weder durch Migranten, die ihr Lager abfackeln, noch durch solche, die auf Schlauchbooten im Mittelmeer oder bei der Überfahrt auf die Kanaren ertrinken. Schließlich hat sie keiner aufgefordert, diesegefährliche Reise zu unternehmen. Aber bis man eine Lösung hat, muss man diese Leute menschenwürdig unterbringen. Und die aktuellen Zustände im Lager auf Lesbos sind nun mal untragbar.
23.12.20
7:49
Johannes Disch sagt:
-- "Moria ist abgebrannt"- (aus dem Artikel) Das ist ungenau. Moria wurde abgebrannt. Und zwar von den Migranten, die dort untergebracht waren.
23.12.20
7:51
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (22.12.2020, 14:47) Sie haben recht: Es handelt sich um illegale Migranten, die keinen Anspruch haben auf eine Weiterreise nach Europa. Und natürlich kann man sich nicht emotional erpressen lassen. Aber bis es eine Lösung gibt muss man diese Leute einigermaßen menschenwürdig unterbringen. Und die aktuellen Zustände im Lager auf Lesbos sind nun mal untragbar.
23.12.20
7:54
Ute Fabel sagt:
@Lutz Grubmüller: Gerade die Beharrlichkeit mancher politischer Kräfte einfach nicht zwischen Migranten und Flüchtlingen unterscheiden zu wollen, treibt viele Wähler aus verständlichem Ärger darüber in die Arme von Rechtspopulisten. Es gibt kein Menschenrecht auf ein Asylverfahren in einem weit entfernten Land nach Wahl. Ich sehe dadurch überhaupt keine linken Ideale verwirklicht, dass man sich gerade von denjenigen hinsichtlich ihrer Migrationswünsche erpressen lässt, die den Schleppern am meisten bezahlen können und sich am unverfrorensten über Einreisebestimmungen hinwegsetzen. Humanitäre Hilfe vor Ort ist angebracht, kein Durchwinken! Barack Obama ließ während seiner Amtszeit migrationswilligen Eltern ausrichten: “Do not send your children to the borders.“ “If they do make it, they'll get sent back. More importantly, they may not make it.” Das war eine verantwortungsvolle Botschaft!
23.12.20
18:01
Johannes Disch sagt:
@Lutz Grubmüller (22.12.2020,19:13) Menschen, die vor Bürgerkrieg fliehen, fallen streng genommen nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention, auch wenn das praktisch inzwischen anders gehandhabt wird. Und Armutsmigranten sowieso nicht. Nur weil jemand in Not ist, hat er noch lange nicht das Recht, in Europa Asyl zu beantragen. Es kommt auf die Art der Not an. Wirtschaftliche Not ist jedenfalls kein Asylgrund. Um es polemisch zu formulieren: Der große Journalist Peter Scholl-Latour--- mit Sicherheit kein Rechtsextremist-- hat die Problematik schon vor Jahren auf unnachahmliche Weise auf den Punkt gebracht: -- "Wer Kalkutta zu sich holt, wird selbst zu Kalkutta." (PSL) Richtig ist natürlich, dass man die Leute menschenwürdig unterbringen muss. Aber genau so richtig ist es, Pull-Effekte und falsche Anreize zu vermeiden. Wer in Griechenland ist, der ist auf sicherem europäischem Boden. Und er hat kein Recht, nach Österreich oder Frankreich oder Deutschland, etc. zu emigrieren. Asyl ist kein Wunschkonzert. Wer das Asylrecht erhalten will, der muss seinen Missbrauch bekämpfen. Und das geht nur, wenn wir das ganze mit kühlem Kopf und an unseren Gesetzen orientiert angehen. Und nicht emotional. Und die Bekämpfung von Asyl-Missbrauch ist noch aus einem anderen Grund wichtig, nämlich wegen der Akzeptanz in der Bevölkerung. Wer wahllos jeden reinlässt oder bleiben lässt, obwohl er längst hätte abgeschoben gehört, der treibt der AfD neue Wähler zu. Und nicht Leute wie Frau Fabel.
23.12.20
20:37
grege sagt:
@ Herr Disch Die Prüfverfahren in Griechendland sind sehr umständlich und langwierig, was die eigentliche Umsetzun des ursprünglich geplanten Deals noch zusätzlich erschwert. Ebenso problematisch ist die WEigerungshaltung der osteuropäischen Staaten, überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen. Aber letztlich ist ein Großteil der syrischen Flüchtlinge den für islamische Staaten typischen Missständen zum Opfer gefallen, und zwar als Prellbock zwischen Hammer (Islamisten) und Amboss (sozialistische Baathpartei).
23.12.20
21:04
Johannes Disch sagt:
@grege (23.12.2020, 21:04) Sicher, es ist traurig, dass sich die EU auch 5 Jahre nach der Flüchtlingskrise noch immer nicht auf einen verbindlichen Verteilmechanismus geeinigt hat. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir -- wie Frau Fabel richtig sagt-- endlich konsequent unterscheiden müssen zwischen Flüchtlingen und Migranten. Dass wir endlich ein Einwanderungsgesetz brauchen, das Einwanderung und Asyl konsequent trennt. Dass wir unsere Außengrenzen endlich wieder wirksam schützen. Dass wir unsere Asylverfahren konsequent nach Recht und Gesetz durchführen. Um nur die wichtigsten Punkte zu nennen. Zwei Zahlen macht deutlich, wie wichtig das ganze ist: -- Im Jahre 2050 werden 2 Milliarden Afrikaner ca. 700 Millionen Europäern gegenüberstehen. Dieser Migrationsdruck darf nicht anhalten, wollen wie Europa, wie wir es kennen, erhalten. -- Der Anteil an Muslimen in Deutschland, der im Moment bei ca. 6% liegt, wird in 30 Jahren bei etwa 20% liegen. Entscheidend ist: Welcher Islam kommt nach Europa? Der fundamentalistische Kopftuch-Islam oder ein liberaler Islam, wo sich Muslime als europäische Bürger islamischen Glaubens verstehen, als Individuen und nicht als Teil eines Umma-Kollektivs. Deshalb ist das Kopftuch eben mehr als ein Stück Stoff und es geht um mehr als die individuelle Entscheidung seiner Trägerin. Europäisierung des Islams oder Islamisierung Europas-- das sind die 2 Alternativen, vor der Europa steht! Eine dritte gibt es nicht.
25.12.20
12:59
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