Akademiker widmen sich wichtigen Fragen unserer Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute mit Serdar Aslan zur deutschsprachigen Koranforschung.
IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und zu Ihrem akademischen Werdegang sagen?
Serdar Aslan: Ich bin in der türkischen Stadt Diyarbakır geboren und mit etwa neun Jahren nach Deutschland ausgewandert. In Wetzlar bin ich zur Schule gegangen und habe an der Goethe-Universität Frankfurt mein Bachelorstudium mit dem Hauptfach Religionswissenschaft (Schwerpunkt Islamische Religion) und dem Nebenfach Pädagogik absolviert. Anschließend habe ich mein Masterstudium den Islamischen Studien gewidmet und dann mit meiner Dissertation begonnen.
IslamiQ: Können Sie uns Ihre Dissertation kurz vorstellen?
Serdar Aslan: Meine Dissertation hat zwei wesentliche Bestandteile: Ich erfasse und verzeichne die deutschsprachige Koranliteratur chronologisch von ihren Anfängen bis in die Gegenwart und stelle die Autoren und Autorinnen sowie ihre Werke vor. Insofern sind die Ziele meiner Arbeit eine umfassende Bibliographie zu erstellen und einen Überblick über den Koran in deutscher Sprache sowie über seine Rezeptions- und Forschungsgeschichte zu geben.
IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?
Aslan: Es gibt viele Gründe, warum ich mich für dieses Thema entschieden habe. Einer davon ist Prof. Dr. Ömer Özsoy, der in Frankfurt Koranexegese lehrt. Dass wir mit ihm in diesem Bereich einen ausgewiesenen Experten haben, führte zu einem gesteigerten Interesse meinerseits. Insbesondere die gegenwärtige Bedeutung der Koranhermeneutik wurde mir noch klarer.
Durch die Lektüre orientalistischer bzw. islamwissenschaftlicher Literatur konnte ich meine Perspektiven auf koranwissenschaftliche Disziplinen erweitern und verschiedene Zugänge und Lesarten zum Koran kennenlernen.
Je mehr ich mich mit der Literatur befasste, desto mehr wurde mir klar, dass selbst viele Experten den Überblick über ihre eigene Fachwissenschaft nicht mehr aufrechterhalten können. Konkret bedeutet das, dass viele Texte geschrieben werden, ohne dass die bereits vorliegende Literatur angemessene Beachtung findet.
Das war vielleicht nicht ein einmaliges Schlüsselerlebnis, aber eine Erkenntnis, die erklärt, warum ich mich in meiner Dissertation nicht einer sehr spezifischen Forschungsfrage widme, sondern eine bibliographische und rezeptions- und forschungsgeschichtliche Grundlagenarbeit liefere.
Zudem verstehe ich meine Arbeit als einen Beitrag für die Wissenschaft im Allgemeinen und für die sich in der Entwicklung befindliche Islamische Theologie im Besonderen. Ein Überblick über die Geschichte und Literatur eines Faches – in diesem Fall die Koranwissenschaft – dürfte meines Erachtens für alle Beteiligten und Interessierten mit einem gewissen Nutzen verbunden sein.
IslamiQ: IslamiQ: Haben Sie positive bzw. negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht? Was treibt Sie voran?
Aslan: Durch meine bibliographische Grundlagenarbeit möchte ich in unserem sogenannten postfaktischen Zeitalter einen gewissen Beitrag dazu leisten, die Bedingungen der Möglichkeit unserer Wissenschaft und Forschung zu verbessern. Deshalb stehen meine Arbeiten auch im Sinne des freien Zugangs zum Wissen auf meiner Webseite islam-akademie.de für alle frei zur Verfügung. Dies soll jedoch bitte nicht als Freibrief für Plagiate missverstanden werden – natürlich sind entsprechende Verweise zu machen.
IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?
Aslan: In erster Linie richtet sich meine Doktorarbeit an die Fachgemeinschaft und an Studierende, die sie für Forschungsfragen heranziehen können. In zweiter Linie ist sie gerichtet an fachlich Interessierte und belesene Multiplikatoren, denen ich die Fertigkeit zusprechen möchte, aus der Fachliteratur Wissen und Erkenntnis in die Gesellschaft zu tragen.
In diesem Sinne vielleicht noch einige allgemeine Gedanken: Als Muslime sind wir noch dabei uns in Deutschland zu beheimaten. Dazu gehören natürlich auch Wissenschaft, Sprache und Literatur. Für unsere Gemeinden brauchen wir Bibliotheken, die in mehreren Sprachen gute Literatur anbieten sollten. Drängend sind zum Beispiel Fragen wie etwa welche Übersetzungen und Kommentare des Korans in deutscher Sprache verwendet und empfohlen werden können. Wir haben noch lange keinen „Kanon der Literatur“.
Wir können von der bisherigen Koranliteratur auch in sprachlicher Hinsicht lernen. Ich meine damit nicht etwa die Sprache im gängigen Sinne, sondern Islam auf Deutsch, d. h. wie wollen wir in deutscher Sprache über den und im Islam sprechen. Dieser Prozess einer gemeinsamen Sprache, die einerseits inhaltlich-substantiell an gelehrte muslimische Tradition anknüpft und andererseits nicht verfremdet sowie für die Allgemeinheit das Verstehen nicht erschwert, ist noch lange nicht abgeschlossen.