Erst seit wenigen Jahren hört und liest man von „Racial Profiling“. Dabei ist das Problem alt: Es ist die Bezeichnung für verdachtsunabhängige Polizeikontrollen aufgrund von äußerlichen Merkmalen wie ausländisches Aussehen. Auch Muslime beklagen die Willkürlichkeit der Maßnahme.
Vor allem an Bahnhöfen und in Zügen – aber auch auf offener Straße – kann man folgendes Phänomen häufig beobachten: die Polizei kommt und fragt Passanten nach ihren Ausweisdokumenten. Diese Kontrollen werden verdachts- und anlasslos durchgeführt. „Reine Routine“, geben die Polizisten als Begründung vor, wenn sie nach dem Grund für die Kontrolle gefragt werden. Nichts Aufregendes, Außergewöhnliches, also.
Etwas Besonderes gibt es an diesen Kontrollen aber schon: die Menschen die kontrolliert werden, sind häufig dunkelhäutig oder sehen ausländisch aus. Racial Profiling nennt man das. Der Begriff stammt aus der amerikanischen Kriminalistik und bezeichnet das Handeln von Polizei-, Sicherheits-, Einwanderungs- und Zollbeamten, wenn diese auf allgemeinen Kriterien wie Rasse, ethnische Zugehörigkeit, Religion und nationaler Herkunft einer Person basiert.
Offizielle Zahlen zum Ausmaß von Racial Profiling bei den Sicherheitsbehörden gibt es in Deutschland nicht. Denn laut den Regierungsparteien CDU und CSU wäre eine solche Vorgehensweise rechtswidrig und „wird von den Sicherheitsbehörden in Deutschland nicht praktiziert“ ((http://neu.isdonline.de/wahlprufsteine-der-initiative-schwarze-menschen-in-deutschland-bund-e-v-zur-bundestagswahl-2013/)). Und laut Bundesregierung gibt es überhaupt keinen institutionellen Rassismus in Deutschland. ((http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/145/1714569.pdf))
Dabei hatte erst ein Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Koblenz das Gegenteil offengelegt. Was war passiert? In einem Zug nach Frankfurt/Main wurde ein 26jähriger Student mit dunkler Hautfarbe von zwei Bundespolizeibeamten aufgefordert, sich auszuweisen. Da der Student schon öfter und gezielt kontrolliert wurde, wehrte er sich dagegen. Es kam zum Rechtsstreit.
Zum Erstaunen aller Beteiligten, gab ein Polizeibeamter vor dem Verwaltungsgericht zu, dass sie den Studenten aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes kontrolliert hatten. Zur Verhinderung unrechtmäßiger Einreise würden sie gezielt Leute ansprechen, die ausländisch aussehen. Dies richte sich unter anderem „nach der Hautfarbe“. Und der 26jährige Student sei aufgrund seiner Hautfarbe kontrolliert worden.
Für größeres Erstaunen sorgten dann die Richter. Sie entschieden im Februar 2012, dass die Bundespolizei auf bestimmten Zugstrecken Reisende aufgrund ihrer Hautfarbe und eines „ausländischen“ Erscheinungsbildes ohne konkreten Verdacht kontrollieren dürften. Die gesetzlichen Vorschriften verpflichteten die Beamten der Bundespolizei, bei einer Kontrolle entsprechende Lageerkenntnisse und einschlägige grenzpolizeiliche Erfahrung zugrunde zu legen. Und die Strecke nach Frankfurt werde häufig von Illegalen Passagieren genutzt. Deshalb sei die Identitätsfeststellung rechtmäßig gewesen.
Das sorgte für einen Aufschrei in der Öffentlichkeit und erstmals dafür, dass das Problem Racial Profiling in der Breite thematisiert wurde. Das Institut für Menschenrechte forderte die Abschaffung dieser Kontrollen. Selbst die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, meldete sich mahnend zu Wort: „Es hat schwere Folgen für das Zusammenleben in Deutschland und unser Bemühen um Verhinderung von Diskriminierung, wenn die Polizei Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe kontrolliert,“ sagte Lüders.
Der Fall ging in die Berufung und das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz kassierte das Urteil ein. Die Richter stellten fest, dass verdachtsunabhängige Polizeikontrollen aufgrund der Hautfarbe nicht erlaubt sind. Die Bundesrepublik Deutschland entschuldigte sich beim Studenten und die Sache wurde für erledigt erklärt.
Aus der Welt war das Problem damit aber noch lange nicht. Prompt fiel die Deutsche Polizeigewerkschaft über das Urteil her und warf den Richtern eine „schöngeistige Rechtsprechung“ vor. Die Richter hätten von der Praxis und von ihren Notwendigkeiten keine Ahnung, kritisierte die Polizeigewerkschaft. Und so kam es, wie es kommen musste: auch wenn das obergerichtliche Urteil eine gewissen Wirkung auf ähnliche Fälle entfaltet, änderte es in der Praxis nicht viel.
Das hat gleich mehrere Gründe. Zum einen ist es für Betroffenen sehr schwierig, eine Personenkontrolle, die aus Gründen des äußeren Erscheinungsbildes durchgeführt wurde, auch als solche zu beweisen. In der Regel steht die Aussage des – meist – einzelnen Betroffenen gegenüber mehreren Polizisten. Und selbst in Fällen, wo man Zeugen hat, neigen Gerichte häufig dazu, eher der Polizei Recht zu geben.
Schon seit Jahren wird in Deutschland kritisiert, dass es gegen unerlaubt und rechtswidrige Eingriffe der Polizei keine unabhängigen Kontroll- und Beschwerdestellen gibt. Die Anzeige gegen einen Polizeibeamten nimmt in Deutschland wiederum die Polizei selbst entgegen und ermittelt gegen sich selbst. Dass kaum etwas dabei herauskommt, verwundert nicht.
Wie man es anders und vor allem besser machen kann, zeigt Großbritannien. Nach einem Ermittlungsskandal der britischen Polizei – Beweismittel und Zeugenaussagen wurden nicht ernst genommen in einem Fall, wo ein 18jähriger Schwarzer erstochen wurde – wurden dort umfangreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht.
So wurde die Arbeitsweise der Polizei geändert, die Methoden der Personenkontrollen überarbeitet oder die statistische Erfassung von rassistisch motivierten Straftaten verbessert. In Großbritannien gibt es beispielsweise eine Datenbank, in der alle polizeilich durchgeführten Personenkontrollen zentral erfasst werden. Darin sind die Namen des kontrollierenden Beamten, der Anlass der Kontrolle und anonyme Angaben zur kontrollierten Person enthalten.
Aufgrund dieser Daten wird beispielsweise ausgewertet, welche Personengruppen verstärkt kontrolliert werden. Danach werden in London beispielsweise Menschen, die zu einer Minderheit gehören, überproportional häufig kontrolliert. Diese Fakten ermöglichten, entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Das britische Innenministerium klärt zum Beispiel darüber auf, unter welchen Voraussetzungen polizeiliche Personenkontrollen durchgeführt werden dürfen und wann nicht und wie Betroffene Beschwerde einreichen können. Das Allerwichtigste aber ist: Beschwerden gegen Polizeibeamte werden nicht von der Polizei selbst bearbeitet. Das übernimmt eine unabhängige Beschwerdekommission der Polizei (Independent Police Complaints Commission (IPCC).
In Deutschland ist man trotz Aufschrei vieler Betroffener von einer solchen unabhängigen Beschwerdestelle noch weit entfernt. Obwohl Deutschland mit den NSU Morden einen viel größeren Ermittlungsskandal zu verarbeiten hat, als die Briten, sind mögliche Reformen nicht einmal Thema.