Schweiz

Zwist nach Verhüllungsverbot – Regierung sieht Kantone am Zug

Nach dem knappen Ja für ein Verhüllungsverbot in der Schweiz fallen auch die Reaktionen im Land sehr unterschiedlich aus. Viele kritisieren das neue Gesetz und wollen rechtliche Schritte einleiten.

08
03
2021
Symbolbild: Burkaverbot, Verhüllungsverbot© Juanedc @ flickr.com (CC 2.0), bearbeitet by iQ.
Symbolbild: Burkaverbot, Verhüllungsverbot© Juanedc @ flickr.com (CC 2.0), bearbeitet by iQ.

Nach dem knappen Ja für ein Verhüllungsverbot in der Schweiz fallen auch die Reaktionen im Land sehr unterschiedlich aus. Teile der Feministinnen und Rechtskonservative freuten sich über die Mehrheit von 51,2 Prozent beim Volksentscheid für ein Verbot der Vollverhüllung etwa durch die muslimische Burka bzw. den Nikab. Es handele sich nicht um ein Votum gegen Musliminnen und Muslime, sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP).

Der Islamische Zentralrat der Schweiz und die Jung-Grünen kündigten dagegen Klagen an, zur Not durch alle Instanzen. Der Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER) und Oberrabbiner von Moskau, Pinchas Goldschmidt, sprach von einem Angriff auf das Menschenrecht der Religionsfreiheit.

„Alarmierender Trend für alle religiösen Minderheiten“

„Der Hauptgrund solcher populistischen Bewegungen ist eine schweizerische Urangst: Es ist die Angst vor dem Fremden, es geht gegen Flüchtlinge, Migranten und in der Schweiz lebende religiöse Minderheiten“, erklärte Goldschmidt am Sonntagabend. Das Ergebnis sei ein alarmierender Trend für alle religiösen Minderheiten.

Goldschmidt warf den Befürwortern des Verbots Scheinheiligkeit vor. Der Anteil der Muslime in dem Land liege bei rund fünf Prozent. Die Zahl der einheimischen Nikab-Trägerinnen werde auf landesweit rund 30 geschätzt.

Justizministerin Keller-Sutter sieht nun die Kantone in der Pflicht, die neue Verfassungsbestimmung binnen zwei Jahren umzusetzen. So hätten sie die Ausnahmen präzise zu definieren und Sanktionen festzulegen. Trotz des nationalen Burka-Verbots soll es also keine landesweit einheitliche Regelung geben, sondern 26 Umsetzungsgesetze, die sich von Kanton zu Kanton unterscheiden können. Die Polizeihoheit liege bei den Kantonen, erklärte die Ministerin.

„Ja zum Verhüllungsverbot“

Allerdings wurden ähnliche Initiativen und Vorstöße bislang in fast allen Kantonen abgelehnt. Nur in Sankt Gallen und im Tessin fanden sie Anklang. In Basel-Stadt hatte das Parlament ein Vermummungsverbot 2013 sogar für rechtlich unzulässig erklärt.

Die Kampagne „Ja zum Verhüllungsverbot“ wurde aus dem Umfeld der rechtspopulistischen SVP initiiert. Die „Egerkinger Komitee“ genannte Gruppe hatte auch schon 2009 das Neubauverbot für Minarette in der Schweiz durchgesetzt.

Die Initiative hatte ein grundsätzliches Verbot gefordert, das Gesicht im öffentlichen Raum zu verhüllen. Es geht insbesondere um die islamischen Verschleierungen Burka und Nikab, aber auch um Vermummungen zum Beispiel von Hooligans bei Fußballspielen und von Demonstranten. Erstmals werden nun Kleidervorschriften in der Schweizer Bundesverfassung festgeschrieben.

„Pauschalisierung und Verdächtigungen gegenüber Muslime“

Durch das Referendum dagegen, so Reinhard Schulze, emeritierter Professor für Islamwissenschaft der Universität Bern und Direktor des Forums Islam und Naher Osten, sei „einmal mehr viel Vertrauen verspielt“ worden. „Pauschalisierung und Verdächtigungen gegenüber muslimischen Gemeinden befeuern ein bestehendes Ressentiment, so dass sich manche darin bestärkt sehen, von unserer Gesellschaft marginalisiert zu werden.“ Das eigentliche Ziel der Initiative, den Islam aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen, „ihn unsichtbar zu machen, ihn gewissermaßen zu verschleiern, bedeutet für die Muslime einen weiteren Stolperstein in ihrer Debatte um den Status der islamischen Religionsgemeinschaft in der Schweiz“, sagte der Islamwissenschaftler. (KNA/iQ)

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Der Gesichtsschleier ist mittlerweile ein akzeptiertes Kleidungsstück zur Erfüllung der Maskenpflicht, sofern nicht ausschließlich medizinische Masken vorgeschrieben sind. Im Zeitalter der Maskenpflicht den Gesichtsschleier zu verbieten ist an Absurdität kaum zu überbieten. Zeigt es doch nur, dass man aus der Corona-Krise nichts gelernt hat. Die negativen Zudichtungen dem Gesichtsschleier gegenüber sind ohnehin haltlose Propaganda. Auch deshalb, weil der Gesichtsschleier seit Jahrtausenden von Personen beiden Geschlechts getragen wird. Der Islam hat genauestens geregelt, wo ein Gesichtsschleier getragen werden darf und wo er abgelegt werden muss. Ein Verbot durch Dritte hingegen ist ein klarer Verstoß gegen die Religionsfreiheit. Bei tätlichen Übergriffen gegen verschleierte Frauen müssen Muslime Zivilcourage zeigen d.h. in die Situation tätlich eingreifen und die Übergriffigkeit abwehren. Abwehr von Unrecht kann schließlich nicht kriminalisiert werden, auch wenn eingefleischte Islamhasser Muslimen etwas anderes einreden wollen. Legalisiertes Unrecht ist auch Unrecht und darf nicht toleriert werden.
10.03.21
14:58