In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? Wir stellen querbeet Menschen vor, die eines gemeinsam haben: Sie sind Teil der Umma. Heute Dr. Hatun Karakaş.
Dr. Hatun Karakaş ist Ärztin für Innere Medizin und aktuell in einem städtischen Krankenhaus tätig. Seit Ende ihres Studiums 2017 ist sie auf Instagram als „Dr.Hatun“ ehrenamtlich aktiv, wo sie medizinisches Wissen mit Tipps und Tricks, so einfach wie möglich vermittelt.
IslamiQ: Sie geben Gesundheitstipps auf sozialen Medien – ehrenamtlich. Wie meistern Sie das zeitlich und wie ist die Resonanz?
Dr. Hatun Karakaş: Die Resonanz ist enorm, sei es über die sozialen Medien, durch Freunde und auch meine Kollegen im Krankenhaus. Das gibt mir die Kraft und Motivation, weiterzumachen, auch wenn es gelegentlich negative Stimmen gibt.
Es ist oft eine Ausrede, dass man keine Zeit hat. Zeit ist ein Geschenk Allahs. Die Frage ist nur, wie man seine Zeit nutzt und dass sie Allah segnet.
Imam Nawawî, einer meiner Vorbilder, hat nur 45 Jahre gelebt und über 25 Werke geschrieben. Menschen haben ausgerechnet, dass es eigentlich unmöglich wäre, das zu schaffen. Aber mit Allahs Hilfe geht es. Vor kurzem habe ich den Rat einer Schwester gehört, der mir viel Motivation gegeben hat: „Wer der Begleiter Anderer ist, dessen Begleiter ist Allah.“
IslamiQ: Sie sind eine muslimische Ärztin mit Kopftuch. Wie sind die Reaktionen im Krankenhaus?
Karakaş: Das Positive überwiegt. Klar gibt es Momente der Diskriminierung und des Rassismus. Aber ich versuche das nicht in den Mittelpunkt zu setzen. Wenn mir etwas nicht gefällt, versuche ich es zu thematisieren.
Hier spielt auch das Selbstbewusstsein eine große Rolle. Wenn ich beginne, meine Religion als Problem anzusehen, werde ich vorwiegend das Negative sehen. Wenn ich aber selbstbewusst damit umgehe, und weiß, dass das Kopftuch, das Beten, das Fasten als praktizierende Muslimin zu meinem Alltag gehört, dann werde ich durch Allah Erleichterung finden.
Meine Gebete habe ich offen thematisiert. Meist macht man sich Gedanken, wie man das sagen soll oder was die Gegenüberstehenden sagen werden, aber eigentlich machen wir uns damit nur verrückt. Ich spreche oft das Bittgebet des Propheten Mûsâ (a), das mir viel Kraft gibt. In den 16 Jahren im Gesundheitswesen haben die meisten positiv darauf reagiert. Eine Kollegin meinte mal, als ich auf Station sehr gestresst und genervt war: „Hatun, geh du mal beten und ich mach das schon, bis du wieder da bist.“ Das war für mich so ein schöner Moment. Und solche Dinge habe ich oft erlebt.
IslamiQ: Welche Hobbys haben Sie, wie gestalten Sie ihre Freizeit am liebsten?
Karakaş: Meine Hobbys sind mein ehrenamtliches Engagement. Ich bin neben den sozialen Medien auch in der muslimischen Seelsorge tätig. Da nehme ich mit anderen eine Position im Organisationsteam ein. Außerdem leite ich auch eine muslimische Frauengruppe, die sich regelmäßig zum Austausch trifft, wenn auch aktuell online. Ansonsten liebe ich es in der Natur zu sein: Wandern und Sport liebe ich.
IslamiQ: Lieblingsbuch? Lieblingsfilm?
Karakaş: Mein Lieblingsbuch ist „Riyâz as-Sâlihîn“ von Imam Nawawî und „Genieße dein Leben“ von Muhammad al-Arifi. Lieblingsfilme gibt es so einige: „Herr der Ringe“, „Bourne Idenitiy“, „Harry Potter“.
IslamiQ: Was bedeutet Familie für Sie?
Karakaş: Ich bin ein Familienmensch und in einer großen Familie aufgewachsen. Ohne meine Familie wäre ich nicht da, wo ich gerade bin. Für meine Eltern war die islamische Erziehung sehr wichtig und dafür bin ich ihnen besonders dankbar. Meine ganze Familie unterstützt mich in meiner Arbeit, bestärkt mich darin, weiterzumachen und gibt mir Halt, wenn ich traurig bin. Seitdem ich im Krankenhaus arbeite, sehe ich, wie wichtig es ist, eine gesunde und unterstützende Familie zu haben.
IslamiQ: Der schönste Moment in Ihrem Berufsleben?
Karakaş: Es gibt so viele. Darüber könnte ich ein Buch schreiben. Aber einer der schönsten Momente war, dass ich einer Patientin das Leben gerettet habe, indem ich die richtige Diagnose vermutet habe. Sie hatte einen kleinen Riss in der Gefäßinnenhaut der Hauptschlagader (Aortenndissektion). Das ist ein akut auftretendes Krankheitsbild und kann schnell tödlich enden, wenn man es nicht früh erkennt und schnell die Behandlung einleitet. Das geschah natürlich mit Allahs Hilfe, aber ich bin sehr froh im Nachhinein, dass ich diese Erfahrung gemacht habe, auch wenn mir damals diese zwei Stunden wie die längsten Stunden meines Lebens vorkamen.
IslamiQ: Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?
Karakaş: Ich glaube: hilfsbereit. Ich bin, soweit es in meiner Macht steht, immer für sie da, auch wenn wir uns nicht oft sehen. Ansonsten religiös, offen und, dass man mit mir, glaube ich, Pferde stehlen kann.
IslamiQ: Ihr Lebensmotto?
Karakaş: Ich habe einmal einen Rat von einer Schwester bekommen: „Ausruhen können wir uns später.“ Das ist das, woran ich festhalte.
IslamiQ: Was ist ihr größtes Ziel in diesem Leben und was tun Sie, um es zu erreichen?
Karakaş: Die Zufriedenheit Allahs im Diesseits und Jenseits, und dass ich viel Wissen weitergeben kann bis zum Ende meiner Tage. Ich versuche die Absicht stets rein zu halten, was mir aber auch nicht immer gelingt.
IslamiQ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Für sich selbst, für Ihre Familie, für alle Muslime in Deutschland.
Karakaş: Ich arbeite darauf hin, eine gute Ärztin zu sein – menschlich und fachlich, nicht nur für die muslimische Gemeinschaft, sondern für jeden einzelnen Menschen. Sonst wünsche ich mir Gesundheit für meine Familie und mich. Für die Muslime in Deutschland wünsche ich mir mehr Anerkennung als Religionsgemeinschaft, damit wir unseren Glauben so praktizieren können, dass er als selbstverständlich gilt.
IslamiQ: Was muss passieren, damit Muslime hier als selbstverständlicher Teil Deutschlands angesehen werden?
Karakaş: Erst müssen wir beginnen, nicht von „ihr“ oder „sie“, sondern vom „wir“ zu sprechen, und auch so zu handeln. Wenn wir Diskriminierung und Rassismus erfahren, müssen wir als Bürger dieses Landes auch unsere Rechte einfordern. Wir dürfen uns nicht alles gefallen lassen. Wir Muslime sollten mehr in öffentlichen Institutionen tätig sein, wie z. B. in Ämtern, im Gesundheitswesen, in der Schule als Lehrkräfte bis hin zur Polizei. Wir sollten auch außerhalb unserer Community ehrenamtlich tätig sein, also unsere Komfortzone verlassen – wer ist schon von uns in einer Obdachlosenhilfe, in der freiwilligen Feuerwehr oder einem Jugendzentrum tätig? Ich denke, dass wenn wir in der Mehrheitsgesellschaft sichtbarer sind, es beiden Seiten einfacher fällt, uns als selbstverständlichen Teil der Gesellschaft zu sehen.