FRAUEN IN DER MOSCHEE

„Ohne Frauen wäre die Gemeinschaft sehr einseitig“

Das Engagement muslimischer Frauen in der Moschee ist nicht sichtbar genug. Die Islamwissenschaftlerin Dr. Ayşe Almıla Akca und die IGMG-Frauenvorsitzende Aynur Handan Yazıcı sprechen über die positiven Entwicklungen und Herausforderungen.

26
06
2021
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Frauen in der Moschee - Außenseiter oder Autoritäten?
Frauen in der Moschee - Außenseiter oder Autoritäten?

IslamiQ: Frau Akca, Sie haben in Ihrer Promotion das Moscheeleben in Deutschland erforscht. Worum genau geht es in Ihrer Forschung?

Dr. Ayşe Almıla Akca: Ich habe mich dafür interessiert, wie islamisches Wissen in Moscheen als gültig bzw. als ungültig produziert wird und wie das Ganze funktioniert. Also wer an der Legitimierung und Autorisierung des Wissens in Moscheen beteiligt ist, welche Deutungen vorgenommen werden. In der öffentlichen Debatte hat man eine Sicht, in der man den Imam sieht und eine blinde Masse von Muslimen, die alles, was der Imam sagt, für richtig hält. Meine Forschung hat gezeigt, dass das nicht stimmt. Mein Fokus lag darauf, welche Rolle die Menschen in den Moscheen spielen, jenseits der Personen, die wir als religiöses Personal oder Imame wahrnehmen.

Mir war zuvor aufgefallen, dass Frauen eine wichtige Rolle spielen. Es gibt allerdings fast nur Forschungen, die entweder gesondert Frauengruppen behandeln oder sich auf Imame und Vorstände konzentrieren, in denen keine Frauen vertreten sind. Das gesamte Setting jedoch wurde bisher in keiner Forschung beachtet. Mir ging es darum, diese Bandbreite aufzuzeigen: Was gibt es in der Moschee außer Freitagsversammlungen, wie sieht das Moscheeleben im Ramadan beispielsweise aus, welche Rolle spielen auch Frauen in den Moscheen und wie wird Wissen in Moscheen produziert und vermittelt? Um Antworten auf meine Fragen zu finden, habe ich intensive Feldforschung in über 10 deutsch- und türkischsprachigen Gemeinden in einer bestimmten Region durchgeführt, mit Gemeindebesuchen Interviews und vielen Gesprächen.

IslamiQ: Frau Yazıcı, Sie sind Pädagogin und aktuelle Vorsitzende der Frauenorganisation der IGMG. Können Sie uns etwas zur Entstehung der „Frauenabteilungen“ und zur Arbeit von Frauen für Frauen erzählen?

Aynur Handan Yazıcı: Ausgangspunkt des Engagements muslimischer Frauen in der Moschee ist der Koranvers: „Die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen sind befreundet, sie befehlen mit dem Guten und halten vom Schlechten ab.“ (Sure Tawba, 9:71).

Mitte der 80er-Jahre begannen die Frauenaktivitäten mit einfachen Treffen in der Moschee. Eine Motivation hinter der Gründung von Moscheen war die Angst, damals in einer damals noch fremden Welt die eigene Identität nicht bewahren zu können. Zudem wollte man auch islamisches Wissen erwerben. Man kam mit Menschen zusammen, die die gleiche Sprache sprechen, ähnliche Ziele, Hoffnungen und Ängste hatten.

Gerade in den Anfängen sehen wir eine niederschwellige Arbeit. Es waren ganz einfache Angebote wie Wochenendtreffen, gemeinsames Backen und der Austausch unter sich. Es folgten Lese- und Gesprächszirkel und Wohltätigkeitsbasare. Das Zusammenkommen steigerte das Selbstbewusstsein der Frauen und gab ihnen das Gefühl, nicht mehr fremd zu sein.

IslamiQ: Frau Akca, wie würden Sie das aktuelle Engagement der Frauen beschreiben?

Akca: Wir haben hier eine große Vielfalt. Frauen sind Moscheebesucherinnen, Frauengruppenleiterinnen, Leiterinnen von Kinder- und Jugendgruppen oder religiöse Expertinnen, die Kurse und Seminare geben und unterrichten. Das einfache Zusammenkommen unter Frauen hat sich um verschiedene Angebote von Dienstleistungen erweitert, wie z. B. Beratung, Seelsorge, Krankenbesuche. Je mehr Frauen eine Bildung aufweisen, umso mehr können sie diese auch in die Moscheen einbringen. Dies sorgt für Schwung in den Moscheen und neue Formate werden eingerichtet. . Während der Corona-Zeit konnte man auch beobachten, wie digital sie wurden.

Während Moscheen früher fast ausschließlich Männermoscheen waren, haben wir heute viel häufiger Familienmoscheen und große Zentren, in denen Frauen ein integraler Bestandteil der Gemeinschaft sind. Dieser Umstand ist abhängig davon, wie sie sich zusammentun, ehrenamtlich etwas aufstellen und aktiv Forderungen stellen. Dazu gehört beispielsweise, den Gebetssaal nur für sich nutzen zu können oder überhaupt die Moscheen zum Gebet aufzusuchen. Junge Frauen können sich heute vielleicht nicht vorstellen, dass Frauen in vielen Moscheen früher auch mal keinen Zugang hatten oder die Zeiten streng geregelt wurden. Beispielsweise konnten Frauen den Gebetssaal zum eigenen Gebet nicht aufsuchen, weil Männer noch den Koran rezitierten, was zum Teil heute auch noch der Fall sein kann.

IslamiQ: Frau Yazıcı, wo ist der Platz der Frauen in den Moscheen?

Yazıcı: Heute ist eine Moschee ohne eine Frauenorganisation nicht mehr vorstellbar. Frauen gehören zum Moscheebild dazu. Das war anfänglich nicht so. Früher hatte man einen kleinen Raum, wenn überhaupt. Heute haben Frauen eigene Räumlichkeiten. Ohne Frauen wäre die Gemeinschaft sehr einseitig.

Frauenorganisationen sind zu einem wichtigen und festen Bestandteil der Moscheen geworden.“ Das Engagement der Frauen habe sich auch trotz des zunehmenden Berufslebens muslimischer Frauen kaum verändert. „Unter den Aktiven gibt es Hausfrauen, Beamtinnen, Lehrerinnen und viele mehr. Was mich sehr hierbei besonders freut, ist, dass das Ehrenamt hochgehalten wird. Das stärkt uns als Frauenorganisation, die mittlerweile einen großen Teil an sozialer und religiöser Arbeit abdeckt.

IslamiQ: Im Zusammenhang Moschee und muslimische Frauen ist meist von Problemen die Rede, insbesondere in den Medien. Mit welchen Problemen werden muslimische Frauen tatsächlich konfrontiert, Frau Akca? 

Akca: Das Wichtigste zunächst ist, einen Raum zu haben. Immer noch verfügen viele Moscheen nicht über Räume für Frauen. Oder es gibt einen Gebetsraum, den Frauen nicht selbstverständlich aufsuchen können, wie Männer es tun. Es ist dann nur zu bestimmten Zeiten nach Absprache möglich, wobei bei einem gemeinsam genutzten Gebetsraum erhalten eher Männer den Vorzug als Frauen. Vom Vorstand wird die Frauenarbeit nicht ganz wertgeschätzt, zum einen, weil man sich nicht in die „Frauenarbeit“ einmischen will, zum anderen, weil sie gar nicht als wertvoll anerkannt wird. Das führt jedoch dazu, dass der Zugang zu Ressourcen fehlt. Daher ist es gut, wenn die Frauen über die Moschee hinaus Regional- und Bundesstrukturen aufbauen, um sich gegenseitig solidarisch zu unterstützen.

Wenn ein Raum für Frauen existiert, ist es oft so, dass es kein würdiger Raum ist. Die Räume können nicht geheizt werden, Teppiche sind verschliffen und die Lautsprecher funktionieren nicht. Bei Vorträgen, Seminaren und Workshops haben Frauen nicht die Möglichkeit, Fragen zu stellen, wie die Männer es können. Auch die Versorgung mit religiösen Expertinnen ist noch unterentwickelt. Bedeutsam ist ebenfalls, inwiefern Frauen ihr Wissen in Vorträgen, Predigten und anderes wiedergeben können, ob nur Frauen dazu eingeladen werden oder ob auch die gesamte Gemeinde vom Wissen der Frauen profitieren kann. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Teilnahme an Gemeinschaftsgebeten, zum Beispiel im Ramadan, an Freitagen oder zu Festgebeten. Während die Teilnahme von Frauen im Ramadan oder an den heiligen Nächten oftmals kein Problem darstellt, ist sie freitags und an Festtagen nur möglich, wenn man einen eigenen Raum für Frauen hat. Traditionell sind diese Gebete traditionell den Männern vorbehalten und Männer nutzen dann auch die Frauenräume, so dass Frauen dann trotz eigenem Raum nicht dazukommen können.

Der Druck auf den Frauen ist ein anderer wichtiger Punkt. Muslimische Frauen, insbesondere durch Kleidung sichtbare Musliminnen, müssen für ihre Rechte in der Gesellschaft ringen, aber auch in der eigenen Gemeinschaft um ihren Platz und ihre Rechte kämpfen. Sie erzählen mir, dass sie innerhalb der Moschee einen Ort finden, wo sie sich so verhalten können, wie sie es wollen. Das ist eine enorme Erleichterung für die Frauen. Deshalb ist es umso wichtiger, Platz für sie zu schaffen.

IslamiQ: Frau Yazıcı, kennen Sie diese Probleme in ihren Gemeinden. Wie gehen Sie damit um?

Yazıcı: Natürlich haben wir Moscheen, wo diese Probleme zutreffen. Wichtiger als eigene Räumlichkeiten sind jedoch die finanziellen Mittel. Wenn die Frauen Aktivitäten durchführen möchten, wofür es einer Finanzierung bedarf, suchen sie selbst nach Lösungen, statt den Vorstand zu fragen. Ich denke, dass viele Probleme mit dem fehlenden Informationsaustausch zwischen Männern und Frauen zu tun haben: Die Männer wissen nicht, was die Frauen tun und andersrum.

Insgesamt ist das Wirken von Frauen in den Moscheen viel sichtbarer geworden, so dass Frauen Lösungen für ihre Probleme fordern bzw. sie selbst lösen. Manchmal kommt es zu Auseinandersetzungen, da sich Frauen rechtfertigen und erklären müssen. Im Vergleich zu früher werden solche Konflikte aber immer weniger. Ein Grund dafür ist, dass zumindest in den IGMG-Gemeinden gewöhnlich zwei Frauen im Vorstand sind: die Leiterin der Frauenorganisation und die Leiterin der Frauenjugendorganisation.

IslamiQ: Frau Akca, in wie vielen Moscheen gibt es Frauen im Vorstand?

Akca: Ich habe keine Zahlen im Kopf. In der Region, in der ich meine Studie durchgeführt hatte, gab es auch Frauen, die sich in den Vorstand gewählt haben lassen. Diese hatten dann auch die nötige Erfahrung im Bereich Moscheemanagment. Jedoch haben sie nach einigen Legislaturperioden den Vorstand verlassen und sich wieder der praktischen Arbeit innerhalb der Moschee gewidmet. Auffallend war aber, dass in der Folgezeit die Bedürfnisse der Frauen mehr beachtet wurden als vorher.

Das Interview basiert auf der #Islamiqdiskutiert-Veranstaltung „Frauen in der Moschee- Außenseiter oder Autoritäten?“.