Ein Sperrvermerk nach einem Umzug sollte sicherstellen, dass die Adresse der mit „NSU 2.0“-Drohschreiben bedrohten Anwältin Seda Başay-Yıldız nicht einfach abgerufen werden kann. Nun stellt sich heraus: In Ausschuss-Akten war sie ungeschwärzt zu finden.
Die gesperrte Adresse der mit den „NSU 2.0“-Schreiben bedrohten Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız war offenbar mehr Personen zugänglich als bislang bekannt. Eine Mitarbeiterin habe die neue Adresse der Juristin in den Polizei-Akten des Lübcke-Untersuchungsausschusses entdeckt, sagte der Innenpolitische Sprecher der Linken im Hessischen Landtag, Hermann Schaus, am Dienstag. Zuvor hatte die „Frankfurter Rundschau“ darüber berichtet.
Er habe in einem Schreiben an den Ausschussvorsitzenden Christian Heinz (CDU) sowie an Innenminister Peter Beuth und Staatskanzleichef Axel Wintermeyer (beide CDU) darum gebeten, die Einsehbarkeit der persönlichen und geschützten Daten möglichst zügig zu beheben. Das Antwortschreiben Wintermeyers sei per Rundsendung an alle Fraktionen weitergeleitet worden.
Başay-Yıldız reagierte dem Zeitungsbericht zufolge entsetzt auf den Vorfall. „So geht man nicht mit gesperrten Daten um“, wurde sie in dem Artikel zitiert. Die Juristin war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.
„Diese mangelnde Sensibilität sowie das mangelnde Problembewusstsein im Umgang mit der gesperrten Adresse von Frau Başay-Yıldız ist unverantwortlich“, sagte Schaus. Während sich in den Akten des Untersuchungsausschusses zahlreiche Schwärzungen etwa zu sogenannten V-Leuten des Verfassungsschutzes befänden, werde dieser Maßstab auch nach dem entsprechenden Hinweis nicht für Başay-Yıldız und ihre Familie angewandt. „Es ist irritierend, wie viele verschiedene Stellen innerhalb der Polizei Zugang zu sowohl dieser gesperrten Privatadresse als auch der Adresse des Kindergartens der Tochter haben.“
Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD im Hessischen Landtag, Günter Rudolph, sprach von einem „unverantwortlichen Vorgang“. „Das geht nicht. Es handelt sich hier um hochsensible Daten, zudem befindet sich Frau Başay-Yıldız in einer direkten Bedrohungslage“, betonte Rudolph.
Der Aussschussvorsitzende Heinz erklärte in einer Stellungnahme am Dienstag, die Obleute der Fraktionen im Untersuchungsausschuss, der Berichterstatter sowie deren sicherheitsüberprüfte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, seien am 16. Juli unterrichtet worden. Es habe sich nicht um eine Rundsendung an einen nicht klar definierten Verteiler gehandelt. Zugleich seien die Fraktionen darauf hingewiesen worden, „dass der Ausschuss die Möglichkeit hat, die in den Schreiben benannte Akte, die die personenbezogenen Informationen enthält, mit einem höheren Geheimhaltungsgrad einzustufen.“ Darauf habe es bislang keine Reaktion gegeben.
Mit Todesdrohungen gegen Başay-Yıldız, die im Münchner NSU-Verfahren Angehörige der Opfer der rechtsextremistischen Terrorzelle NSU als Nebenklageanwältin vertreten hatte, hatte im Sommer 2018 die Serie der „NSU 2.0“-Drohschreiben begonnen. Nachdem bekannt geworden war, dass die persönlichen Daten der Juristin von einem Rechner in einem Frankfurter Polizeirevier abgerufen worden waren, war die neue Anschrift nach einem Umzug mit einem Sperrvermerk versehen worden. Doch auch diese Adresse wurde in Drohschreiben verwendet. (dpa, iQ)