NRW feiert seinen 75. Geburtstag. Das Feld der Religionen ist heute vielfältiger als zu Zeiten der Landesgründung 1946: Muslime bilden mittlerweile die drittgrößte Gruppe – und auch jüdische Gemeinden leben wieder auf.
Weihnachten oder Ostern – diese christlichen Hochfeste gehören zu Nordrhein-Westfalen wie der Kölner oder Altenberger Dom. Im interreligiösen Kalender der Landesregierung haben die Feiertage denn auch einen festen Platz. Der Festkalender offenbart aber auch: Die christlichen Kirchen sind keinesfalls die alleinigen religiösen Player in dem bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland, das in diesen Tagen seinen 75. Geburtstag feiert. In der Auflistung finden sich auch das muslimische Opferfest oder das jüdische Pessach – Zeichen für die gewachsene religiöse Vielfalt an Rhein und Ruhr.
Wissenschaftler gehen davon aus, das insgesamt rund zwei Drittel der Nordrhein-Westfalen einer Religionsgemeinschaft angehören – teils auch ohne formale Mitgliedschaft. Die größten Gruppen stellen mit aktuell rund 6,5 Millionen Mitgliedern die Katholiken und mit etwa 4,1 Millionen die Protestanten. Den beiden christlichen Konfessionen gehören damit etwa 60 Prozent der landesweit 17,9 Millionen Einwohner an. Allerdings haben die fünf katholischen Bistümer Aachen, Essen, Münster, Köln und Paderborn sowie die rheinische, westfälische und lippische Landeskirche in den zurückliegenden Jahrzehnten deutlich Federn lassen müssen – in den 1950er und 1960er ahren waren noch fast 95 Prozent der Einwohner entweder katholisch oder evangelisch.
Im Laufe der Zeit stieg nicht nur der Anteil der nicht religiös gebundenen Menschen. Durch den Zuzug von sogenannten Gastarbeitern insbesondere aus der Türkei seit Anfang der 1960er Jahre wuchs der Islam zur drittstärksten religiösen Kraft heran. Genaue Mitgliederzahlen gibt es nicht. Nach der jüngsten Schätzung der Landesregierung aus dem Jahr 2010 liegt der Anteil der Muslime bei sieben bis acht Prozent der Gesamtbevölkerung.
Ihre gewachsene gesellschaftliche Bedeutung spiegelt sich nicht zuletzt im Schulwesen wider. Als erstes Bundesland führte NRW im Jahr 2012 islamischen Religionsunterricht ein – allerdings auf Basis eines verfassungsrechtlichen Provisoriums, weil keiner der muslimischen Verbände bisher als Religionsgemeinschaft anerkannt ist. Laut Statistik waren im Schuljahr 2019/20 rund 436.000 Schüler und damit rund 17,9 Prozent muslimisch. Von ihnen erhielten rund 21.600 Schüler an 260 Schulen islamischen Religionsunterricht. Inzwischen gibt es landesweit rund 300 ausgebildete Lehrkräfte mit staatlicher Unterrichtserlaubnis und der religiösen Bevollmächtigung, der sogenannten Idschaza.
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Aber nicht nur der Islam erlebte einen Aufschwung, sondern auch das Judentum. Wegen der Verfolgung und Ermordung von Juden in der NS-Zeit war ihr Anteil auf weit unter einem Prozent an der Gesamtbevölkerung gesunken. Die 19 jüdischen Gemeinden in den Verbänden Westfalen-Lippe, Nordrhein und Köln wuchsen in den 1990er Jahren aber deutlich durch Zuwanderer aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Verzeichneten die jüdischen Gemeinden 1994 rund 11.000 Mitglieder, war die Zahl zehn Jahre später um etwa 18.000 Mitglieder auf 29.400 angestiegen. Seit mehreren Jahren sinkt sie aber beständig – auf aktuell rund 25.500 Mitglieder.
Für die Juden ist es ein besonderer Zufall, dass der Landesgeburtstag mit einem anderen Festanlass zusammenfällt. Denn 2021 feiert die Bundesrepublik 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Das wegen Corona auf Mitte 2022 verlängerte Festjahr erinnert an ein Edikt des römischen Kaisers Konstantin aus dem Jahr 321, in dem er die jüdische Gemeinde in Köln erwähnt. Das Dokument gilt als frühester schriftlicher Nachweis für jüdisches Leben nördlich der Alpen.
Die älteste Abschrift des Erlasses wird von September 2021 bis August 2022 in Köln zu sehen sein – durch eine religionsübergreifende Intervention. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hatte die Leihgabe aus der vatikanischen Bibliothek erbeten. Das Kunstmuseum des Erzbistums Kolumba wird die beiden Blätter aus dem sechsten Jahrhundert, die zur spätantiken Rechtssammlung Codex Theodosianus gehören, zusammen mit dem jüdischen Museum MiQua in der Ausstellung „321-2021: 1700 Jahre Jüdisches Leben“ präsentieren. (KNA/iQ)