Über Religionsfreiheit wird oft erst dann diskutiert, wenn es um sichtbar gelebte Religion geht. Vor allem bei Themen rund um den Islam. Eine #IslamiQdiskutiert-Veranstaltung widmet sich der Frage, wieviel Religion in der Politik möglich ist.
„Politische Religion – religiöse Politik?“ So lautet der Titel einer #IslamiQdiskutiert-Veranstaltung Prof. Dr. Werner Schiffauer (Kulturwissenschaftler), Dr. Oğuzhan Yazıcı (Jurist und CDU-Abgeordneter der Bremischen Bürgerschaft) und Akif Ünal (Vorsitzender der Schura Rheinland-Pfalz).
Prof. Werner Schiffauer beschäftigt sich aus wissenschaftlicher Perspektive mit Religion. Das politische Engagement von Muslimen in deutschen Parteien findet er keinesfalls selbstverständlich. Ein solches Engagement sei in der ersten Generation der Gastarbeiter unvorstellbar gewesen. Die zweite Generation habe sich aber dazu entschieden, die Politik neu zu entdecken. „Ihre Chance liegt darin, den Islam als Quelle der Suche zu nutzen, und zu versuchen, Überlegungen, die sich aus ihm ableiten, z. B. zu sozialer Gerechtigkeit, einzubringen und auszuleben. Islam und Politik haben so ein anderes Verhältnis angenommen.“ Es gebe nun eine weitere Generationen, die diese Suche vorantreibten – erst in den Gemeinden, jetzt in den Parteien.
Einer dieser parteipolitisch aktiven Personen ist Dr. Oğuzhan Yazıcı (CDU), Mitglied des Bremer Landesparlaments. „Die Union macht Politik aus dem christlichen Menschenbild heraus. Sie ist unser geistiges Fundament und der historische Ausgangspunkt unserer Partei. Zu ihr gehören wertkonservative Gedanken ebenso wie christlich soziale und liberale Überzeugungen. Dieses Menschenbild deckt sich weitestgehend mit dem muslimischen Menschenbild. Aus diesem Grund hat mich die Partei angesprochen“, erklärt Yazıcı sein Engagement in der CDU. Er finde es spannend, dass eine Partei den Menschen als „Ebenbild Gottes“ beschreibt: „Aus diesem Menschenbild heraus entsteht ein Wertekanon, auf dem politische Kompromisse in der täglichen Arbeit ausgehandelt werden können“, fügt Yazıcı hinzu.
Die weitverbreitete These, dass mit Fortschritt und Säkularismus die Religiosität abnehme, stimme so nicht, findet Yazıcı. Religion sei modernitätskompatibel. Als Beispiel nennt er unter anderem Südkorea, wo Wirtschaft und christlicher Glaube gleichermaßen boomten. „Religionsfreiheit in Deutschland ist hochaktuell und ein Thema, womit sich der Staat befassen und die er garantieren muss.“ Daraus folgten neue, enorme Herausforderungen für Vielfältigkeit und Pluralität innerhalb der Religionsgemeinschaften.
Auch merkt Yazıcı an, dass Religionsgemeinschaften selbstkritisch sein sollten und es in den letzten Jahren Optimierungsbedarf gebe. Es fehle an qualifiziertem Personal. Das liege auch an der Islamdebatte, in der oftmals pauschalisiert und emotionalisiert werde. So würden Konstrukte wie „politischer oder liberaler Islam“ ins Feld geführt und der Islambegriff vor dem Hintergrund von Integration und Sicherheit politisch diskutiert.
Für Akif Ünal, Vorsitzender der Schura Rheinlandpfalz, spielt die Religion nicht nur in den Religionsgemeinschaften eine große Rolle, sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen. Seine persönliche Motivationsquelle sei seine Religion, nicht nur für die Religionsgemeinschaft, die er vertritt, sondern auch für sein Arbeitsleben und politisches Engagement auf kommunaler Ebene.
Religionsgemeinschaften könnten laut Ünal aus ihrer religiösen Überzeugung politisch aktiv werden. „Religionsgemeinschaften können Stellung nehmen und den politischen Diskurs mitbestimmen.“ Dieses sei aus sozialpolitischer Sicht für die Religionsgemeinschaften aus Gründen der Selbstwahrnehmung und aus existenziellen Gründen sehr wichtig.
„Es ist ganz zentral, religiöse Werte immer im Kopf zu haben, um Widerstand zu leisten. Widerstand an Grenzen, wo die Gesellschaft unmenschlich handelt“, erklärt der Prof. Werner Schiffauer die Bedeutung von Religiosität in der Politik. Als Beispiel nennt er die Forderung nach einem anderen Umgang mit Geflüchteten. In Fällen, in denen Politik versagt, sei es die Aufgabe der christlichen Gemeinschaften, die Stimme zu erheben – weil sie anerkannt sind.
Bei islamischen Gemeinschaften bestehe das Problem, ernstgenommen und anerkannt zu werden, ohne erst in Verdacht zu geraten. „Wie kann man Misstrauen überwinden, damit der Islam seinen Beitrag mitleisten kann, an dem er von der Mehrheitsgesellschaft gehindert wird?“, laute eine zentrale Frage hierbei. Dass die Grenzen vom Verfassungsschutz definiert werden ist für Schiffauer nicht akzeptabel. „Hier wird eine Verdachtskultur beigeführt. Das große Menschenbild, die Würde und Achtung des Menschen muss Priorität haben.“
Aus Sicht von Akif Ünal seien die Grenzen nicht festgeschrieben. Doch die Themen, die den Islam betreffen, seien eher sicherheitspolitisch oder Integrationsthemen. „Der Islam kann auch für die soziale Gerechtigkeit Lösungen bieten. Aber das wird gar nicht in Erwägung gezogen. Die Vorbehalte gegenüber dem Islam spiegeln sich in der Politik wieder“, so Ünal.
Einige erfolgreiche Politiker mit muslimischem Hintergrund in Deutschland würden ihre Religion größtenteils ausblenden, meint Ünal. So setzen sie sich quasi selbst eine Grenze. „Denn es herrscht folgender Gedanke: Ich kann mich nicht als Muslim zeigen, sonst komme ich nicht voran. Da ist aber auch etwas Wahres dran. Der Islam wird nämlich eher Konflikten zugeordnet. Es sind die Grenzen, die aus den Vorurteilen entstehen.“
Dr. Oğuzhan Yazıcı zufolge müsse sich die Politik an der Lebenswirklichkeit der Menschen orientieren und neue Lösungen für neue Herausforderungen finden. Seine Religion sei für ihn zwar handlungsleitend, aber als Politiker müsse er das ausbalancieren. „Ein Abgeordneter muss immer eine Balance finden zwischen dem eigenen Glauben und seinem Handeln in der Politik. Wir schulden allen Menschen gleichermaßen Verantwortung“, so Yazici weiter.
Dabei könne es natürlich immer wieder vorkommen, dass Gewissensentscheidungen getroffen werden müssen. Da gelte es, standhaft zu bleiben und einen klaren Wertekompass zu haben. Es gebe für ihn rote Linien, die würde er nicht überschreiten. Als einziger muslimische Politiker in der CDU Bremen ist er überzeugt: „Politik in Deutschland zu machen ist eine enorme Herausforderung und spannend zugleich.“ Es sei wichtig, dass Menschen, die sich offen als gläubige Menschen zeigen, sich vermehrt in der Politik engagieren. Muslime müssten mehr Zugang zu den Parteien finden, um diese auch für religionspolitische Themen sensibler zu machen.