Ein junger Mann steigt in die Straßenbahn. Was dann folgt, geht durch die sozialen Medien. „Es ist unbeschreiblich, was da eigentlich passiert ist“, sagt der Richter. Am Dienstag fiel das Urteil.
Im Prozess um einen brutalen Angriff auf einen Syrer in einer Erfurter Straßenbahn ist der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung, Nötigung und Sachbeschädigung zu vier Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden. „Sie haben Pech gehabt, dass es eine junge Frau mit Zivilcourage gab“, sagte der Vorsitzende Richter am Dienstag im Landgericht Erfurt zu dem Mann. Ein Video, das über soziale Netzwerke bundesweit Aufsehen erregte, habe im Laufe des Prozesses eindeutig gezeigt, dass der Angriff in der Straßenbahn von besonderer Intensität und rassistisch motiviert gewesen sei.
Der 41-Jährige stand seit Donnerstag unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung eines 17-jährigen Syrers vor Gericht.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Mann im April mit Schlägen und „gezielten Tritten gegen den Kopf“ auf den mittlerweile 18-Jährigen eingewirkt hatte sowie ihn „menschenverachtend“ beleidigte. Dass der junge Mann keine schwereren Verletzungen als ein Schädel-Hirn-Trauma und Prellungen erlitt, sei pures Glück gewesen – für beide. Das Ausmaß der psychischen Folgen sei aber immens.
Der Mann hatte die Tat bereits zu Beginn des Prozesses gestanden und sich entschuldigt. Bis zum Ende bestritten er und sein Verteidiger jedoch, dass die Tat rassistisch motiviert gewesen sei. Die „vermehrte Streitlust und Aggressionen“ seien alleine auf den Mischkonsum von Alkohol und Kokain zurückzuführen. Zudem habe der junge Mann ihn provoziert.
Der Richter bezog die Entschuldigungen mit ein, sagte jedoch auch: „Wir als Vertreter der Justiz sind nicht bereit, solche Taten als Lappalien abzuhandeln.“ Eine Provokation von der Seite des jungen Mannes, habe es „ganz offensichtlich nicht gegeben». Er habe „wirklich gar nichts falsch gemacht“.
Die Staatsanwaltschaft hatte fünf Jahre und drei Monate Haft gefordert. Während sich der Anwalt des Nebenklägers der Forderung der Staatsanwaltschaft anschloss, erklärte die Verteidigung das Strafmaß für überzogen und hielt ein Jahr Freiheitsstrafe und ein Schmerzensgeld von 3000 Euro für die angemessene Strafe. Das Strafmaß des 41-Jährigen stufte der Richter mit vier Jahren und neun Monaten höher ein: Zum einen sei der mittlerweile 41-Jährige, der zur Tatzeit auf Bewährung war, kein unbeschriebenes Blatt. Zum anderen gleich wegen mehrerer Taten schuldig. Er habe demnach auch die Prozesskosten zu tragen und ein Schmerzensgeld von 5000 Euro zu zahlen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft zeigte sich zufrieden mit dem Schuldspruch. Der Verteidiger kündigte kurz nach der Urteilsverkündung an, Revision einlegen zu wollen.
Bei dem Angriff im April handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall. Immer wieder kommt es in Thüringen zu rassistischen Übergriffen. „Es ist eine Tat, von der ich mir wünsche, dass sie nur einmal passiert ist – das erste und das letzte Mal“, sagte der Vorsitzende Richter abschließend. Es dürfe nicht sein, dass Menschen sich nicht ohne Bedenken in eine Straßenbahn setzen können. (dpa, iQ)