Vor 60 Jahren wurde das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei unterschrieben. Es war ein Meilenstein für das muslimische Leben in Deutschland.
Vor 60 Jahren, am 31. Oktober 1961, wurde das deutsch-türkische Anwerbeabkommen in Bonn unterzeichnet. Es öffnete erstmals einer großen Zahl von Menschen aus dem islamischen Kulturkreis die Tür in die Bundesrepublik. Das Abkommen habe „die Gesellschaft so tiefgreifend verändert wie nur wenige andere Ereignisse in den vergangenen sechzig Jahren“, betonte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Festakt. Heute leben Deutschland fast drei Millionen Türkeistämmige, darunter Hunderttausende Kurden und weitere Minderheiten.
Die Leistungen und Erfahrungen der sogenannten Gastarbeitergeneration sollten nach Ansicht von Bundespräsident Steinmeier in Zukunft stärker gewürdigt werden. Diese von Optimismus, Mut und Durchhaltewillen geprägten Geschichten sollten „einen angemessenen Raum in unseren Schulbüchern und in unserer Erinnerungskultur“ erhalten, sagte er am Dienstag in Berlin bei einem Festakt zum 60. Jahrestag der Vereinbarung, mit der einst die Arbeitsmigration aus der Türkei nach Deutschland organisiert worden war. „Nehmen Sie sich den Platz, der Ihnen zusteht“, forderte der Bundespräsident die Besucher der Festveranstaltung auf.
In einer Pressemitteilung der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) macht Vorsitzender Kemal Ergün auf das muslimische Leben in Deutschland aufmerksam: „Das deutsch-türkische Anwerbeabkommen ist ein Meilenstein für das muslimische Leben in Deutschland. 60 Jahre später ist es an der Zeit, dass die Politik Bedürfnisse und Forderungen von Musliminnen und Muslime mitdenkt und berücksichtigt.“ Anlass seien die laufenden Koalitionsverhandlungen sowie der Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei vom 30. Oktober 1961.
Auch wenn der Islam in Deutschland eine weitaus längere Geschichte hätte, habe das deutsch-türkische Anwerbeabkommen das hiesige muslimische Leben beflügelt, sie zum Erblühen gebracht. Die aus der Not heraus zunächst als provisorisch errichteten Gebetsräume entwickelten sich zunehmend bleibende Einrichtungen.
„Unsere Moscheen gehen auf die Verdienste dieser Gründungsväter zurück. Sie haben oft unter widrigsten Bedingungen und ohne jedwede Unterstützung den Grundstein gelegt. Daraus sind Gemeinden entstanden, Zentren der Gemeinschaft, der gegenseitigen Fürsorge und des Zusammenhalts. Daraus sind Moscheen entstanden, die immer seltener in Hinterhöfen und immer mehr in Zentren stehen und zum Stadtbild gehören. Den Gründungsvätern gilt daher unser aufrichtiger und unendlicher Dank für ihre Pionierarbeit“, so Ergün. So sehr auch das muslimische Leben in Deutschland beheimatet sei, dürfen man die Augen nicht vor Problemen verschließen. Die Ablehnung von Muslimen und die Islamfeindlichkeit schüren unverhohlen Hass gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten.
Die Leistung der sogenannten Gastarbeiter wird nach Überzeugung der Berliner SPD-Abgeordneten Sevim Aydın in der Öffentlichkeit noch nicht ausreichend wahrgenommen. „Man muss sich vorstellen, dass diese Menschen kein Wort Deutsch konnten, als sie hergekommen sind“, sagte Aydın der Deutschen Presse-Agentur zum 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei am Samstag. „Und dennoch haben sie es geschafft, hier Fuß zu fassen in einem fremden Land, wo sie für ein gutes Leben gekämpft haben, vor allem für ihre Kinder“, sagte die SPD-Politikerin. „In Deutschland spricht man zu wenig über diese erste Generation, die auch zum Wirtschaftswachstum beigetragen hat. Es wird Zeit, dass man an die Leistung dieser Menschen erinnert.“
Die 49-jährige Sozialdemokratin engagiert sich deshalb für ein Denkmal für die Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg. Die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg muss über den im August gestellten Antrag noch entscheiden