Übergriffe und Vorurteile gegenüber Muslimen und Juden sind in Deutschland weitverbreitet. Was haben diese beiden Rassismus-Formen gemeinsam und wie gehen Muslime und Juden damit um?
Bei einer weiteren #IslamiQdiskutiert-Veranstaltung mit dem Titel „Antisemitismus und Antimuslimischer Rassismus – zwei Seiten derselben Medaille?“ ging es um die Ähnlichkeiten und Unterschiede beider Rassismus-Formen. Die Rassismusforscherin Prof. Dr. Iman Attia, der Politologe Dr. David Ranan und Islamrats-Vorsitzender Burhan Kesici diskutierten über Fragen wie: Welche Parallelen gibt es bez. den Anfeindungen gegenüber Muslimen und Juden? Was unterscheidet Antisemitismus von antimuslimischem Rassismus? Wie gehen Muslime und Juden mit Diskriminierungserfahrungen um?
Prof. Dr. Iman Attia ist Professorin für „Critical Diversity Studies“ mit dem Schwerpunkt Rassismus, insbesondere antimuslimischer Rassismus. Für sie können Motive und Effekte rassistischer Handlungen sehr unterschiedlich sein, angefangen von verbaler Gewalt bis hin zu verschiedenen Formen von epistemischer Gewalt und strukturellem Rassismus. Auch institutionalisierten Routinen, die nicht in Form von hasserfüllten Reden oder Taten geschehen, aber einen rassistischen Inhalt oder Effekt haben können, gehören dazu.
Dabei ist laut Attia festzuhalten, dass Motive und Effekte rassistischer Handlungen zweierlei zu kategorisieren seien. Zum einen gebe es Handlungen, die bewusst Ausgrenzendes beinhalten bzw. die Absicht haben, Personen in irgendeiner Form zu verletzen oder sie explizit auszuschließen. Zum anderen seien es Handlungen, die nicht mit einem Motiv jemand zu verletzen zusammenhängen, sondern mit Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit, Normalisierung und Abweichung, Universalisierung und Partikularismen verbunden sind. Ein Beispiel hierfür sei das muslimische Kopftuchverbot. Die Kritik daran ziele aus Sicht des Handelnden nicht unbedingt darauf ab, jemanden zu verletzen, sondern könne mit der Absicht verbunden sein, der kopftuchtragenden Frau zu einem emanzipierten Leben zu verhelfen und dabei außer Acht zu lassen, dass ihr genau dieses damit verwehrt werde.
Betrachte man Handlungen und Äußerungen gegenüber Muslimen und Juden, gebe es Parallelen, so die Rassismusforscherin. Unter anderem die sächliche Gewalt gegen Friedhöfe, Moscheen und Synagogen, das Verunglimpfen von sakralen Orten. Aber es gebe auch andere Formen wie etwa staatliche Eingriffe, bei denen polizeiliche Durchsuchungen in Moscheen stattfanden. Die gebe es so nicht in Synagogen bzw. seien keine bekannt.
Der Politologe und Autor Dr. David Ranan beschäftigt sich mit dem Antisemitismusdiskurs in Deutschland, darunter auch das Thema Antisemitismus unter Muslimen. In Deutschland lebten etwa 200.000 Juden und rund 5,6 Millionen Muslime. Juden seien in Deutschland seit 1945 eine „staatlich bevorzugte Minderheit“, so Ranan. Vor diesem Hintergrund hätten es Muslime heute schwerer in Deutschland als Juden. Zudem hätten Muslime in Deutschland keine starke, einheitliche Stimme. Deshalb würden Muslime also im Vergleich zu Juden in Deutschland weder gehört, noch hätte ihre Stimme einen Vermittler.
Burhan Kesici ist Politikwissenschaftler und Vorsitzender des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland. Für Kesici habe jede Art von Diskriminierung etwas Eigenartiges, weshalb der Vergleich eher schwierig sei. In den letzten Jahren sei ein „subtiler“ Alltagsrassismus entstanden, etwa beim Einkaufen an der Kasse. Gerade bei kopftuchtragenden Frauen beobachte man einen Anstieg vieler verschiedenen Facetten von Rassismus und Diskriminierung. Inzwischen registrieren Behörden vermehrt, dass Diskriminierungen nicht mehr nur verbal, sondern physisch stattfinden.
Wichtig sei für den Islamratsvorsitzenden jedoch vor allem die institutionelle Diskriminierung. Denn wenn Muslime bestimmte Rechte einfordern wollen, oder wenn sie bestimmte Kooperationen eingehen möchten, dann komme es oft dazu, dass sie verdächtigt würden, radikal oder problematisch zu sein.
Auf die Frage, inwieweit sich die Wahrnehmungen der Bürger mit der Forschung Prof. Dr. Iman Attias deckten, erklärt sie, dass der Begriff „antimuslimischer Rassismus“ sich mittlerweile durchgesetzt habe. Ihrer Meinung nach sei er sinnvoll, aber führe einerseits auch in die Irre. „Denn in diesem Begriff werden sehr viele Dimensionen komprimiert, etwa die religiöse, ethnische und kulturelle.“ Ebenso hätte er viele Phasen. Demnach hingen also die sozialen, politischen oder gesellschaftlichen Argumentationen und Legitimationen für diesen spezifischen Rassismusbegriff mit einem Bündel von Bereichen wie Ethnizität, Nationalität und Kultur zusammen. „Und das macht es so schwierig zu erkennen, dass es sich hierbei um einen spezifischen Rassismus handelt“, so Attia.
Dass es in Deutschland nicht dieselbe Solidarität nach antimuslimischen Vorfällen gebe, wie nach antisemitischen, hänge nach David Ranan nicht zwingend mit einer rassistischen Haltung zusammen. Er beobachte hier eine „Opferkonkurrenz“.
Synagogen in Deutschland würden rund um die Uhr überwacht, Moscheen – die mehrmals islamfeindlichen Angriffen ausgesetzt waren – würden jedoch nicht überwacht. Daher sei es verständlich, wenn Muslime sich ungeschützt fühlten. Jedoch glaube Ranan nicht, dass die Sicherheitsbehörden Juden besser schützen, „weil sie sie lieber haben“, sondern „weil sie es sich nicht leisten können, einen ermordeten Juden vor seiner Synagoge“ zu finden.
„Die Bundesregierung schützt also hier nicht aus Nächstenliebe, sondern sie stützt ihr eigenes Image“, meint Ranan. Das müsse man verstehen, und auch wenn diese Haltung nicht richtig sei, sei es in erster Linie kein institutioneller Rassismus.
Burhan Kesici zufolge sei ein Unterschied in der öffentlichen Wahrnehmung und Einordnung zwischen Angriffen auf Moscheen und Synagogen deutlich zu sehen. Bei antisemitischen Vorfällen sei die Präsenz in der Öffentlichkeit viel stärker.
Selbstverständlich seien Solidaritätsbekundungen für Juden nach Angriffen wie auf die Synagoge in Halle richtig und notwendig; Kesici selbst habe die Synagoge besucht und mit der Gemeinde gesprochen. Die breite Öffentlichkeit, darunter auch Muslime, hätte im Allgemeinen eine lückenhafte Vorstellung davon, wie Synagogen in Deutschland geschützt würden. „Es ist sehr interessant zu wissen, dass die Synagoge in Halle des Öfteren darum bat, Polizeischutz zu bekommen, weil sie sich gefährdet fühlte, aber keinen Schutz erhalten hatte“, erklärt Kesici.
Ganz anders sei die öffentliche Wahrnehmung allerdings bei antimuslimischen Angriffen. Mehrere Tausend Übergriffe auf Muslime und Moscheen seien in den letzten Jahren verzeichnet worden. „Im öffentlichen Diskurs wird das jedoch kaum wahrgenommen. Die Sicherheitsbehörden tun zu wenig dagegen. Daher fühlen sich Muslime allein gelassen und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen“, so Kesici.
Die Polizei nehme teilweise explizite Bedrohung nicht ernst, meint Kesici, und berichtet von einem Vorfall in einer Moschee, bei dem Waffenmunition durch das Fenster geworfen und Drohbriefe versendet wurden. Die Polizei habe das nicht ernst genommen und riet zur „Gelassenheit“ auf. Der Vorfall sei auch nicht als islamfeindliche Tat aufgenommen worden, sondern als Verstoß gegen das Waffengesetz und als Beleidigung. Viele seien damals aus Angst nicht zur Moschee gekommen, Eltern hätten ihre Kinder an Wochenenden nicht in die Moschee gebracht.
Im Fall „Halle“ finde Kesici außerdem interessant, dass der Angreifer sich zwar eine Moschee als Anschlagsziel ausgesucht hatte, jedoch eine Synagoge angriff. „Als der Versuch scheiterte, griff der Täter einen Döner-Imbiss an, weil er es für etwas ‚islamisches‘, etwas ‚orientalisches‘ sah.“ Daher könne man in diesem Fall eine Tat gegen Juden und Muslime sehen. Im Anschluss sei jedoch hauptsächlich über den antisemitischen Angriff gesprochen worden, viel weniger über den antimuslimischen.