Religion spielt eine elementare Rolle bei der Entstehung von Kunst. Aus muslimischer Perspektive ist die göttliche Offenbarung die Grundlage der islamischen Kunst. Ein Gastbeitrag von Kunsthistoriker Prof. Dr. Aziz Doğanay.
In vielen Medien wird Islam eher mit Terror assoziiert als mit Kunst. Das gilt leider auch für Muslime selbst, die die Worte Islam und Kunst kaum miteinander in Verbindung bringen. Für viele Muslime ist Kunst oft nur schlichte Bildhauerei, eine Art Götzendienst, was dazu geführt hat, dass sie sich von Kunst distanziert haben. Wenn man jedoch auf Meisterwerke blickt, die von Muslimen im Laufe der Geschichte der Nachwelt hinterlassen worden sind, erkennt man, dass Muslime nicht immer ein distanziertes Verhältnis zur Kunst hatten.
Kunst im Allgemeinen kann als Tätigkeit der Seele gesehen werden, die sich bemüht, Empfindungen und Gedankten auszudrücken. Dies geschieht meistens in einem Prozess, der durch Eingebungen unterstützt wird. Kunst ist eine universale Sprache der Gefühle. Sie ist dem Menschen von Geburt an gegeben, unabhängig von Rasse, Religion oder Sprache.
Im Islam ist der größte aller Künstler der Schöpfer selbst. In der Kunstphilosophie werden Kunstwerke definiert als etwas, das aus Menschenhand stammt und eine Botschaft vermittelt. Mit der Kunst wird das von Gott Erschaffene aus einem anderen Blickwinkel betrachtet und interpretiert. Alles Erschaffene ist ein Zeichen, das die Menschen auf den Schöpfer hinweist, und Kunst ist eine Auslegung dieser Zeichen. Diese Sichtweise macht auch deutlich, warum Kunst eine universale Sprache ist.
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Gefühl für Kunst dem Menschen ins Herz gelegt wurde, so wie Freude, Trauer, Angst und Aufregung, dann müssten Begriffe wie „islamische Kunst“ oder „christliche Kunst“ im Grund neu diskutiert werden.
Damit eine Kunstform ausschließlich einer bestimmten Religion zugeordnet werden kann, müssen sich in den heiligen Schriften dieser Religion ihre Möglichkeiten und Grenzen finden lassen. In diesen Büchern aber – mit Ausnahme der Thora – ist es jedoch schwierig, solcherart klare Grenzen zu finden. Außer, dass man in den monotheistischen Religionen, dem einzigen Gott nichts beigesellen darf.
Ein aufmerksamer Blick in die Geschichte der Menschheit lässt zudem erkennen, dass überall auf der Welt religiöse Überzeugungen eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Kunst gespielt haben. Darum wird die Kunst mit derjenigen Religion in Verbindung gebracht, der sie am meisten dient. Beim Bau der Süleymaniye Moschee zum Beispiel haben auch Nichtmuslime mitgewirkt. Weil die Moschee aber ein islamisches Bauwerk ist, wird sie unter dem Begriff „islamischer Kunst“ geführt.
Im Koran findet sich nichts, was die unterschiedlichen Kunstrichtungen verbieten würde – auch Malerei oder Bildhauerei nicht –, solange diese den Menschen nicht vom rechten Weg abbringen. Im Gegenteil, die Statuen, die Salomon in seinem Palast aufstellen ließ, werden als Zeichen der Dankbarkeit beschrieben. Natürlich gilt das nicht für Götzen, die angefertigt worden sind, um sie anzubeten, oder für Dinge, die mit der islamischen Ethik nicht vereinbar sind.
Im Westen war es bis zum Beginn der industriellen Revolution kaum möglich, von Kunst als einem eigenständigen Begriff zu sprechen. Bis dahin sah man in der Kunst vielmehr ein Mittel, das der Kirche dabei half, den christlichen Glauben zu verbreiten. Larry Shiner stellt berechtigterweise fest, dass im Westen die Kunst erfunden worden ist, um den Klassenunterschied zwischen Arm und Reich zu festigen. In der islamischen Welt war die Lage eine ganz andere. Jeder konnte im Besitz eines Kunstwerks sein, egal ob Arm oder Reich.
Im Koran heißt es: „Reisten sie denn nicht durch das Land? Sahen sie denn nicht, wie das Ende derer war, die vor ihnen lebten? Sie waren stärker als sie an Kraft und bebauten und bevölkerten die Erde mehr als sie! Und es kamen zu ihnen ihre Gesandte mit deutlichen Beweisen…“ (Sure Rûm, 30:9) Allah hat den Menschen also empfohlen, sich anzusehen, was die Menschen vor ihnen zurückgelassen haben, um eine Lehre daraus zu ziehen. Dies macht es notwendig, sich mit Archäologie und Kunstgeschichte zu befassen.
Als der Begriff „islamische Kunst“ erstmals aufkam, bezeichneten einige europäische Historiker alles, was aus dem Osten kam, in etwas abfälliger Weise, als Arabesken. Sie waren nicht in der Lage, die Feinheiten der islamischen Kunst zu erfassen. Sie blendeten aus, dass die islamische Welt nicht nur aus Arabien bestand, sondern sehr unterschiedliche Räume und Kulturen umfasst.
Durch den Einfluss nationalistischer Strömungen, die zumeist aus Europa kamen, haben die Araber bei der Definition von islamischer Kunst nur die Werke in der arabischen Welt berücksichtigt. Die Perser haben die Kunstwerke ihres eigenen Territoriums in den Mittelpunkt der islamischen Kunst gestellt, während die türkische Kunst weitgehend verdrängt wurde. Dies ging so weit, dass viele Kunsthistoriker die Sinnhaftigkeit des Begriffs „islamische Kunst“ infrage gestellt haben. Auch wenn die Debatten ihren ursprünglichen Schwung verloren haben, wird nach wie vor über die Grenzen der islamischen Kunst diskutiert.
Auch heute gibt es Kunsthistoriker, die islamische Kunst auf Arabesken reduzieren. Es seien Formen, die zufällig durch geschichtliche Ereignisse aufeinandergetroffen sind oder sich vermischt haben. Dem ist nicht so. Islamische Kunst basiert auf Werten, die von der Offenbarung gefiltert wurden und im Monotheismus gereift sind. Sie gründet auf Prinzipien, die sich aus dem Glauben an einen einzigen Gott ergeben und aus dem Koran sowie aus den Hadithen ableiten lassen. Sie haben sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt und haben sich an unterschiedlichen Orten, in unterschiedlichen Epochen in unterschiedlicher Form manifestiert.
Gleichwohl stammen die Formen der islamischen Kunst, so abstrakt sie auch sein mögen, weder direkt aus dem Koran, noch aus den Hadithen. Überhaupt scheint es nicht wirklich möglich, die meisten der Muster und Formen, die mittlerweile als „islamisch“ gesehen werden, auf heilige Texte zurückzuführen. Im Christentum beispielsweise sind viele der dargestellten Figuren und Szenen Nachstellungen von Erzählungen aus der Bibel, während Motive, die in der islamischen Kunst häufig verwendet werden, keine direkte Beziehung zum Koran oder einer seiner Erzählungen haben.
Der Islam erhebt den Anspruch auf Endgültigkeit und Perfektion. Allein schon deswegen kann er die Kunst, die das Leben des Menschen umgibt, nicht vernachlässigt, und erst recht nicht ignoriert haben. Muslime müssen sich deshalb von ihren Vorurteilen abwenden und den Koran und die Sunna aus einer umfassenden Perspektive heraus betrachten. Untersucht man das Leben des Propheten genauer, kann man an seinen Handlungen erkennen, welch große Rolle ästhetische Gefühle in seinem Leben gespielt haben. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Essenz der islamischen Kunst aus Gleichmaß, Rhythmus, Harmonie und Stil besteht, die auf dem Monotheismus gründet.