Üble Beschimpfungen, rassistische Beleidigungen, Tötungsfantasien: Die Serie der „NSU 2.0“-Drohschreiben sorgte mehr als zwei Jahre lang für Aufsehen. Nun steht der mutmaßliche Verfasser vor Gericht.
Vor dem Frankfurter Landgericht hat am Mittwoch der Prozess um die „NSU 2.0“-Drohschreiben mit rassistischen Beleidigungen und Todesdrohungen begonnen. Gut drei Stunden dauerte die Verlesung der Anklageschrift gegen den 54 Jahre alten Alexander Horst M. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Beleidigung in 67 Fällen, versuchte Nötigung und Bedrohung sowie öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Volksverhetzung, Besitz kinder- und jugendpornografischer Schriften sowie einen Verstoß gegen das Waffengesetz vor.
M., ein Brillenträger mit dunkelblondem, kurz geschnittenem Haar und zurückweichendem Haaransatz, verfolgte die Verlesung der Anklage aufmerksam, teils zurückgelehnt und mit verschränkten Armen. Auf die Fragen der Vorsitzenden Richterin zur Person hatte er geradezu zackig und knapp geantwortet. Lediglich bei der Frage zu seiner Anschrift verweigerte er die Antwort. „Weil es die Presse nichts angeht“, sagte er ungehalten. Schon bevor die Verhandlung eröffnet wurde, hatte er den Kameraleuten und Fotografen bereits eines obszöne Geste gezeigt – da waren seine Handschellen noch nicht einmal abgenommen.
Den Anschuldigungen zufolge soll M. weniger Bedenken gehabt haben, wenn es um die persönlichen Daten der Adressatinnen und Adressaten der Drohschreiben ging, die er per Fax und auch via Email an Privatpersonen und Personen des öffentlichen Lebens sowie an Behörden versendet haben soll.
Wie genau die Daten zugänglich gemacht wurden, will insbesondere die Nebenklage in dem Frankfurter Prozess herausfinden. Die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız etwa, die in dem Verfahren Nebenklägerin ist, sieht noch reichlich Aufklärungsbedarf – insbesondere im Zusammenhang mit einer Abfrage ihrer persönlichen Daten von einem Polizeirechner. Das war 90 Minuten vor Erhalt des ersten Drohfaxes.
„Eine oder mehrere Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamte haben meine Daten und die Daten meiner Familie abgerufen“, betonte Başay-Yıldız in einem verlesenen Grußwort an die Teilnehmer einer Solidaritätskundgebung am Morgen. Am ersten Verhandlungstag konnte die Juristin nicht selbst in Frankfurt sein. Ihr Name sei 17 mal in verschiedenen Polizeidatenbanken eingegeben worden. „Ich halte es für ausgeschlossen, dass jemand aus Berlin sich als Polizist ausgegeben und diese Daten abgefragt hat. Dann wäre der Name nur einmal in den Computer eingegeben worden.“ Im Prozess müsse geklärt werden, wie die Daten an den Angeklagten gelangt seien.
Die Juristin war nicht nur die erste Adressatin eines „NSU 2.0“-Drohschreibens, sie hatte auch besonders viele Schreiben erhalten. Neben rassistischen Beleidigungen, die darin geradezu formelhaft wiederholt wurden, fand sich darin auch die Drohung, die damals zweijährige Tochter der Bedrohten „abzuschlachten“. Auch mehrere Linken-Politikerinnen und die Kabarettistin Idil Baydar erhielten Drohschreiben, hinzu kamen Bombendrohungen etwa gegen Justizbehörden oder die Walter-Lübcke-Schule in Wolfshagen. Auch ein Schreiben wenige Wochen nach dem Mord an dem damaligen Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke wird M. zugeordnet. Darin war von einem rechten Anschlag gegen einen „Volksschädling“ die Rede.
Unterzeichnet waren die Schreiben häufig mit „SS-Obersturmbannführer“ sowie „NSU 2.0“ – in Anspielung auf die rechtsextreme Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). In den am Mittwoch verlesenen Texten sind vor allem die Drohungen gegen beruflich erfolgreiche und politisch aktive Frauen von üblen Beleidigungen und Fäkalsprache geprägt, politische Gegner werden als „ehrlos“ oder „Volksschädlinge“ beschimpft, in manchen Texten lässt der Autor geradezu missionarischen Eifer und viel Hass erkennen.
Während des Prozesses bestritt der Angeklagte die Vorwürfe der Anklage. „Von einer rechtsextremen Gesinnung kann bei mir keine Rede sein“, sagte der 54-Jährige aus Berlin am Donnerstag vor dem Frankfurter Landgericht. Er räumte lediglich ein, Mitglied eines rechten Forums im Darknet gewesen zu sein. Dort seien in einer geschlossenen Chatgruppe auch Polizisten gewesen, sagte Alexander M.
In diesem Forum seien viele antisemitische Äußerungen gefallen, der Umgangston sei „unter aller Sau“ gewesen. Er beschrieb sich als Opfer von Tricksereien, das als Täter hingestellt werden solle. Er habe Insiderwissen, behauptete M., wolle dann aber in ein Zeugenschutzprogramm. Fragen des Gerichts und der anderen Prozessbeteiligten wollte M. nicht beantworten.
Angehörige der Landtagsfraktion der Linken begleiteten den Prozessbeginn mit einer Mahnwache vor dem Gerichtsgebäude. Der Abgeordnete Hermann Schaus bedauerte, dass die illegalen Datenabfragen nicht Teil der Anklage seien. Hier bestehe nach wie vor Aufklärungsbedarf, betonte er. „Wir wollen unsere Solidarität mit den Betroffenen des NSU 2.0 zum Ausdruck bringen und klar machen: Rechte Netzwerke in Polizei, Sicherheitsbehörden und Militär müssen konsequent aufgedeckt und zerschlagen werden.“
„Es muss dringend aufgeklärt werden, ob Polizeibeamte durch Abfragen an Polizeicomputern direkt oder indirekt an den Drohbriefschreiben beteiligt waren. Das wirft auch erneut die Frage nach Netzwerken und rechten Strukturen in den Polizeibehörden auf“, sagte Irene Mihalic, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. (dpa, iQ)