Moscheearchitektur

Barrierefreie Moscheen – eine kollektive Verantwortung

Immer mehr Moscheen bemühen sich um Barrierefreiheit, damit auch Menschen mit Behinderung am Moscheeleben teilhaben können. Die Architektin Kerime Türk sieht noch Luft nach oben und fordert bestimmte Standard einzuführen.

05
03
2022
Symbolbild: Barrierefreie Moscheen
Symbolbild: Barrierefreie Moscheen

Viele Moscheegebäude in Europa, allen voran in Deutschland, wurden nicht als Moschee geplant, sondern waren ehemalige Wohn- oder Fabrikgebäude. Nicht die Architektur, die Nutzungsbestimmungen oder die Ästhetik standen im Vordergrund, sondern vielmehr die konkreten religiösen Bedürfnisse. Dass die damaligen „Gastarbeiter“ nicht vorhatten, auf Dauer zu bleiben, zeigte sich auch in der Architektur der Moscheen. Erst mit der Zeit wurden die Angebote und Arbeitsbereiche in den Moscheen vielfältiger. Heute bieten Moscheen eine Reihe von Dienstleistungen an. Angefangen von der Kinder- und Jugendarbeit, bis hin zu Angebot für Erwachsene und ältere Menschen.

Seit einiger Zeit versuchen Moscheen auch Menschen mit Behinderungen anzusprechen. Ziel ist es, ihre Angebote und den Zugang zur Moschee barrierefreier gestalten. Denn alle Menschen müssen die Möglichkeit haben, die Angebote der Moscheen und Bildungseinrichtungen gleichermaßen nutzen zu können. Was das konkret bedeutet, möchte ich anhand einiger Beispiele verdeutlichen.

Wie barrierefrei sind Moscheen?

Eines der Ziele von Organisationen wie der Europäischen Moscheebau- und Unterstützungsgemeinschaft (EMUG) ist es, die Inklusion von behinderten Menschen in die Gesellschaft und in die Glaubensgemeinschaft zu ermöglichen. Deshalb bemühen wir uns, insbesondere bei der Planung neuer Moscheen und Bildungseinrichtungen, bestimmte Standards einzuhalten. Wir beschränken uns dabei nicht darauf, die Erreichbarkeit des Ortes selbst zu gewährleisten, sondern suchen auch nach Antworten auf alle Hindernisse. Denn gegenwärtig ist zu beobachten, dass Menschen mit Behinderungen sogar bei der Verrichtung der Gebete in der Moscheen vor verschiedenen Hindernissen stehen. 

Die meisten Moscheen können von Menschen mit einer Gehbehinderung gar nicht betreten werden, sondern sind dabei, aufgrund einer fehlenden Vorrichtung, auf Hilfe angewiesen. Das hindert diese Menschen am Moscheebesuch. Notwendige Vorkehrungen für Menschen mit Sehbehinderung gibt es kaum, und wenn doch, dann beschränken sie sich im Wesentlichen auf Teppiche, deren Reliefs die Gebetsrichtung anzeigen. Für Menschen mit Hörbehinderung gibt es in den Moscheen so gut wie gar keine Hilfe. Die Gründe für diese Mängel mögen zwar nicht ausreichende Mittel und ein mangelndes Bewusstsein für die Problematik sein, aber die Wurzel des Problems liegt wohl darin, dass auf institutioneller Ebene keine klaren Standards festgelegt und entwickelt worden sind.     

Was kann man tun?

Kleine Schritte bewirken große Freude. Die Anbringung von Bodenindikatoren oder fühlbaren Leitstreifen können das Sicherheitsgefühl von Menschen mit einer Sehbehinderung steigern, sodass sie sich eigenständig innerhalb der Moschee zurechtfinden. Außerdem könnten auch wichtige Informationen bezüglich der Räumlichkeiten in Brailleschrift angebracht werden. Hierzu gehören auch Aufzüge und Waschräume.

Um Menschen mit einer Körperbehinderung zu helfen, ist es mit einfachen Mitteln möglich, die Haupteingänge und die Stufen, die in die unterschiedlichen Räumlichkeiten führen, mit Rampen zu versehen, um so die Zugänglichkeit zu garantieren. Wenn es in den Gebäuden keine Aufzüge gibt, kann man die Treppen mit Vorrichtungen versehen, die Menschen oder Rollstühle transportieren können; und wenn man vor dem Gebetsraum einen sauberen Reserverollstuhl stellt, erweist man Menschen mit Körperbehinderung einen sinnvollen Dienst.

Zusätzlich könnten in jedem Waschraum eine Behindertentoilette und tief liegende, erreichbare Waschbecken installiert werden. So hat man die größten Hindernisse, denen Menschen mit Körperbehinderung in den Moscheen begegnen, beseitigt.

Eine Hilfestellung für Menschen mit einer Hörbehinderung wäre es, den Gebetsruf mit einem speziellen Licht zu begleiten und sie so auf den Eintritt der Gebetszeit aufmerksam zu machen. Wenn außerdem die Freitagspredigt zeitgleich in Gebärdensprache übersetzt oder an die Wand projiziert würde, wäre das eine sehr effektive Hilfestellung für gehörlose Menschen.

Eine kollektive Verantwortung

Es gehört zu den Aufgaben muslimischer Institutionen, dafür zu sorgen, dass Menschen mit Behinderung zumindest von ihren Wohnungen aus in die Moschee kommen, hier soziale Kontakte pflegen, wieder an das Leben anknüpfen und sich in der Atmosphäre der Moschee entspannen können.

Wenn zusätzlich nicht nur die Innenräumlichkeiten, sondern auch die äußere Umgebung der Moscheen barrierefrei gestaltet wird, wird dies nicht nur die Menschen mit Behinderung selbst, sondern auch ihre Familien erfreuen und dafür sorgen, dass sie aktiver am Gemeindeleben teilhaben. Deshalb sollten die zuständigen Institutionen Standards erarbeiten und umsetzen, damit die Moscheen erreichbarer werden. Das ist eine kollektive Verantwortung.  

Leserkommentare

Kudsi sagt:
Unsere 2008 eröffnete Moschee in Köln-Chorweiler ist nicht nur die erste Moschee in Köln mit öffentlichem Muezzinruf seit 2010, sondern auch seit 2015 bundesweit die erste barrierefreie Moschee. Wir haben Oktober 2015 am Haupteingang unserer Moschee eine Behindertenrampe ergänzt, was damals bundesweit einmalig war. Wir haben damals eine kleine Eröffnungsfeier mit Gästen aus dem Altenheim veranstaltet. Vielen Dank dass Sie darauf hinweisen, dass zur Barrierefreiheit mehr gehört als nur ein Rollstuhlzugang. Ich werde unseren Vorstand kontaktieren und anfragen, was sich noch machen lässt.
05.03.22
16:11
Vera sagt:
Es ist in der Tat eine kollektive Verantwortung, dass auch Menschen (m/w/d) an allem gleichberechtigt teilhaben können, die nicht strengen heteronormativen Vorstellungen und Regelungen entsprechen. Da sehe ich noch viel Luft nach oben. Neue Standards mit entsprechender Zugangsfreiheit müssen daher verbindlich eingeführt und willkommen geheißen werden. Auch die umfassende Thematisierung von Menschenrechten, individuellen Freiheits- und wichtigen Autonomierechten muß gewährleistet sein. Denn diese sind universell, unveräußerlich und unteilbar und gelten für jeden Menschen gleichermaßen - unabhängig vom Ansehen seiner Person - immer & überall. Gerade Autoritätspersonen und Funktionsträger übersehen dies leider immer wieder und benötigen deshalb öfters eine Aufmunterung und Ermahnung.
23.04.22
22:37