In Bosnien brannte sich vor 30 Jahren das Massaker von Srebrenica in das Gedächtnis der Menschheit ein. Jahre später ist die politische Lage weiterhin angespannt. Ein Interview mit dem Hohen Repräsentanten der Christian Schmidt.
Herr Schmidt, was genau macht der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina?
Christian Schmidt: Der Hohe Repräsentant begleitet den demokratischen Übergang in Bosnien-Herzegowina. Alle sechs Monate informiert er den UN-Sicherheitsrat und den UN-Generalsekretär über den Stand der Dinge.
Wie können Sie Ihren Auftrag zu umsetzen?
Schmidt: Mit den Bonner Vollmachten hat der Hohe Repräsentant die Möglichkeit, exekutive Entscheidungen zu treffen, also Anordnungen, Gesetze und auch Personalentscheidungen.
Das klingt nach weitreichendem Einfluss.
Schmidt: Von meinen rechtlichen Befugnissen nähere ich mich – zugespitzt formuliert – dem Diktatorischen, weil es gegen Entscheidungen von mir keine Widerspruchsmöglichkeit gibt. Deswegen übe ich diese Befugnisse sehr zurückhaltend aus: Jeder Eingriff ist ein Schlag ins Kontor für diejenigen, die das Land selbstständig entwickeln wollen. Aber leider ist Bosnien-Herzegowina gegenwärtig in eine Selbstblockade zurückgefallen, die es vielleicht notwendig macht, dass ich von meinen „Bonner Vollmachten“ Gebrauch machen muss.
Können Sie Beispiele nennen?
Schmidt: In der Republika Srpska, einer der beiden Entitäten Bosnien-Herzegowinas, gibt es Bestrebungen, sich Grundstücke aus dem Staatsvermögen des ehemaligen Jugoslawien anzueignen. Bislang existiert aber immer noch kein Gesetz dazu. Ich weise daher darauf hin, dass jede Transaktion null und nichtig ist, solange es keine rechtliche Klärung gibt. Ein weiteres aktuelles Beispiel ist die Debatte um ein Gesetz zur Verfolgung der Verherrlichung von Kriegsverbrechen und Völkermord…
…das Ihr Vorgänger Valentin Inzko erlassen hat.
Schmidt: Das Problem liegt nicht darin, dass das Gesetz erlassen worden ist.
Sondern?
Schmidt: Wenn die internationale Gemeinschaft vertreten durch den Hohen Repräsentanten ein solches Gesetz anordnet, weil das Parlament nicht in der Lage ist, einen Konsens zu finden, sagt das mehr über den Zustand der Gesellschaft aus als über das Gesetz.
Was folgt daraus?
Schmidt: Ich habe dem Parlament eine Aufforderung geschickt, man möge ein eigenes Gesetz erlassen, das den Maßstäben der internationalen Gemeinschaft und Europas genügt. Meine Zusage ist: Wenn ein solches Gesetz in Kraft tritt und ich das geprüft habe, bin ich bereit, die von meinem Vorgänger erlassene Regelung zurückzunehmen.
Der Schriftsteller Dzevad Karahasan hält die Dayton-Verfassung für ein „schwachsinniges Konstrukt“, das Bosnien zu einem „bürokratischen Monster“ mache. Können Sie das nachvollziehen?
Schmidt: Man kann das leicht kritisieren, aber man muss dann auch sagen, wie es stattdessen gehen soll. Ja, die Dayton-Verfassung hat eine Tendenz zu Überregulierung. Aber das Gute am Vertrag von Dayton ist, dass er Frieden gebracht hat.
Nach fast drei Jahrzehnten ist das vielleicht ein bisschen wenig.
Schmidt: Frieden ist ein sehr hohes Gut, das wissen die Menschen hier. Die Dayton-Verfassung muss solange bleiben, bis es eine neue gibt. Und die kann nicht zwischen den Staatsführern der Welt vereinbart und dem Volk übergestülpt werden, sondern muss aus der Gesellschaft heraus kommen.
Sie sind der erste Hohe Repräsentant, der nicht einstimmig vom zuständigen Lenkungsausschuss des Friedensimplementierungsrates ernannt worden ist.
Schmidt: Für die Berufung ist eine Mehrheit im Lenkungsausschuss erforderlich. Die hat es gegeben, allerdings bemühte sich Russland im Anschluss sehr intensiv darum, diese Entscheidung in den UN-Sicherheitsrat zu bringen, was bei keinem meiner Vorgänger der Fall war und was der Dayton-Vertrag auch nicht hergibt. Ich betrachte das inzwischen als einen Teil der Strategie Russlands, sich aus der regelbasierten Weltordnung zu verabschieden.
Schwächt das Ihre Position?
Schmidt: Nein, weil ich von der internationalen Gemeinschaft minus Russland voll getragen und unterstützt werde. Es gibt in der Republika Srpska einige Führungskräfte, die sich Russland verbunden fühlen und meine Position kritisch betrachten. Allerdings gibt es keine Missachtung meines Amtes.
Warum, glauben Sie, ist das so?
Schmidt: Der Hohe Repräsentant steht immerhin für die Internationale Gemeinschaft. Und dann gibt es noch das militärische Mandat EUFOR-Althea. Diese Ordnungs- und Stabilisierungskraft ist nicht von Pappe.
Wie wirkt sich Russlands Krieg in der Ukraine aus?
Schmidt: Die Führung der Republika Srpska tut so, als könne man neutral bleiben. Eine ungenügende Position. Denn wer die europäische Integration vorantreiben will, muss schon Farbe bekennen. Interessant ist, dass die Vettern in Belgrad, also die Republik Serbien, den Ukraine-Krieg verurteilt haben.
Was sagen Sie denen, die vor einer Abspaltung der Republika Srpska warnen?
Schmidt: Meine Aufgabe ist es, den Dayton-Vertrag zu exekutieren und der sieht die territoriale Integrität von Bosnien-Herzegowina vor. Jeder, der Selbstständigkeitsfantasien hat, kriegt es mit der internationalen Gemeinschaft und mit mir zu tun. Davon abgesehen hat die Republik Serbien kein Interesse, die Entität mit ihren rund 900.000 Einwohnern als selbstständig anzuerkennen. Die Republika Srpska allein ist ökonomisch und politisch nicht überlebensfähig.
Muslimische Bosniaken, katholische Kroaten und orthodoxe Serben – sind Religionen Teil des Problems oder Teil der Lösung?
Schmidt: Bei meinem Amtsantritt war ich erstaunt, dass die internationale Gemeinschaft es bislang nicht einmal geschafft hat, dass Schülern in Bosnien eine gemeinsame geschichtliche Grundlage vermittelt wird. Und ich frage mich auch: Wo waren denn da die Religionsgemeinschaften? Natürlich gibt es Zusammenhänge zwischen ethnischer Zugehörigkeit und Religion. Die Religionsvertreter sollten in der Frage des Zusammenwachsens vorangehen. Der Großmufti von Sarajewo, Husein Kavazovic, ist da sehr offen. Ich habe den Eindruck, dass auch Papst Franziskus über diese Fragen intensiv nachdenkt. Am schwierigsten scheint es bei der serbisch-orthodoxen Kirche zu sein, aber vom Patriarchen aus Belgrad kommen ermutigende Signale.
Gerade Religionsvertreter warnten unlängst vor neuen Spannungen in Bosnien-Herzegowina – zu Recht?
Schmidt: Leider ja. Es geht, wie auch andernorts auf dem Balkan, nicht vorrangig um ethnische Spannungen, sondern auch um Korruption, die wiederum durch Nationalismus kaschiert werden soll. Wenn die Verantwortlichen nicht endlich dazu gebracht werden, sich aus diesem Teufelskreis zu verabschieden, steht nicht nur dem Land selbst eine schwierige Zukunft bevor. Bosnien wird gern als „Jugoslawien im Kleinen“ bezeichnet. Daran lässt sich erahnen, was ein Scheitern an destabilisierenden Effekten auch auf die Nachbarländer haben könnte.
Hat Deutschland der Entwicklung auf dem Balkan genügend Beachtung geschenkt?
Schmidt: Deutschland und die EU haben sich von dem falschen Eindruck leiten lassen, dass da, wo es nicht knallt und dampft, die Dinge gut laufen. Das ist ein Fehlschluss. Ich glaube, dass sich die aktuelle Bundesregierung stärker um die Probleme auf dem Balkan kümmern will.
Ihr Vorgänger Valentin Inzko war zwölf Jahre im Amt, die anderen Hohen Repräsentanten zwischen einem und drei Jahren. Wie schaut Ihre Prognose aus?
Schmidt: Eine zeitliche Begrenzung gibt es nicht. Ich will vor allem verhindern, dass dieses Land ausblutet. Alleine im vergangenen Jahr sind 170.000 Menschen bei einer Einwohnerzahl von drei Millionen ausgewandert, die meisten von ihnen gut ausgebildet. Wenn es uns gelingt, diesen Trend umzukehren, ist das ein wichtiger Schritt nach vorn.
Das war jetzt noch keine Antwort auf die Frage.
Schmidt: In den kommenden zwei Jahren müssen wir uns alle miteinander darüber klar werden, wohin die Reise geht. Es gibt noch ein paar Irrläufer, die falsch gebucht haben. (KNA, iQ)