Kontinuität statt politischem Erdbeben: Macron bleibt im Amt. Seine rechte Herausforderin Le Pen, die auf Konfrontation mit der EU gehen wollte, hat die Präsidentschaftswahl verloren.
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hat sich bei der Präsidentschaftswahl gegen die rechtsnationale EU-Kritikerin Marine Le Pen durchgesetzt. Laut Hochrechnungen nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend kam er auf 58,5 bis 58,8 Prozent der Stimmen. Le Pen erreichte demnach 41,2 bis 41,5 Prozent und holte damit trotz ihrer Niederlage das historisch beste Ergebnis ihrer Partei. Deutsche und europäische Spitzenpolitiker gratulierten dem Mitte-Politiker und zeigten sich teils von seinem Sieg erleichtert. Das Wahlergebnis zeigt dennoch ein tief gespaltenes Land.
Eines hat die Präsidentenwahl 2022 überdeutlich gezeigt: Die traditionellen Wählermilieus sind kollabiert. So votieren auch immer mehr enttäuschte und mit der Globalisierung fremdelnde Katholiken für den rechtsextremen Rassemblement National und andere Rechtsradikale – über Jahrzehnte ein No-go. In früheren Wahlen wählten Frankreichs Katholiken stets eher bürgerlich und blieben unter dem Landesdurchschnitt für extreme Kandidaten.
Macrons Sieg ist vor allem als Niederlage Le Pens zu verstehen. Denn viele Franzosen waren mit seiner ersten Amtszeit unzufrieden. Etliche Parteien hatten nach der ersten Wahlrunde dazu aufgerufen, eine Mauer gegen Rechts zu bauen und eine Präsidentin Le Pen, die trotz betont gemäßigteren Auftretens weiterhin extrem rechte Positionen vertritt, durch eine Stimme für Macron zu verhindern. Diese Strategie hatte bereits 2017 gefruchtet, als Le Pen und Macron sich erstmals in der Stichwahl gegenüberstanden, sowie 2002 als Le Pens Vater Jean-Marie Le Pen krachend gegen den Konservativen Jacques Chirac verlor.
Während sich die katholischen Bischöfe im Vorfeld der Stichwahl am Sonntag nur wachsweich zum zweiten Wahlgang äußerten, positionierten sich die Protestanten klar für Macron und gegen Le Pens Populismus. Und noch klarer die Repräsentanten der rund sechs Millionen Muslime im Land: Le Pen, erklärte Gegnerin von Globalisierung, „Fremdarbeitern“, „Überfremdung“ und Multikulturalismus, ist für sie schlicht nicht wählbar.
Das klare Votum der Islamverantwortlichen pro Macron war gleichwohl nicht selbstverständlich; im ersten Wahlgang hatten sie vor allem den Linkspopulisten Jean-Luc Melenchon gewählt. Präsident Macron zeigte in seiner ersten Amtszeit durchaus klare Kante, was das politische Bekenntnis von Muslimen zu den Werten der Republik angeht. Im Zwist um eine „Charta der Prinzipien“ für den Islam in Frankreich entzog die Regierung dem nationalen Islam-Dachverband CFCM am Ende das Recht, die Muslime im Land zu vertreten. Das Gremium zerbrach; ein klarer gemeinsamer Neuanfang von Staat und Islam muss nun folgen.
Das Dauerspannungsfeld von Laizität oder Laizismus lässt Frankreich – „älteste Tochter der Kirche“ und zugleich das Land mit den europaweit meisten Muslimen und Juden, niemals los: Nutzt der Staat seine weltanschauliche Neutralität, um freie Religionsausübung positiv zu schützen und zu begünstigen – oder definiert er den öffentlichen Raum als möglichst frei von religiösem Bekenntnis? Die teils widersprüchlichen Urteile französischer Gerichte zum Tragen religiöser Symbole spiegeln eine gesellschaftliche wie behördliche Verunsicherung wider.
Im Wahlkampf 2022 schimpfte Le Pen auf Einwanderer mit muslimischem Schleier – den sie im öffentlichen Raum verboten sehen will. Aus anderen gesellschaftsethischen und religiösen Fragen hielt sie sich, schon traditionell, weitgehend heraus. Im einzigen TV-Duell der beiden Stichwahl-Kandidaten am Mittwochabend warnte Macron, Le Pens Kopftuchverbot würde „den Bürgerkrieg in die Vorstädte“ tragen; zudem wäre es verfassungswidrig: Laizität bedeute Neutralität und sei nicht ein Kampfinstrument gegen eine bestimmte Religion. (dpa/iQ)