Obwohl rechtsextreme Einstellungen in Deutschland insgesamt abgenommen haben, besteht kein Grund zur Freude. Es gibt weiterhin eine starke Ablehnung gegenüber bestimmten Minderheiten, wie Muslimen. Diese sind sogar stärker geworden, zeigt eine neue Studie an der Universität Leipzig.
Muslime werden stärker stigmatisiert, als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt die repräsentative sozialpsychologische „Mitte-Studie“ an der Universität Leipzig, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Für die Studie werden seit 2002 im Zwei-Jahres-Rhythmus repräsentative Erhebungen zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland durchgeführt und mit bisherigen Daten verglichen.
Laut aktuellen Ergebnissen ist zwar ein deutlicher Rückgang bei rechtsextremen Meinungen und rechtsextrem Eingestellten feststellbar, allerdings zeigt sich, dass rechtsextremes Gedankengut in allen Bevölkerungsgruppen vorhanden ist und bestimmte Gruppen, wie Muslime, stärkere Ablehnung erfahren.
Der Anteil derjenigen, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben, ist in ganz Deutschland deutlich zurückgegangen – von 9,7 Prozent im Jahr 2002 auf 5,6 Prozent im Jahr 2014. Es gibt jedoch weiterhin eine hohe Zustimmung in der Kategorie „teils/teils“ (zwischen 12 und 31 Prozent). Jeder fünfte Deutsche ist zudem noch immer ausländerfeindlich. Die zweithöchsten Zustimmungswerte erreichen mit 13,6 Prozent chauvinistische Aussagen, 5 Prozent der Deutschen sind außerdem antisemitisch eingestellt.
„Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich bildlich gesprochen in einer Insellage. Die wirtschaftliche Gesamtentwicklung ist mit Wirtschaftswachstum und Exportsteigerung so gut wie seit Jahren nicht mehr“, erklärt Diplompsychologe PD Dr. Oliver Decker von der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig. „Dabei wissen wir schon seit Jahren um den engen Zusammenhang von Wirtschaft und politischer Einstellung. Jetzt ist auch der Kontrast zu allen anderen Ländern in Europa sehr groß: Das stabilisiert die Mitte der Gesellschaft.“
„Es gibt aber auch eine schlechte Nachricht: Bestimmte Gruppen von Migranten werden umso deutlicher diskriminiert“, erklärt Oliver Decker. Im Jahr 2014 geben sich 20 Prozent der Deutschen als ausländerfeindlich zu erkennen. Asylsuchende, Muslime sowie Sinti und Roma erfahren eine weit höhere Stigmatisierung. Die Abwertung von Asylbewerbern ist mit 84,7 Prozent der Befragten in den neuen und 73,5 Prozent der Befragten in den alten Bundesländern sehr groß. Aber auch Sinti und Roma ziehen bei mehr als der Hälfte der Deutschen Ressentiments auf sich, und fast die Hälfte der Deutschen lehnen Muslime ab.
„Die Empfänglichkeit für die Ideologie der Ungleichwertigkeit ist weiterhin vorhanden“, sagt Oliver Decker. „Wir sehen hier eine autoritäre Dynamik: Nicht Migranten im Allgemeinen werden abgelehnt, viele Deutsche denken nun: Die bringen uns was. Aber jene, die die Phantasie auslösen, sie seien grundlegend anders oder hätten ein gutes Leben ohne Arbeit, ziehen die Wut auf sich.“ Die Wissenschaftler nennen das Phänomen den sekundären Autoritarismus. Die Stellung der Wirtschaft in Deutschland spiele mit hinein. „Sie ist zu so etwas wie einer nicht hinterfragbaren Autorität geworden“, so Decker. „Wenn sie stark ist, freuen sich die Menschen. Aber trotzdem müssen sie sich ihr unterordnen, und das produziert Aggressionen, die sich dann gegen Abweichende oder Schwächere richten.“
Zu den weiteren Ergebnissen der Studie gehört, dass Bildung ein entscheidender Schutz vor rechtsextremen Einstellungen sein kann. Befragte mit Abitur stimmten signifikant seltener rechtsextremen Einstellungen zu als Personen mit einem niedrigeren Bildungsabschluss. Der Effekt der Bildung ist laut Studie sehr deutlich: Beispielsweise sind 6,8 Prozent der Menschen mit Abitur, aber 20,8 Prozent ohne Abitur ausländerfeindlich eingestellt.
Rechtsextreme Einstellungen sind zudem nicht nur bei den Anhängern einer bestimmten Partei anzutreffen. Laut Studie sind solche Einstellungen bei sämtlichen politischen Parteien nachweisbar, und auch die Wählerschaft der großen Parteien SPD und CDU sind davon nicht ausgenommen. „Es fällt allerdings auf, dass die stärkste Anziehungskraft bei den Wählern mit einer ausländerfeindlichen, antisemitischen und chauvinistischen Einstellung neben den rechtsextremen Parteien die AfD hat“, erklärt der Sozialwissenschaftler Johannes Kiess, der seit 2008 an der Studie mitarbeitet.
Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit sind in Ostdeutschland noch immer häufiger zu beobachten als in Westdeutschland. Das liege auch daran, dass in den alten Bundesländern oft weniger Migranten leben würden. Der Kontakt zu Migranten verhindere Vorurteile und Ressentiments.