Mitte 2019 wurde #brandeilig, die bundesweit erste Meldestelle für Moscheeangriffe, ins Leben gerufen. Nun wurde der erste Bericht veröffentlicht. Fazit: Nicht aufgeklärte Angriffe motivieren potenzielle Angreifer. Ein Gespräch mit den Verfassern der Studie.
IslamiQ: Im Jahre 2019 hat die Initiative #brandeilig ihre Arbeit aufgenommen. Nun wurde auch der erste Bericht veröffentlicht. Was sind die Ergebnisse des Berichts?
Yusuf Sarı: Vorab möchte ich anmerken, dass systematisierte und detaillierte Hintergrundinformationen zu Moscheeangriffen bisher nicht vorlagen. Denn Berichte über Moscheeangriffe, z. B. in Nachrichtenmedien, sind eher rar und auf den lokalen Kreis beschränkt. Das gilt auch für die Informationen, die in den Meldungen enthalten sind. Selten bis kaum wird über den weiteren Verlauf und vor allem die Folgen eines Angriffes berichtet. Mit der Initiative #brandeilig versuchen wir diese Lücke in der Berichterstattung zu füllen und den Blick auf die betroffenen Gemeinden zu lenken.
Inzwischen kann ein Umdenken in Gesellschaft und Politik beobachtet werden. Moscheeangriffe erfahren mehr Aufmerksamkeit. Das sieht man an der mittlerweile beinahe regelmäßigen Thematisierung in Parlamentsdokumenten wie auch im nun spürbaren Aufgreifen dieses Themas in den Medien. Doch die gesteigerte Aufmerksamkeit bleibt weitestgehend folgenlos. In unserem Bericht, der sich auf das Jahr 2018 bezieht, haben wir festgestellt, dass Solidaritätsbekundungen vonseiten der Politik nach einem Angriff nur in sehr wenigen Fällen erfolgen und wenn dann eher symbolisch bleiben.
Ein weiterer Befund ist, dass Moscheegemeinden mit den teils hohen Sachschäden allein gelassen werden. In den wenigsten Fällen wurden die Schäden von Gebäudeversicherung übernommen. Es gab sogar Fälle, in denen der Gemeinde der Versicherungsschutz gekündigt wurde. So mussten die Moscheegemeinden selbst für die Schäden aufkommen. Für die Beseitigung der Schäden, die zum größten Teil mit eigenen Mitteln durchgeführt wurden, wurden allein im Jahr 2018 mehr als 200.000 Euro ausgegeben. Laut betroffener Moscheegemeinden wären die Kosten, wenn man die Schäden von Fachleuten hätte beseitigen lassen, um ein Vielfaches höher ausgefallen. Dafür, dass die Einkünfte von Moscheegemeinden nur aus bescheidenen Mitgliedsbeiträgen und Spenden, bestehen, sind das schon sehr hohe Kosten.
Ein wichtiger Befund ist zudem, dass Vandalismus mit Sachbeschädigung zu den häufigsten Formen von Angriffen gehören und in ungefähr der Hälfte der Vorfälle konnten wir eine rechtsextremistische Motivation feststellen. Bei der Untersuchung der Vorfälle haben wir bedauerlicherweise feststellen müssen, dass nur die wenigsten Vorfälle, nämlich 9 von 120, seitens der Polizei aufgeklärt werden konnten. Diese Ermittlungsquote ist sehr gering. Hier muss auf jeden Fall ein Weg gefunden werden, die Ermittlungserfolge zu steigern.
IslamiQ: Wie sind Sie zu diesen Ergebnissen gekommen? Was sind Ihre Quellen? Und wieso behandelt Ihr erster Bericht das Jahr 2018?
Sarı: Wir haben uns auf mehrere Quellen gestützt. Erstens sind das lokale und überregionale Medienberichte sowie Postings in sozialen Medien, die wir durch eine direkte Kontaktaufnahme mit der betroffenen Moscheegemeinde überprüft und anschließend dokumentiert haben. Zweitens dienten uns die Antworten der Bundesregierung auf die parlamentarischen „Kleinen Anfragen“ zum Thema antimuslimische Straftaten als Quelle.
Unsere wichtigste Informationsquelle sind aber unsere Kooperationspartner und die verschiedenen islamischen Religionsgemeinschaften selbst. So konnten wir Hintergrundinformationen schneller abfragen und anschließend standardisierte Telefoninterviews konzipieren und mit betroffenen Moscheevorständen durchführen.
So haben wir für das Jahr 2018, insgesamt 120 Moscheeangriffe registriert. 68 der betroffenen Gemeinden haben sich für ein Interview zur Verfügung gestellt. Unser Bericht bezieht sich auf das Jahr 2018, weil unsere Interviewpartner sich zu Angriffen aus dem Jahr 2018 geäußert haben. Die Interviews fanden im Verlauf des Jahres 2020 statt, so konnten wir sicher gehen, dass sämtliche Informationen zu den Angriffen verfügbar sind und wir alle Nachmeldungen und Entwicklungen in den Ermittlungen ausreichend berücksichtigt haben.
IslamiQ: In ihrem Bericht gab jede zweite Moscheegemeinde an, bereits in der Vergangenheit angegriffen worden zu sein, dies nicht zur Anzeige gebracht zu haben. Woran liegt diese Zurückhaltung?
Meryem Küçükhüseyin: Hierfür wurden hauptsächlich zwei Gründe geäußert: Ein Teil der interviewten Gemeindevorsitzenden gaben an, dass sie so oft Ziel von Schmierereien, Beleidigungen usw. geworden seien, dass sie eigentlich jeden Monat zur Polizeiwache gehen müssten und dafür die Zeit gar nicht aufbringen könnten. Die meisten Moscheevorsitzenden hatten den Eindruck, dass die Ermittlungen „sowieso immer ins Leere laufen“ würden und dass eine Anzeige am Ende, „doch nichts bringe“.
Das zeigt, dass der Erfolg oder Misserfolg von sicherheitsbehördlichen oder staatsanwaltlichen Ermittlungen einen großen Einfluss auf das Sicherheitsgefühl und Meldeverhalten der betroffenen Gemeinden hat. Auch vor diesem Hintergrund ist die ermittelte Aufklärungsquote von 9 von 120 registrierten Moscheeangriffen im Untersuchungsjahr als zu niedrig einzustufen.
IslamiQ: Laut dem Bericht wurden im Jahr 2018 insgesamt 120 Moscheeangriffe registriert. Wie ist der Trend in den darauffolgenden Jahren?
Şeyma Kuri: In den darauffolgenden Jahren ist ein Anstieg von Moscheeangriffen zu verzeichnen. Im Jahr 2019 haben wir 141 Moscheeangriffe registrieren können. 2020 haben wir mit 148 Angriffen den bisherigen Höchststand erreicht. Danach macht sich die Pandemie bemerkbar und die Anzahl der Angriffe auf Moscheen nimmt ein wenig ab. Die Dunkelziffer dürfte jedoch höher liegen, da, wie bereits gesagt, nicht jeder Moscheeangriff zur Anzeige gebracht wird. Während unserer Intertviews konnten wir zum Beispiel feststellen, dass einige Moscheen im selben Untersuchungsjahr bereits zuvor auch angegriffen wurde. Diese Moscheeangriffe wurden jedoch nicht öffentlich bekannt.
IslamiQ: Einem anderen Bericht zu Moscheeübergriffen im Jahr 2020 zufolge stehen Moscheeübergriffe in einem Kausalverhältnis zu politischen und medialen Ereignissen. Wie sehen Sie das?
Kuri: Wir verzeichnen einen Anstieg von Moscheeangriffen, wenn Rechtspopulisten mit negativer Stimmungsmache gegenüber Muslimen Wahlkampf betreiben und Medien negativ über Islam und Muslime berichten. Moscheen scheinen als Projektionsfläche für viele unterschiedliche Vorurteile bzw. Konflikte im Inland und Ausland wahrgenommen zu werden. So wurden im Untersuchungsjahr 2018 eine Vielzahl von DITIB-Moscheen als Reaktion auf Militäroperationen der Türkei in Afrin angegriffen. Das zeigt, dass Moscheen aus den unterschieldichsten Kreisen Anfeindungen erfahren. Und das wiederum bedeutet, dass die Gefahr für Moscheen nicht etwas Vorübergehendes ist.
In diesem Kontext kann sich die Situation auch gefährlich zuspitzen. Im Untersuchungsjahr haben wir 9 Brandanschläge und 2 Angriffe mit Luftgewehren und eine Reihe von Gewaltandrohungen registriert. Zum Glück ist niemand durch diese Angriffe verletzt worden.
IslamiQ: Nach einer Serie von Bombendrohungen im Jahre 2019 und den rechten Anschlagsplänen auf Moscheen im Jahre 2020 forderten islamische Religionsgemeinschaften mehr Schutz für Moscheen. Eine Recherche von IslamiQ ergab, dass die betroffenen Bundesländer den Schutz von Moscheen nicht erhöhen werden. Wie beurteilen Sie das?
Küçükhüseyin: Die Gefahr für Leib und Leben ist real. Das hat nicht zuletzt der Angriff auf eine Moschee in Halle wiederholt mit einem Luftgewehr verdeutlicht. Die Gefahrenlage für Moscheen muss regelmäßig neu bewertet werden. Unser Bericht zeigt, dass ein großes Gewaltpotenzial gegenüber Moscheen vorhanden ist und dass dieses Potenzial durch unterschiedliche Entwicklungen getriggert werden kann. Wir haben aber auch festgestellt, dass die Bundesländer den Schutz der Moscheen nicht auf der Tagesordnung haben, außer es wird tatsächlich eine Moschee angegriffen. Sonst findet das Thema kaum Beachtung.
IslamiQ: In Ihrem Bericht sprechen Sie auch Empfehlungen aus. Was empfehlen Sie Behörden und Politikern?
Kuri: Grundsätzlich war der Schritt unter dem damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière, das Thema der Moscheeangriffe aufzugreifen, wichtig. Dieser Ansatz müsste wieder aufgenommen und weitergeführt werden. Insbesondere könnten in einem solchen Dialog mögliche Sicherheitsmaßnahmen für Moscheen auf die Tagesordnung gesetzt werden. Weiter können Bund und Länder in enger Zusammenarbeit, den Moscheen, finanzielle Subventionen für Sicherheitsmaßnahmen ermöglichen.
Es sind jedoch nicht nur Moscheen einer akuten Bedrohung ausgesetzt. Dasselbe gilt auch für Synagogen. Daher wäre es vielleicht sinnvoll, auf Bundesebene ein Programm ins Leben zu rufen, das sich mit dem Thema der Angriffe auf Gotteshäuser befasst, den Betroffenen Unterstützung anbietet und den potenziellen Betroffenen die Möglichkeit gibt, ihre Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen.
Ferner sollte auf Landesebene ein enger Dialog mit den islamischen Religionsgemeinschaften stattfinden, um über sinnvolle Maßnahmen zum Schutz von Moscheegemeinden zu beraten. Moscheen und andere Gotteshäuser müssten regelmäßig über die Sicherheitslage informiert werden. Die Bundesländer sollten Schritte unternehmen, um die Aufklärungsquote von Angriffen auf Gotteshäusern zu verbessern. Nicht aufgeklärte Moscheeangriffe motivieren potenzielle Angreifer und führen bei Betroffenen zur Resignation. Für weitere Maßnahmen möchte ich auf unseren Bericht verweisen.
Besonders hervorzuheben ist jedoch, dass man davon absehen sollte, in rechten Gewässern mit dem Thema Islam auf Stimmfang zu gehen. In der Vergangenheit haben einige Politikerinnen und Politiker immer wieder versucht, über undifferenzierte und pauschalisierende Aussagen bezüglich Muslimen und Moscheen, die politische Karriereleiter hinaufzuklettern.
Wichtig ist auch, dass sich Politikerinnen und Politiker nach Moscheeangriffen mit den betroffenen Gemeinden solidarisch zeigen. Unsere Gespräche mit den Moscheevorsitzenden haben gezeigt, dass diese Solidarität den Gemeinden guttut. Das grenzt auch die Angreifer aus und zeigt, dass ihre Taten keine Akzeptanz erhalten.
Das Interview führte Muhammed Suiçmez.