Analyse

Sprachwandel in Moscheen – eine Analyse

Auf der Grundlage von Feldforschungen analysiert Dr. Arndt Emmerich die sprachlichen Entwicklungen in den Moscheen Deutschlands. Sein Fazit: Die Politik sollte die Vielfalt stärken und nicht auf eine einsprachige Assimilation bestehen. Ein Gastbeitrag.

04
06
2022
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Moscheen und Imame
Symbolbild: Imam predigt deutsche und türkische Freitagspredigt © shutterstock, bearbeitet by iQ.

Politiker sehen im Sprachwandel oft einen primären Indikator für „gelungene Integration“ in Deutschland. Meine ethnografische Forschung zum Sprachwandel in Moscheen fragt in diesem Kontext, wie lokale Moscheegemeinden und ihre Mitglieder diese politischen Forderungen verstehen, aushandeln, umsetzen und anfechten. Durch den Besuch von mehr als 20 Moscheen, habe ich in urbanen und semi-urbanen Regionen untersucht, wie Deutsch zu einem akzeptierten Medium für die Vermittlung islamischen Wissens wird, während Herkunftssprachen wie Türkisch dennoch an die nächste Generation weitergegeben werden können. Dabei wurde deutlich, dass religiöse und ethnische Minderheiten in Deutschland oft allein gelassen werden, wenn es darum geht, Herkunftssprachen zu bewahren und an die nächste Generation weiterzugeben. 

Mit Jugendlichen habe ich darüber diskutiert, wie vorteilhaft es ist, Präsentation und Vorträge auf Deutsch zu organisieren, da dies dazu beitrage, effektiv mit Nichtmuslimen, Muslimen anderer Sprachfamilien und Ethnien sowie Konvertiten zu kommunizieren. In mehreren Moscheen werde die wöchentliche Freitagspredigt zum Beispiel auf Türkisch gehalten, während ein Beamer den Inhalt auf Deutsch auf eine Leinwand projiziert. Oder die deutsche Predigt werde nach der türkischen Predigt vorgelesen.

Nach Ansicht einiger Gesprächspartner sollte die Predigt „auch in 40 Jahren noch“ auf Türkisch gehalten werden und daher die Amtssprache der Moschee bleiben, um so das türkisch-kulturelle Erbe zu bewahren. Diese Meinung wurde auch von einer 23-jährigen Muslimin geteilt. Sie möchte, dass ihre Kinder neben Deutsch auch Türkisch sprechen, was nur möglich sei, wenn sie selbst die Sprache beibehalte. Traurig stellten sie aber auch fest, dass das Türkisch ihrer Brüder schon viel schwächer geworden ist.

Muslime in Deutschland bewahren Herkunftssprache

Muslimische Eltern, mit denen ich sprach, waren besorgt darüber, dass ihre Kinder ihre Herkunftssprache und damit die Fähigkeit verlieren, mit Verwandten und Großeltern zu sprechen. Einige in Deutschland geborene muslimische Jugendliche erzählten mir dennoch, dass bei stetig steigenden schulischen und beruflichen Anforderungen es schwierig sei, auch noch ihr Herkunftssprache aufrechtzuerhalten. Außerdem wiesen sie auch darauf hin, dass Sprache – insbesondere Türkisch – polarisiert und mit persönlichen Diskriminierungserfahrungen und transnationalen Diskursen verknüpft ist. 

Deutschland ist in der vergleichenden Wissenschaft ein interessanter Fall, weil, anders als in den USA, Frankreich oder Großbritannien, Muslime – vorwiegend in türkischen Communitys – es besser schaffen, ihre Herkunftssprache in Moscheen und Familien zu bewahren. Wo die Erhaltung der Herkunftssprache über Generationen hinweg gelingt, kann dies zu erheblicher externer Anerkennung und Mehrwert in Familien und transnationalen Netzwerken führen. 

Gülay, ein Gemeindemitglied in dritter Generation, reflektierte in diesem Zusammenhang über ihr Verhältnis zu anderen Familienteilen in Frankreich und der Türkei. Interessanterweise finden bei den gegenseitigen Besuchen die familiären Gespräche auf Türkisch statt, da keine der beiden Seiten die Sprache des Anderen – Französisch oder Deutsch – ausreichend spricht. Im Vergleich zu Gülays örtlicher Moschee in Niedersachsen, in der die Mitglieder immer noch zu 80 % Türkisch sprechen können, haben ihre französischen Verwandten, einschließlich Großeltern, eher schlechte Türkischkenntnisse: „Bei meinen Besuchen merke ich immer, wie stark die Sprachassimilation in Frankreich fortgeschritten ist.“ Während ihrer Türkei Besuche, lobten die türkischen Verwandten Gülays Grammatik und Vokabular und witzelten über die rudimentären Türkischkenntnisse der Franzosen.

Deutschsprachigen Islam hinterfragen

In Deutschland wird diese beeindruckende Bewahrung der Herkunftssprache in Moscheen und Familien oft als eine direkte Konfrontation mit der deutschen Integrationspolitik gesehen, die vermehrt darauf abzielt, sprachliche Unterschiede abzubauen. Auf der anderen Seite stellte der niederländische Kulturanthropologe Thijl Sunier bereits 2004 in seiner Forschung zum deutschen Bildungssystem fest, dass eine vollständige Sprachimmersion aufgrund der deutschen Vorstellung von „ethnischer und sprachlicher Homogenität (…) kaum erreichbar ist. Wenn die ethnische Herkunft türkisch ist, werden [die Kinder] als Ausländer betrachtet, auch wenn sie nur Deutsch sprechen.“ 

In diesem Kontext müssen die lauter werdenden politischen Forderungen eines sogenannten „deutschsprachigen“ Islams ohne transnationale Anbindung auf mehreren Ebenen hinterfragt werden. Erstens hebt der Sprachwandel weder eine ethnische Identifikation auf, noch erhöht er die universelle Integration aufgrund des ethnokulturellen Verständnisses nationaler Zugehörigkeit in Deutschland, das immer noch stark von einer christlichen Leitkulturdebatte geprägt ist. Zweitens verändert die Adaption der deutschen Sprache nicht zwangsläufig die öffentliche Wahrnehmung von Moscheen oder reduziert antimuslimischen Rassismus, insbesondere gegenüber wertkonservativen Strömungen. Diese können sogar mehr Diskriminierung erfahren, da sie einer verstärkten öffentlichen Kontrolle unterliegen. Drittens kann ein von außen auferlegter Sprachwandel zu Spaltungen und Spannungen zwischen den Generationen, Familienkonflikten und Abwanderungen von jungen Muslimen aus örtlichen Moscheen, in denen die Muttersprache dominiert, führen. Schließlich trägt ein vorzeitiger Sprachwandel zum Verschwinden bestimmter islamischer Traditionen bei, da in Deutschland eine islamische Hochschul- und Primärinfrastruktur sich noch immer im Aufbau befindet – anders als etwa in Großbritannien, wo das erste islamische Vollzeitinternat für zukünftige Imame bereits 1973 eröffnete.

Kultureller und sprachlicher Spagat

Festzuhalten ist, dass türkische Moscheegemeinden in Deutschland sich den vielfältigen gesellschaftlichen Anforderungen und dem demografischen Wandel stellen und so den kulturellen und linguistischen Spagat zwischen einer ambivalenten Integrationsdebatte und einer nicht immer leichten türkischen Diasporapolitik versuchen.

Insgesamt befinden sie sich nicht, wie oft prognostiziert, auf einem einseitigen Weg zur Sprachassimilation, sondern sind in komplexe Verhandlungen zwischen Heimat- und Herkunftssprachen verwickelt. Einige Moscheen haben bereits neue pädagogische Techniken und hybride Sprachansätze entwickelt, um sicherzustellen, dass zukünftige Generationen besser gerüstet sind, sich in einer Gesellschaft zurechtzufinden, die nicht immer offen für Zweisprachigkeit ist. Politik und Verwaltung sind daher gut beraten, sprachliche Vielfalt ernst zu nehmen, um eine nachhaltige Kommunikation und Wertschätzung für deutsche Muslime und andere sprachliche Minderheiten zu gewährleisten und dabei nicht auf Sprachassimilation zu bestehen.