Interview

Kretschmann: Religion sollte sich auch im öffentlichen Raum bewegen

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat sich gegen einen laizistischen Staat ausgesprochen. Der Landesvater bekräftigte, dass sich Religionen in einer Gesellschaft entfalten können sollten. Das Gespräch führte Michael Jacquemain.

13
06
2014

Im Vorfeld der Sitzung der Kommission „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ der Grünenpartei, hat sich Baden-Württembergers Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in einem Interview zur Behandlung von Religion und Religiosität in der Gesellschaft positioniert.

Innerhalb der Grünen ist das Thema Staat und Religion umstritten. Einerseits gibt es Tendenzen, einen laizistischen Staat nach dem Vorbild Frankreichs anzustreben. Andere, darunter Kretschmann, wollen jedoch, dass sich eine „Religionsgemeinschaft auch im öffentlichen Raum bewegen und diesen mitgestalten“ darf. Kretschmann will bei der Veranstaltung nach eigenen Worten sein „Verständnis einer kooperativen Trennung von Kirche und Staat vorstellen“.

 

Herr Ministerpräsident, am Freitag tagt in Berlin die Grünenkommission, die sich mit dem Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften befasst. Es geht um eine Art programmatischer Kompass. Wie könnte der aussehen?

Kretschmann: Die Kommission «Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat» wurde vor wenigen Monaten von dem Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen eingerichtet, um innerhalb der Partei zu einem gemeinsamen Verständnis über das Verhältnis von Staat und Religion zu gelangen und gegebenenfalls Reformvorschläge zu erarbeiten. Ich selber bin nicht Mitglied dieser Kommission, bin aber eingeladen worden, dort mein Verständnis einer kooperativen Trennung von Kirche und Staat vorzustellen. Dort möchte ich auch für die Bedeutung von Glaubensgemeinschaften für die ganze Gesellschaft und für unser Gemeinwesen werben.

 

Ihre Partei wirkt tief zerstritten zwischen laizistischen Kräften, kirchenaffinen Politikern und einem größeren Rest Uninteressierter. Wo kann bei einer solch widersprüchlichen Ausgangslage mit Überzeugungstätern auf allen Seiten eine Kompromisslinie verlaufen?

Kretschmann: Das sind erst mal unterschiedliche Blickwinkel: Ob daraus Streit wird, wird man sehen. Die einen betonen stärker die negative Religionsfreiheit – mit der Tendenz, das Religiöse eher im Bereich des Privaten anzusiedeln. Die anderen betonen die positive Religionsfreiheit, also die Bedeutung von Wertegemeinschaften für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft und verstehen deshalb die Religionsfreiheit nicht nur als private, sondern auch als korporative Freiheit, also als Freiheit, sich als Religionsgemeinschaft auch im öffentlichen Raum bewegen und diesen mitgestalten zu dürfen. Was in der Kommission konkret besprochen wird, müssen Sie in der Kommission nachfragen, ich bin wie gesagt nicht Mitglied. Ich höre aber, dass die Beratungen sehr konstruktiv verlaufen. Der Abschlussbericht wird hier sicherlich gute Impulse für die weitere Diskussion liefern können.

 

Sonderrechte der Kirchen im Arbeitsrecht, das Einziehen von Kirchensteuern durch den Staat, die Beibehaltung von Konkordaten: Bei diesen Themen liegt nicht viel zwischen Ja und Nein, zwischen Abschaffung und Beibehaltung. Jede Änderung würde zu massiven Konflikten führen.

Kretschmann: Welche Rechte und Möglichkeiten Religionsgemeinschaften haben, legt erst mal unsere Verfassung fest. Deswegen muss man das Religionsverfassungsrecht erst mal grundsätzlich debattieren und die Positionen klären. Dazu gibt es ja die Kommission in meiner Partei. Erst nach dieser Klärung kann man Einzelaspekte konkret bewerten. Der Kirchensteuereinzug ist im Übrigen eine Dienstleistung des Staates, für die die Kirchen bezahlen müssen.

 

Welche Rolle spielt für Sie als Grüner der Umgang mit dem Zentralrat der Juden und den verschiedenen muslimischen Gruppen in Deutschland?

Kretschmann: Für mich sind die jüdischen Gemeinden ebenso wie die islamischen Verbände wichtige und geschätzte Gesprächspartner. Ich halte mit ihnen genauso regelmäßig Kontakt, wie ich dies auch zu den Kirchen und zu christlichen Gemeinschaften tue, und wie auch zu den Kirchen und den Religionsgemeinschaften stabile und freundschaftliche Beziehungen bestehen, zumal es zu vielen gesellschaftlichen Fragen Gemeinsamkeiten gibt.

Im Übrigen ist mir persönlich wichtig, deutlich zu machen: Der christliche Glaube hat unser Land tief geprägt. Aber auch der jüdische Glaube ist Teil unserer Tradition, und der islamische Glaube ist Teil unserer Gegenwart. Und alle drei sollen in unserer Gesellschaft die Möglichkeiten haben, sich zu entfalten. (KNA/iQ)

Leserkommentare

Rene sagt:
Und was ist mit dem kirchenfernen Anteil der Bevölkerung? Wo kommen die vor?
14.06.14
12:36