Rechte Anschläge in Berlin-Neukölln sorgten bundesweit für Schlagzeilen. Die Ermittlungen aber waren lange erfolglos. Inzwischen befasst sich ein Untersuchungsausschuss mit den Fällen. Parallel beginnt der Prozess gegen Männer aus der rechtsextremen Szene.
Unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen hat in Berlin der Prozess nach einer Serie rechtsextremer Brandanschläge und Drohungen im Stadtteil Neukölln begonnen. Die Angeklagten, die der rechtsextremen Szene zugeordnet werden, marschierten beim Prozessauftakt regelrecht vermummt in den Gerichtssaal. Nach langen und zunächst erfolglosen Ermittlungen wird nun vor dem Amtsgericht Tiergarten verhandelt. Die Polizei geht von mindestens 70 Taten aus.
Die Staatsanwaltschaft wirft den Hauptangeklagten Sebastian T. (36) und Tilo P. (39) Bedrohung, Brandstiftung beziehungsweise Beihilfe dazu, Sachbeschädigung und die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vor. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft geht davon aus, dass das Duo versuchte, Menschen einzuschüchtern, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Die Angeklagten schwiegen zum Prozessauftakt. Für P. erklärte dessen Verteidiger, dieser sei unschuldig.
Die Ermittlungen zu der Anschlagsserie vor allem zwischen 2016 und 2019 hatten sich jahrelang hingezogen, vor rund einem Jahr erhob die Generalstaatsanwaltschaft dann doch Anklage. Danach sollen sich die beiden Hauptangeklagten spätestens im Januar 2017 dazu entschlossen haben, Brandanschläge auf Autos von zwei Männer zu verüben, die sich gegen Rechtsextremismus engagierten.
Die Ermittler gehen davon aus, dass die Hauptangeklagten in der Nacht des 1. Februar 2018 – möglicherweise unter Beteiligung weiterer, unbekannter Menschen – im Bezirk Neukölln die Autos anzündeten und dadurch beschädigten. Zudem sollen die Männer aus der rechtsextremen Szene – der Jüngere war einst in der NPD, der Ältere zweitweise AfD-Mitglied – gemeinsam mit weiteren Beschuldigten bei verschiedenen Gelegenheiten vor allem im Jahr 2017 Plakate und Aufkleber mit rechtsextremen Parolen in Berlin geklebt haben.
Zum Prozessbeginn am Montag saß überraschend neben dem Duo nur noch ein weiterer Mann (38) auf der Anklagebank. Ursprünglich war der Prozess gegen fünf Beschuldigte geplant. Ein 48-jähriger Mann hatte sich jedoch krank gemeldet, wie Richterin Ulrike Hauser bekanntgab. Das Verfahren gegen einen 50-jährigen Mann wurde laut Gericht abgetrennt. Gegen ihn sei wegen Sachbeschädigung in zwei Fällen eine Geldstrafe von 900 Euro (60 Tagessätze zu je 15 Euro) per Strafbefehl ausgesprochen worden. Dagegen legte er Einspruch ein.
Wäre es nach der Verteidigung gegangen, wäre der Prozess am Montag ausgesetzt worden. Das Amtsgericht sei nicht die richtige Instanz, sondern das Landgericht Berlin, das höhere Strafen aussprechen könne, argumentierte Rechtsanwalt Mirko Röder. Hintergrund ist die Zulassung des Linke-Politikers Ferat Koçak, selbst Opfer eines Brandanschlags, als Nebenkläger in dem Prozess. Diese Entscheidung war erst am vergangenen Freitag getroffen worden, daraus ergäben sich neue Aspekte für die Verteidigung, argumentierten die Anwälte der beiden Hauptangeklagten.
Ihre Mandanten seien dadurch dem Vorwurf eines möglichen versuchten Tötungsdelikts ausgesetzt. „Wir wissen bereits jetzt, dass die Nebenklage eine Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts anstreben wird“, sagte Röder. Richterin Hauser wies dies – wie von der Generalstaatsanwaltschaft beantragt – zurück. Es gebe keinen hinreichenden Tatverdacht für ein Tötungsdelikt, sagte sie.
Koçak sagte am Rande des Prozesses zu der Frage, ob er eine Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts anstrebe: „Ich kann nur sagen, was ich an dem Tag gefühlt habe. Und das Gefühl war einfach lebensbedrohlich.“ Seine Eltern und er hätten in der Nacht zum 18. Februar 2018 große Angst gehabt. „Es war aus meiner Perspektive kein Anschlag auf mein Auto, sondern es war ein Anschlag auf Leib und Leben meiner Familie und mich.“
Für Kritik sorgt, dass Koçak Mitglied im Untersuchungsausschuss und zugleich Nebenkläger im jetzigen Prozess ist. Dazu sagte er: „Ich bin mir der Doppelrolle bewusst.“ Er wisse zu unterscheiden. „Hier bin ich Nebenklage, eine Position in zweiter Reihe.“
Der Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses zu den Anschlägen nahm Mitte Juni seine Arbeit auf. Am 2. September sollen erste Zeugen gehört werden. Geladen sind ein Richter und ein Buchhändler, die bedroht wurden.
Zwei vom Senat eingesetzte Sonderermittler hatten 2021 Fehler von Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz festgestellt. Es habe Umstände gegeben, die !kritikwürdig und verbesserungswürdig“ seien, hieß es in ihrem Bericht. Die Justiz habe den Seriencharakter der Taten zu spät erkannt, die Staatsanwaltschaft habe Ermittlungsverfahren zu früh eingestellt. Hinweise auf rechtsextreme Netzwerke in der Polizei fanden die Sonderermittler nicht. (dpa/iQ)