Mehr als zehn Jahre nach dem Auffliegen der Terrorzelle NSU sind noch immer viele Fragen ungeklärt. Etwa was den Taschenlampen-Anschlag in Nürnberg angeht. Erstmals wird in einem Untersuchungsausschuss Mehmet O. gehört, der damals womöglich nur knapp mit dem Leben davon kam.
Er wäre womöglich beinahe das erste Todesopfer des „Nationalsozialsozialistischen Untergrunds“ (NSU) geworden: Am Montag hat erstmals Mehmet O., der bei einem Sprengstoffanschlag in Nürnberg 1999 schwer verletzt worden war, öffentlich ausgesagt, im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags. Er berichtete ausführlich von dem Tag des Anschlags – und dass er bei den Ermittlungen damals wiederholt selbst als Verdächtiger behandelt worden sei. „Ich wurde immer beschuldigt“, sagte O. – und berichtete, dass er jahrelang unter den Folgen des Anschlags gelitten habe.
Die Hintergründe des Anschlags sind erst seit 2013 klar: Damals sagte der später wegen Beihilfe verurteilte Carsten S. im NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht aus. Dabei berichtete S. über frühere Andeutungen der NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt über einen Anschlag in Nürnberg: dass sie „eine Taschenlampe“ in einem Geschäft hingestellt hätten. Erst nach der Aussage von S. konnten die Ermittler einen Anschlag auf die Nürnberger Gaststätte „Sonnenschein“ vom Juni 1999 den NSU-Terroristen zuordnen. Damals hatten die Täter eine als Taschenlampe getarnte Rohrbombe in der Gaststätte abgelegt.
O., der sie fand und betätigte, wurde bei der Explosion verletzt. Mehrere Ermittler machten im Untersuchungsausschuss zuletzt deutlich, dass es nur einem glücklichen Zufall zu verdanken war, dass O. nicht schwerer verletzt, dass er bei der Explosion nicht getötet wurde.
„Mein ganzes Leben hat sich verändert“, sagte O., sein Leben sei „ruiniert“. Jahrelang habe er nicht gewusst, was passiert sei, habe Angstzustände gehabt, habe umziehen müssen. „Warum ich?“ – die Frage habe er sich oft gestellt. Warum wurde ausgerechnet seine Gaststätte, die er gerade eben frisch übernommen hatte, als Anschlagsziel ausgewählt? „Ich habe Angst um mein Leben gehabt“, erzählte er. Erst seit einigen Jahren, seit er wisse, was passiert sei, könne er offener darüber sprechen. Auch wenn er den Tag nie vergessen könne. Aber O. betonte: „Ich lasse mich nicht von denen unterkriegen.“
O. tritt seit einiger Zeit zwar auf öffentlichen Veranstaltungen auf und auch gegenüber Medien – aber es war am Montag das erste Mal, dass er sozusagen offiziell in einem Untersuchungsausschuss aussagte.
Die Terrorzelle NSU – Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe – war von 2001 an jahrelang mordend durch Deutschland gezogen. Ihre Opfer waren neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie eine deutsche Polizistin. Mundlos und Böhnhardt verübten zudem zwei Bombenanschläge in Köln mit Dutzenden Verletzten. Sie töteten sich 2011, um ihrer Festnahme zu entgehen – erst damit war der NSU aufgeflogen. Zschäpe, die einzige Überlebende des Trios, wurde 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Taschenlampen-Anschlag wurde im Prozess zwar behandelt, er wurde aber nicht mehr Teil der Anklage.
Eine offene Frage ist, ob O. auf einem Foto, das ihm die Ermittler nach 2013 vorlegten, womöglich die Ehefrau von einem der fünf Verurteilten im NSU-Prozess, eine enge Freundin Zschäpes, erkannt hat. O. bekräftigte im Untersuchungsausschuss, er habe damals erklärt, dass ihm die Frau bekannt vorkomme. Mehr – etwa wo er die Frau womöglich einmal gesehen hat – konnte er aber nicht sagen. (dpa/iQ)