Wir geben einen Überblick über die – aus unserer Sicht – wichtigsten Ereignisse und Berichte aus dem Jahr 2022. IslamiQ wünscht einen guten Start ins neue Jahr und hofft auf ein schönes Jahr 2023.
Klimawandel, Coronakrise, Ukraine-Krieg und die andauernde Energiekrise waren wichtige und markante Ereignisse in diesem Jahr. Auf die Covid-Pandemie hatte man sich gewöhnt, doch der Ausbruch des Ukraine-Krieges hat viele neue Probleme offengelegt und vertieft wie die Energiekrise. Der Krieg in der Ukraine hat auch eine neue Flüchtlingswelle ausgelöst. Deutschland war diesmal besser aufgestellt als 2015, auch die muslimischen Religionsgemeinschaften haben wieder ihre Unterstützung mit Verpflegung und Unterkunft angeboten.
Im Mittelpunkt standen für Muslime auch Themen wie die steigenden Angriffe auf Muslime, das Kopftuchverbot am Arbeitsplatz, der islamische Religionsunterricht in Hessen, der öffentliche Gebetsruf in Köln, die neue Hadsch-Regelung, der Tod von Mevlüde Genç, der 30. Jahrestag des Brandanschlags in Mölln und die Vereinheitlichung der Gebetszeiten
Das Jahr 2022 begann am Neujahrsmorgen mit der Nachricht, dass auf dem muslimischen Teil des Hauptfriedhofs in Iserlohn rund 30 Grabsteine umgeworfen sowie Dekorationselemente und Pflanzen beschädigt worden sind. Nach der Schändung hatten sich hunderte Menschen aus der Stadtgesellschaft und Vertreter von Politik und Zivilgesellschaft zu einer Kundgebung getroffen und ihre Solidarität gezeigt. Die Grabfelder wurden vom Bündnis der Muslime in Iserlohn (BMI) erneuert und in einer gemeinsamen Zeremonie eingeweiht. Die Schändung in Iserlohn war nicht das Einzige in diesem Jahr. Im rheinland-pfälzischen Wormser Hauptfriedhof wurde das muslimische Waschhaus mit Farbe und Schaum beschmiert und in Hannover wurden mehrere muslimische Kindergräber geschändet.
Auch in diesem Jahr wurde im Schnitt jede Woche eine Moschee angegriffen. Moscheegemeinden sind nach einem Übergriff weitestgehend auf sich selbst gestellt, die Aufklärungsquote ist sehr niedrig, Versicherungen zahlen selten und Solidaritätsbekundungen erfahren sie oft nur von anderen muslimischen Gemeinden. Das geht aus einer Studie von #brandeilig hervor, die am 24.05.2022 veröffentlicht wurde.
Ausgewertet hat #brandeilig insgesamt 120 Moscheeangriffe aus dem Jahr 2018. Zu 68 Moscheeangriffen wurden Telefoninterviews mit Verantwortlichen der betroffenen Moscheegemeinden durchgeführt.
Die Diskriminierung von muslimischen Frauen aufgrund des Kopftuches stand auch dieses Jahr besonders im Fokus. Die Krankenhäuser in Herne haben dieses Jahr besonders Aufmerksamkeit erregt. Eine 24-Jährige wollte ihr Kopftuch für ein dreimonatiges Pflichtpraktikum im Marien-Hospital nicht ablegen, deswegen wurde sie nach Hause geschickt. Nach wochenlangen Diskussionen hatte sich das Krankenhaus mit der Universität auf eine Lösung geeinigt.
Wochen später ereignete sich ein ähnlicher Fall in einem evangelischen Krankenhaus. Dort wollte eine 14-jährige Schülerin ihr Pflichtpraktikum absolvieren. Doch das Krankenhaus schickte die muslimische Schülerin nach dem Bewerbungsgespräch nach Hause, weil sie ihr Kopftuch nicht ablegen wollte.
Eine weitere unerfreuliche Entwicklung in der Kopftuchthematik war die Entscheidung des europäischen Gerichts. Unternehmen können ihren Mitarbeitern unter Umständen das Tragen von religiösen Zeichen wie dem Kopftuch weiterhin verbieten. Das Gericht bestätigte damit seine Rechtsprechung aus den vergangenen Jahren. Hintergrund war ein Fall aus Belgien. Bei einem Bewerbungsgespräch für ein Praktikum in einer Wohnungsverwaltungsgesellschaft wurde eine Muslimin mit Kopftuch auf die unternehmensinterne Neutralitätsregel hingewiesen. Der EuGH stellt aber auch klar, dass der Arbeitgeber ein wirkliches Bedürfnis nachweisen muss, etwa dass dem Unternehmen ein Nachteil entstehen könnte, wenn religiöse Symbole offen getragen werden.
Ein trauriges Ereignis für Muslime in Deutschland war der Tod von Mevlüde Genç. Nach dem Brandanschlag in Solingen hat sie mit ihrer Haltung viele Menschen tief beeindruckt. Trotz ihres schweren Verlustes war sie eine Stimme der Versöhnung und des Zusammenhalts. Mehr als 1000 Menschen haben am Tatort des rechtsextremen Brandanschlags von Solingen Abschied von Mevlüde Genç genommen.
Gleichzeitig jährte sich dieses Jahr auch der rassistische Brandanschlag von Mölln zum 30. Mal. Zum ersten Mal nach dem Brandanschlag wurde die Familie Arslan von einem Bundespräsidenten empfangen. Für die Familie kam die Einladung zu spät. Sie hätten sich die Solidarität des Bundes von Anfang an gewünscht.
In diesem Jahr fanden in Niedersachsen und NRW Landtagswahlen statt. In NRW haben die CDU und die Grünen und in Niedersachsen haben die SPD und die Grünen eine Koalition gebildet. Zu den Landtagswahlen hatte IslamiQ mehrere Wahlprüfsteine erstellt und die Parteien zu Themen rund um den Islam und Muslime befragt.
Eine religionsrechtliche Entwicklung für Muslime war in Hessen zu beobachten. Im Rechtsstreit mit dem DITIB-Landesverband um den gestoppten islamischen Religionsunterricht hat das Land Hessen eine Niederlage erlitten. Wie der hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel mitteilte, durfte das Land den sogenannten bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht in Kooperation mit DITIB im Jahr 2020 nicht aussetzen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden aus erster Instanz sei damit rechtskräftig.
Am Tag der Offenen Moschee (TOM) stellten die Gemeinden diesmal einen verantwortungsvollen Umgang mit den knappen Ressourcen in den Mittelpunkt. Rund 1000 Moscheegemeinden bundesweit luden in diesem Jahr wieder interessierte Besucherinnen und Besucher ein.
Mit dem diesjährigen Thema möchten Muslime auf den fortschreitenden Klimawandel und die Gefahr der Ressourcenknappheit eingehen. „Nach islamischem Verständnis habe der Mensch eine besonders hervorgehobene Stellung in der Schöpfung. Alle Ressourcen sind Gaben Allahs, die der Mensch nutzen, verwalten, bebauen, bewohnen kann. Gleichzeitig trägt er die Verantwortung, die Erde zu bewahren und zu beschützen“, erklärt der KRM.
Für viele Muslime war der Gebetsruf in der Kölner Zentralmoschee ein erfreuliches Ereignis. Im Jahr 2021 kündigte die Stadt Köln ein zunächst auf zwei Jahre befristetes Modellprojekt an, demnach können Moscheegemeinden auf Antrag und unter Auflagen öffentlich zum Freitagsgebet rufen. Die erste Gemeinde, die diesen Antrag gestellt und genehmigt bekommen hatte, war die Kölner Zentralmoschee. So hat am 14. Oktober erstmals ein Muezzin über zwei Lautsprecher zum Gebet gerufen. Der Ruf dauerte weniger als fünf Minuten und war nur in unmittelbarer Nähe der Moschee zu hören. Grund dafür waren die Auflagen der Stadt Köln. Der Gebetsruf dürfe bei den Anwohnern nur in Gesprächslautstärke ankommen.
In Hamburg hat man die zehnjährige Kooperation zwischen dem Staat und den muslimischen Organisationen evaluiert. Das Land Hamburg hatte mit der Schura, dem DITIB-Landesverband und mit der alevitischen Gemeinde Verträge unterzeichnet, die seit nunmehr fast zehn Jahren die Grundlage für kooperative Beziehungen in vielen Bereichen des religiösen und gesellschaftlichen Lebens bilden. Indessen gab es auch Entwicklungen innerhalb der Schura Hamburg. Aufgrund der anhaltenden Kritik und dem Verhältnis zum iranischen Regime ist das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) selbstständig von der Schura ausgetreten.
Eine weitere Entwicklung, die die Muslime in Deutschland, Europa und Nordamerika betreffen, war die neue Hadsch-Regelung. Muslime aus dem Ausland konnten nach den Coronabeschränkungen wieder nach Mekka und Medina pilgern. Doch, unter neuen Bedingungen. Sie mussten ihre eigenen Reservierungen vornehmen. Reservierungen über eine externe Reiseorganisation wurden nicht akzeptiert. Hierzu hatte die saudische Regierung eine neue Seite erstellt. Ob die neue Regelung auch für das nächste Jahr gelten soll, bleibt offen.
Islamische Gemeinschaften in Europa haben sich auf gemeinsame Gebetszeiten geeinigt – und damit jahrelangen Diskussionen ein Ende gesetzt. Die Neuregelung ist ab dem 1. Januar 2023 gültig. Bis heute entstanden unterschiedliche Gebetskalender mit uneinheitlichen Zeitangaben. Die Diskussion um die Gebetszeiten ging so weit, dass in manchen Ländern bis zu 10 Kalender veröffentlicht wurden, die unterschiedliche Gebetszeiten angaben. Mit dem einheitlichen Gebetskalender wurden die Differenzen bezüglich der Gebetszeiten beendet.
Für das nächste Jahr haben wir noch einiges vor und freuen uns darauf, es euch vorzustellen. An dieser Stelle möchten wir auch einen großen Dank an unsere Autorenschaft und an unsere Leserinnen und Leser aussprechen und wünschen allen einen guten Start ins neue Jahr.