Rassismus

Zur Bedeutung von Empowerment unter Muslimen

Muslime in Deutschland stehen immer wieder im Zentrum oft hitzig geführter Debatten. Doch was macht es mit ihnen und welche Rolle spielt Empowerment dabei? Ein Beitrag von Yasmine Chehata.

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03
2023
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Symbolbild: Empowerment © shutterstock, bearbeitet by iQ
Symbolbild: Empowerment © shutterstock, bearbeitet by iQ

Antimuslimischer Rassismus bezeichnet eine Form von Rassismus, die sich gegen Muslime sowie Menschen richtet, die als Muslime wahrgenommen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie tatsächlich muslimisch sind oder sich als gläubig beschreiben oder nicht. Von der Ausgrenzung sind daher nicht nur praktizierende Musliminnen und Muslime betroffen, sondern auch Menschen, die aufgrund ihres Aussehens oder ihres Namens als Muslime interpretiert werden. 

Beim Rassismus werden Menschen entlang von Differenzlinien eine Position in der Gesellschaft zugewiesen, wo die eine Seite als ´normal´ fungiert, als „das Normale“ in einer Gesellschaft angesehen wird. Rassismus ist die Unterscheidung anhand von Nation, Ethnie oder Kultur – eine Unterscheidung zwischen einem ‚Wir‘ und einem ‚die anderen`. Kennzeichnend für antimuslimischen Rassismus ist eine dichotome Unterscheidung von ‚westlicher‘, beziehungsweise ‚christlich-abendländischer‘ versus ‚islamischer Kultur‘, die nicht nur so erzählt wird, dass sie sich unterscheiden, sondern als unvereinbar betrachtet werden. Dabei wird die eine Seite auf und die andere Seite abgewertet. Dieser Mechanismus wird Othering genannt – also ‚zu Anderen gemacht werden ‘.[i]

Rassismus ist ein Denken in Gegensätzen. Der „Orient“ wird zum Gegenbild des „Westens“ und über diese Konstruktion des Anderen geht es nicht nur darum, die eine Seite abzuwerten, sondern die Bildung eines christlich-abendländischen, fortschrittlichen und zivilisierten „Westens“ überhaupt erst herzustellen.[ii] Rassismus ist eine Art „Wahrnehmungsfilter“[iii], nicht nur für das, was wir sehen, sondern dafür als wer oder was wir uns verstehen sollen, welchen Platz wir zugewiesen bekommen. Vor allem im Kontext von Flucht, Migration und Gender tauchen rassistische Denkfolien immer wieder auf, durch die Menschen muslimischen Glaubens gleich gemacht und ihnen Eigenschaften zugeschrieben werden, die der Auffassung folgen, dass es ein Wesen wie ‚die wahre Natur‘ des Islams und muslimischer Menschen gäbe. Die lebensweltlichen Unterschiede der Menschen und auch ihre religiös-praktische Diversität werden hierbei außer Acht gelassen. 

Die Rolle des Islams

Seit Jahrzehnten wird in den öffentlichen Debatten nicht nur über die Rolle des Islams gestritten, sondern darüber, inwiefern Menschen muslimischen Glaubens überhaupt zu Deutschland gehören. Und diese Debatte zeigt, dass es bei rassistischen Unterscheidungen um Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit geht, aber vor allem um die Frage, wer ein Recht auf Teilhabe hat und wer nicht. Die Unterscheidung und Abwertung der einen Position und die Aufwertung der anderen legitimiert also Handlungen, um bestimmte Gruppen vom Zugang zu materiellen und symbolischen Ressourcen auszuschließen. Das ist Teil strukturellen Rassismus. Es handelt sich um ein komplexes System, wie Gesetzgebungen, öffentliche Darstellungen, Routinen, Normen u.v.m., in denen sich diese machtvollen Unterscheidungen wiederfinden und mit denen Menschen in ihrem Alltag, bei der Suche nach Wohnungen oder Arbeit, im Bildungssystem, in der Freizeit konfrontiert sind. Der Ausschluss der einen sichert der anderen Gruppe einen privilegierten Zugang. Das ist die zentrale Funktion von Rassismus. 

Diese machtvollen Abwertungsmechanismen finden auch Eingang in das Selbstbild von Menschen, die davon betroffen sind. Für Menschen mit Rassismus- und/oder Antisemitismuserfahrungen ist die Suche nach Wegen des Empowerments und der Kampf um Repräsentation bis heute essenziell. Im Empowerment geht es zentral um die Frage „wer sind wir?“ und vor allem: „zu wem werden wir gemacht“? 

Im Empowerment geht es, entgegen dieser Erzählungen, um die Entwicklung positiver Selbstbezüge, um die Herstellung von Handlungsfähigkeit und Handlungsmacht entgegen aller machtvoller Abwertungen und Ausschlüsse, die Menschen erleben. Das kann in der Nachbarschaft sein, in Gemeinschaften, in der Gemeinde, in aktivistischen Kontexten oder in Safer-Space oder sogar bei einem Tür-und-Angel-Gespräch mit einem anderen Menschen. Empowerment kann als eine Form des Widerstands gegen Rassismus verstanden werden und damit als politischer Handlungsansatz und Akt der Unterwerfung und Befreiung zugleich[iv].

Was ist Empowerment? 

Empowerment ist die Erfahrung, dass das individuelle Erleben alltäglichen Rassismus, die konkreten Beschränkungen der Lebensgestaltungsmöglichkeiten kein Einzelfall und kein persönliches Versagen sind, sondern Teil eines größeren Narratives. Es ist also Teil eines gemeinsamen Erfahrungsraums von Menschen, die Diskriminierung erfahren.[v]

Empowerment ist ein „de-koloniales, Community-orientiertes Konzept zur Selbststärkung, Heilung und (Wieder-)Aneignung von Handlungsspielräumen von Menschen mit Diskriminierungserfahrungen.“[vi] Empowerment umfasst jene Prozesse, „die Menschen aufgrund ihrer Selbsttätigkeit in die Lage versetzen, Verantwortung, Bestimmung und Durchsetzungskraft eigener Interessen zur Geltung zu bringen, ohne dass eine gezielte professionelle Einmischung vorkommt.“[vii]

Empowerment ist also vor allem selbstorganisiertes und communiybasiertes Handeln.  Drei Aspekte sind hier wichtig. Empowerment ist eine Form (1) politischer Selbstorganisation. Dieser Selbstorganisation liegt eine (2) kollektive Selbstermächtigung gegenüber unterdrückenden Strukturen und Verhältnissen zugrunde. Demnach hat Empowerment hat auch einen bestimmten Zielpunkt: nämlich (3) die Öffnung und Aneignung von Berechtigungsräumen. Empowerment ist also eine spezifische Form der Befreiung in gesellschaftlichen Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnissen – durch von diesen Verhältnissen betroffene Gruppen und Gemeinschaften Fragen sozialer Ungleichheitsverhältnisse und das Ziel, gesellschaftliche Machtverhältnisse zu verändern, sind Kernprinzipien des Empowermentbegriffs.

„Kein theoretisches Konstrukt“

Empowerment kann nicht gesteuert oder vermittelt werden, Menschen können sich nur selbst empowern und nicht von anderen empowert werden[viii]. Denn was Empowerment für jeden Menschen bedeutet, ist sehr unterschiedlich. Es ist demnach kein ‚Zustand‘, sondern ein Prozess. Dieser Prozess hat „keine klaren Grenzen, kein konkretes Ziel und auch keine vorgegebenen Bestandteile [inne], denn jede minorisierte Gruppe definiert selbst das eigene Identitätsverständnis, die eigenen Erfahrungen, die eigene Positionierung, die eigenen Interessen, Bedürfnisse, Visionen, Forderungen und Strategien und trifft entsprechende Entscheidungen als Teil und als Ergebnis vom Empowerment“[ix].

Empowerment ist also kein theoretisches Konstrukt, sondern entsteht in der konkreten Praxis. Die Empowermentpraktiken, von der Teestube bis zum politischen Protest, von der Gemeinschaft bis zur Institutionalisierung, von der Musik bis zum Podcasts – keine davon ist mehr oder weniger politisch, sie sind – so verstanden – alle „Teil eines politischen Handelns, das Wirklichkeit verändert“[x]. Es gibt also viele Räume des Empowerments. Es sind Räume, in denen es auf unterschiedlichste Weise um die Bearbeitung erlebter sozialer Ungleichheit geht. Das kann das gemeinsame durchatmen und entspannen beim Tee sein oder der Workshop, in dem ich mich mit Menschen zusammenfinde und austausche, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Empowerment macht Rassismus besprechbar

Empowermenträume sind einfach die Möglichkeit zu verstehen und die eigenen individuellen schmerzhaften Erfahrungen als Teil eines größeren Zusammenhangs wahrzunehmen; einen Raum zu finden, der mit dem in Alltag „unaussprechlichen“ bricht und Rassismus besprechbar macht; Diskriminierungserfahrungen nicht banalisiert oder runterspielt, sondern anerkennt; es ist der Moment der Bewusstwerdung der Auswirkungen von Rassismus auf mein Leben, aber auch das Ermöglichen von Strategien gegen Rassismus in Gemeinschaft; es ist die Möglichkeit zu haben vorhandene Bewältigungsstrategien hervorzuholen und neue Handlungsfähigkeiten zu entwickeln.

Momente des Empowerments entstehen nicht pädagogisch angeleitet. Sie entstehen, und sie sind möglich, möglich in den Momenten des Verstehens während eines Seminars, aber ebenso möglich in den Abenden unter Freund*innen, beim Gespräch zwischen Tür und Angel, beim Spaziergang allein, beim Teetrinken und Lachen, bei Spaziergang in der Gruppe u.v.m. Empowerment ist ein Prozess oder vielmehr eine Verkettung vieler kleiner oder größerer Erfahrungsmomente, die sich verdichten können im Leben zu etwas, das man dann vielleicht als Empowerment – als Bemächtigung bezeichnet. 

 

[i] Mecheril, Paul (2019): Migrationspädagogik. In: https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/erziehungswissenschaft/arbeitsgruppen/ag10/Mecheril-2019_Migrationspadagogik.pdf

[ii]Said, Edward W. (2009): Orientalismus. S. Fischer Verlag. 

[iii] Auma, Maureen Maisha (2021): „Rassismus: Eine Definition für die Alltagspraxis“: https://www.vielfalt-mediathek.de/wp-content/uploads/2020/12/raaberlindorassismuseinedefinitionfrdiealltagspraxis_vielfalt_mediathek.pdf. S. 2

[iv] „Wenn Wissen und Diskurs persönlich wird und werden sollte.“ Yasmine Chehata und Birgit Jagusch. 2020. In: https://www.beltz.de/fachmedien/sozialpaedagogik_soziale_arbeit/produkte/details/42940-empowerment-und-powersharing.html S. 9-18. 

[v] Chehata/Dib/Harrach-Lasfaghi/Himmen/Sinoplu/Wenzler (2023): Empowerment, Resilienz und Powersharing in der Migrationsgesellschaft. Theorie – Praktiken – Akteur*innen. Weinheim: Beltz-Juventa. Open acces.

[vi] Nassir-Shahnian, Natascha Anahita (2020): Powersharing: es gibt nichts Gutes, außer wir tun es! Vom bewussten Umgang mit Privilegien und der Verantwortlichkeit für soziale (Un-)Gerechtigkeit. In: Birgit Jagusch und Yasmine Chehata (Hg.): Empowerment und Powersharing. Ankerpunkte – Positionierungen – Arenen. 1. Auflage. Weinheim, Basel: Beltz Juventa. S. 30.

[vii] Bakic, Josef (2014): Empowerment. https://igfh.de/publikationen/kritisches-glossar/empowerment. Ohne Seite.

[viii] „Soziale Arbeit als Praxis: Empowerment“. Leseprobe aus Lambers; Helmut (2013): Theorien Sozialer Arbeit. Ein Kompendium und Vergleich. Barbara Budrich.  https://budrich.de/news/geblaettert-theorien-der-sozialen-arbeit/ . S. 323.

[ix] Rosenstreich, Gabriele (2018): Empowerment und Powersharing. Eine Einführung. In: Überblick. Zeitschrift des Informations- und Dokumentations- zentrums für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen 24 (2).

[x] vgl. Bollwinkel 2020, S. 208