Ein Blick, ein Spruch, ein Faustschlag: Rassismus trifft Menschen auf verschiedene Weisen – auch in Rheinland-Pfalz. Mehr als 100 rassistische Vorfälle wurden hier im vergangenen Jahr dokumentiert. Und die Dunkelziffer könnte noch größer sein.
Der Schlag gegen die Brust traf ihn unvermittelt. Der 22-Jährige lief auf dem Bürgersteig durch eine Mainzer Wohngegend, als er von zwei Männern aus dem Nichts angegriffen wurde. Nach Tritten und Schlägen, begleitet von rassistischen Beleidigungen, flüchteten die Täter. Der Mann sei wegen seiner Hautfarbe zum Opfer geworden, teilte die Polizei später mit. Vorfälle wie dieser aus dem vergangenen Jahr sind bei Weitem kein Einzelfall.
„Bei uns gehen Meldungen von Beleidigungen, Angriffen, Sachbeschädigung bis hin zu Mord ein“, sagt eine Sprecherin der rheinland-pfälzischen Melde- und Dokumentationsstelle „m*power“. Hier können eigene Erfahrungen mit Menschenfeindlichkeit wie auch Beobachtungen anonym gemeldet werden. „Die Vorfälle müssen nicht an die Polizei gehen oder strafrechtlich verfolgt werden“, sagt die Projektmitarbeiterin. Es gehe um Hilfe für Betroffene, auf Wunsch werden Beratungsangebote vermittelt.
Die Stelle gibt einen Einblick, wie weit verbreitet Rassismus in Rheinland-Pfalz ist. Im vergangenen Jahr dokumentierte sie 130 rassistische Vorfälle. In 21 Fällen ging es um antimuslimischem Rassismus, in 19 Fällen um Rassismus gegen Sinti und Roma sowie in 5 Fällen um Rassismus gegen Schwarze. „Die Zahlen sind nur die Spitze des Eisbergs“, meint die Projektmitarbeiterin, die weiteren Fälle seien generell dem sogenannten Phänomenbereich Rassismus zugeordnet. In 25 Fällen haben sich die Betroffenen laut Meldestelle gegen eine Anzeige bei der Polizei entschieden, die Gründe seien nicht bekannt.
Dass insgesamt zwölf Fälle weniger als 2021 gemeldet wurden, solle nicht täuschen. „Viele Vorfälle werden weder uns noch der Polizei gemeldet“, sagt die Projektmitarbeiterin. „Wir gehen von einer großen Dunkelziffer aus.“
Die Landesregierung hat 2019 einen Landesaktionsplan gegen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ins Leben gerufen. Es solle eine „Kultur der Gleichwertigkeit“ gefördert und Diskriminierung abgebaut werden, steht auf der Internetseite des Landes. Der Plan umfasst 29 Maßnahmen und Programme, darunter auch die Meldestelle „m*power“. Im Zuge der bundesweiten „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ finden in Rheinland-Pfalz noch bis zum 2. April mehrere Veranstaltungen statt.
„Meine Erfahrung in diesen Jahren zeigt, dass das Thema Rassismus kontinuierlich an Bedeutung und vor allem Aufmerksamkeit gewonnen hat“, stellt Miguel Vicente fest, seit 2011 Integrationsbeauftragter der Landesregierung. Das bedeute nicht zwangsläufig, dass es mehr Vorfälle gebe, sondern nur, dass Rassismus häufiger thematisiert werde. In Zusammenarbeit mit der Landesregierung möchte er die Bevölkerung sensibilisieren und die politische Teilhabe von benachteiligten Gruppen fördern.
„Alltagsrassismus ist für die Betroffenen in Rheinland-Pfalz Realität“, sagt Torsten Jäger, Geschäftsführer des Initiativausschusses für Migrationspolitik. „Das sind Alltäglichkeiten wie abwertende Bemerkungen, dass man in öffentlichen Verkehrsmitteln schief angeguckt wird, dass man beleidigt wird, dass der Platz neben einem leer bleibt.“ Das Netzwerk beschäftigt sich mit Themen rund um Migration und Antirassismus in Rheinland-Pfalz.
Rassismus begegne den Menschen auf viele Weisen: Es gebe Studien, die zeigen, „wenn sie in einem Bewerbungsverfahren versuchen mit einem Namen, dem eine „ausländische Herkunft“ zugeschrieben wird, einen Job zu bekommen, dann ist ihre Chance (…) einfach geringer, als wenn sie Müller, Meier oder Schultz heißen“, sagt Jäger. Ähnliches könne man in der Bildung oder bei der Wohnungssuche feststellen.
Positiv sieht Jäger, „dass wir in den letzten Jahren deutlich mehr über Rassismus reden, dass wir ihn anerkennen“. Dazu gebe es eine ganze Reihe von Aktivitäten und Maßnahmen, die klarmachen, dass Rassismus nicht mit der Menschenwürde vereinbar sei. „Da tut sich aus meiner Sicht in Rheinland-Pfalz sehr viel“, sagt Jäger. Bei der Umsetzung konkreter Maßnahmen und beim politischen Handeln gebe es aus seiner Sicht jedoch „noch Luft nach oben“.
Der Landesaktionsplan sei für ihn ein wichtiges Zeichen, doch der Verdienst für viele Fortschritte gelte den Betroffenen. „Sie sehen sich selbst als selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft und sagen, als selbstverständlicher Teil möchte ich die gleichen Rechte haben“, erklärt Jäger. Sie treiben seiner Meinung nach wichtige Debatten über Bücher, Sprache oder auch Kopftücher an. (dpa/iQ)